Urlaub im Hochrisikogebiet: Arbeitsunfähigkeit nicht selbst verschuldet
Wer nach einem Urlaub in einem Hochrisikogebiet an Corona erkrankt, hat seine Arbeitsunfähigkeit nicht im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes selbst verschuldet. Zumindest dann nicht, wenn die Inzidenz im Heimatort bzw. in Deutschland zu diesem Zeitpunkt höher lag, entschied das ArbG Kiel in einem aktuellen Urteil.
Die aktuellen Meldungen lassen es befürchten: Das leidige Thema Corona lässt uns auch im dritten Jahr in Folgenicht los. Und da sich die Urlaubssaison derzeit dem Ende entgegenneigt, kommt dieses Urteil gerade richtig, um entsprechende Fälle rechtlich besser einordnen zu können.
Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG
Die Reisebranche boomt. Viele Menschen sind froh, dass sie nach zwei Jahren mehr oder weniger Zurückhaltung wieder ferne Länder bereisen dürfen. Nicht wenige davon bringen eine Coronaerkrankung im Reisegepäck zurück. Selbst schuld, könnte man jetzt sagen. Insbesondere dann, wenn man eine Reise in ein Hochrisikogebiet gebucht hat. Auch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) nimmt eine entsprechende Bewertung vor. Sinngemäß heißt es in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG: Wer in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet reist und dadurch eine Absonderung inklusive Verdienstausfall in Kauf nimmt, erhält hierfür keine Entschädigung.
Doch so einfach ist die Bewertung der Rechtslage nicht, wie ein aktuelles Urteil des ArbG Kiel zeigt.
Ein Mitbringsel aus der Dom Rep
Im Entscheidungsfall war eine Arbeitnehmerin Anfang 2022 in die Dominikanische Republik gereist. Das Land war zu dieser Zeit vom Robert Koch- Institut als Hochrisikogebiet ausgewiesen. Allerdings lag die Inzidenz am Abflugtag in Deutschland (878,9) mehr als doppelt so hoch als in dem sonnigen Urlaubsgebiet (377,7). Eine Woche nach der Reise war die Inzidenz dort sogar auf 72,5 gesunken, während die Zahlen in Deutschland bei 1.465,4 lagen. Nichtsdestotrotz wurde die Dame nach der Reise positiv getestet und legte eine AU-Bescheinigung vor.
Die Arbeitgeberseite erkannte diese jedoch nicht an und stellte die Entgeltfortzahlung ein. Zum einen habe die Mitarbeiterin keine Symptome gehabt und sei daher nicht arbeitsunfähig gewesen. Zum anderen habe sie die Erkrankung durch ihre Reise schuldhaft herbeigeführt. Die Arbeitnehmerin zog daraufhin vor Gericht und klagte auf Entgeltfortzahlung. Mit Erfolg!
Coronaerkrankung ohne Symptome
Das ArbG Kiel stellte zunächst klar, dass ein Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig ist, wenn er symptomlos auf Corona positiv getestet wurde und seiner Arbeit nicht im Homeoffice nachgehen kann. Darüber hinaus könne die Aussage der Mitarbeiterin, „ihr ginge es ganz gut“, nicht den hohen Beweiswert der AU-Bescheinigung entkräften. Zudem sei der Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch die angeordnete Quarantäne nicht ausgeschlossen.
Schuld oder nicht schuld – das ist hier die Frage
In der entscheidenden Frage waren sich die Richter einig, dass die dreifach geimpfte Dame ihre Arbeitsunfähigkeit nicht selbst verschuldet habe. Ein Eigenverschulden würde nämlich einen groben Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen (auf Unversehrtheit) voraussetzen. Auch die Wertung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG stehe dem nicht entgegen. Zumindest dann nicht, wenn im Urlaubsgebiet niedrigere Inzidenzwerte vorliegen als am Wohn- und Arbeitsort bzw. in Deutschland. In diesen Fällen gehe eine Reise in ein Hochrisikogebiet nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus (ArbG Kiel, 27.06.2022 – 5 Ca 229 f/22).
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wurde die Berufung zum LAG zugelassen.