Verdachtskündigung im Arbeitsrecht: Wenn der dringende Verdacht ausreicht
Auch im Arbeitsrecht gilt die Unschuldsvermutung – aber nicht absolut. Ein schwerwiegender, dringender Verdacht kann genügen, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Welche Voraussetzungen dafür gelten, wie Sie als Arbeitgeber vorgehen müssen und wo die Grenzen liegen, lesen Sie hier.
Zuletzt aktualisiert am: 24. April 2025

Grundsatz: Unschuldsvermutung vs. Verdachtskündigung
Nach Artikel 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gilt: Jede Person ist bis zum Beweis ihrer Schuld als unschuldig anzusehen. Dieser Grundsatz findet auch in Deutschland Anwendung, ist aber im Arbeitsrecht nicht uneingeschränkt schützend. Das Bundesarbeitsgericht erkennt unter bestimmten Voraussetzungen die sogenannte Verdachtskündigung als zulässig an.
Was ist eine Verdachtskündigung?
Bei einer Verdachtskündigung handelt es sich um eine Kündigung, die nicht auf einer nachgewiesenen Pflichtverletzung beruht, sondern auf dem dringenden Verdacht, dass eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch den oder die Mitarbeitende erfolgt ist. Grund: Der Vertrauensverlust ist so gravierend, dass eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar erscheint.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit
Damit eine Verdachtskündigung rechtlich Bestand hat, müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
- Schwerwiegende Pflichtverletzung (z. B. Diebstahl, Betrug, Gewalt, sexuelle Übergriffe, Zeiterfassungsmanipulation)
- Dringender Tatverdacht, basierend auf objektiven, nachvollziehbaren Indizien
- Anhörung der betroffenen Person zu den Verdachtsmomenten
- Verhältnismäßigkeit der Kündigung (keine milderen Mittel vorhanden)
Fristlose oder ordentliche Kündigung?
Die Verdachtskündigung ist typischerweise eine außerordentliche (fristlose) Kündigung gemäß § 626 BGB. Eine ordentliche Kündigung ist jedoch ebenfalls möglich, sofern der Tarif- oder Arbeitsvertrag dies zulässt – allerdings unter denselben hohen Anforderungen.
Bedeutung der Anhörung
Vor Ausspruch der Verdachtskündigung ist zwingend eine Anhörung des oder der Mitarbeitenden erforderlich. Dabei gilt:
- Die betroffene Person muss über die konkreten Verdachtsmomente informiert werden
- Sie muss Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten
- Die Anhörung kann mündlich oder schriftlich erfolgen
- Bei komplexen Sachverhalten ist eine zweistufige Anhörung (schriftlich + Gespräch) empfehlenswert
- Eine Woche Frist zur Stellungnahme gilt als angemessen
Ohne Anhörung ist die Verdachtskündigung unwirksam.
Ablauf der Kündigung
- Verdacht konkretisieren: Objektive, nachvollziehbare Indizien sammeln
- Anhörung durchführen: Gelegenheit zur Entlastung geben
- Entscheidung über Kündigung: Fristlose oder ordentliche Variante
- Kündigungsfrist einhalten: Bei fristloser Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB max. 2 Wochen nach Bekanntwerden der Umstände
- Betriebsrat anhören (falls vorhanden)
Besonderheit: Tat- und Verdachtskündigung kombinieren
Arbeitgeber:innen können Tat- und Verdachtskündigung gleichzeitig aussprechen. Vorteil: Kann der Tatnachweis im Prozess nicht geführt werden, greift möglicherweise der Verdacht. Wichtig: Beide Varianten müssen in der Kündigungserklärung klar benannt sein.
Grenzen der Verdachtskündigung
- Bloße Vermutungen reichen nicht aus
- Medienberichte oder Gerüchte ersetzen keine objektiven Tatsachen
- Die Verdachtsmomente müssen so gewichtig sein, dass sie ein „erdrückendes Gesamtbild“ ergeben
- Eine milde Reaktion (z. B. Abmahnung) darf nicht ausreichend sein
Was, wenn der Verdacht sich nicht bewahrheitet?
- Im laufenden Kündigungsschutzprozess: Wird die Unschuld belegt, ist die Kündigung unwirksam
- Nachträgliche Entlastung: Die Kündigung bleibt wirksam, ein Wiedereinstellungsanspruch kann bestehen
Fazit
Die Verdachtskündigung bleibt ein heikles, aber notwendiges Instrument im Arbeitsrecht. Arbeitgeber:innen dürfen sie nur mit größter Sorgfalt und unter Beachtung aller rechtlichen Vorgaben einsetzen. Transparenz, Fairness und Dokumentation sind dabei Schlüsselbegriffe. Wer alles richtig macht, wahrt sowohl unternehmerische Interessen als auch rechtsstaatliche Grundprinzipien.
Tipp: Sichern Sie sich rechtlich ab – mit professioneller Beratung und einer strukturierten Vorgehensweise.

Download: Checkliste "Voraussetzungen einer Verdachtskündigung"
Nicht immer erfordert eine fristlose Kündigung den lückenlosen Nachweis einer schweren Pflichtverletzung. In ...
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