25.11.2016

Unternehmen nutzen Mindestlohnausnahmen nur selten

Ausnahmen für Langzeitarbeitslose Stell‘ dir vor, es gelten Privilegien – und niemand nutzt sie. So die derzeitige Situation beim Mindestlohn. Da gibt es Ausnahmeregelungen bei der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen – doch sie bleiben weitgehend ungenutzt. Das Problem: die Beteiligten wollen nichts davon wissen.

Mindestlohn

Im ersten halben Jahr weniger als Mindestlohn möglich

Langzeitarbeitslose können sich für die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde beschäftigen lassen. Durch diese Ausnahmeregelung wollte der Gesetzgeber die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt nicht am Mindestlohn scheitern lassen.

Mindestlohn-Ausnahme selten genutzt

Der Haken: Die Langzeitarbeitslosen müssen in ihrem Jobcenter eine entsprechende Bescheinigung beantragen. Doch das tun sie nur selten, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg jetzt zeigt. Befragt wurden dafür 5450 Langzeitarbeitslose, die eine Stelle gefunden haben:

  • Weniger als zwei Prozent gaben an, eine Bescheinigung beantragt zu haben.
  • Zum Einsatz kam eine entsprechende Bescheinigung dann nur bei rund einem Prozent der Befragten.

Ausnahmeregelung für niemanden attraktiv

Für die Studie wurden auch 84 Jobcenter-Mitarbeiter befragt. Ihre Einschätzung: der Einsatz der Regelung ist weder für Jobcenter noch für Arbeitgeber noch für die Langzeitarbeitslosen attraktiv. Die Ausnahmeregelung spielt in der täglichen Vermittlungspraxis der sechs ausgewählten Jobcenter kaum eine Rolle. Für den Ausgleich individueller Leistungseinschränkungen von Langzeitarbeitslosen stünden aus Sicht der befragten Jobcenter-Mitarbeiter beispielsweise Eingliederungszuschüsse als passgenaueres Förderinstrument zur Verfügung.

Aus Arbeitgebersicht uninteressant

Auch aus Arbeitgebersicht sei die Anwendung der Ausnahmeregelung uninteressant. Vorbehalte gegenüber der Arbeitsmotivation oder den Arbeitstugenden von Langzeitarbeitslosen ließen sich nicht über niedrigere Löhne ausräumen. Sehe man aber bei einem Langzeitarbeitslosen eine Passung zu den Stellenanforderungen, so dürfte eine Entlohnung nach Mindestlohn nicht mehr das entscheidende Einstellungshemmnis sein.

Abweichen vom Mindestlohn kontraproduktiv

Ein Abweichen vom Mindestlohn kann nach Einschätzung der befragten Jobcenter-Mitarbeiter möglicherweise sogar kontraproduktiv sein. Dies könne die Arbeitsmotivation einschränken, in der übrigen Belegschaft ein Gefühl der Lohnkonkurrenz schaffen oder die Reputation als guter Arbeitgeber gefährden.

Ein halbes Jahr weniger als Mindestlohn?

Und für die Langzeitarbeitslosen selbst ist eine Beschäftigung unterhalb des Mindestlohnniveaus ohnehin wenig attraktiv. „Schließlich, so die Befragten in den Jobcentern, müssten die Langzeitarbeitslosen auch bereit sein, bei der Arbeitssuche von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen und gegebenenfalls ein halbes Jahr weniger als den Mindestlohn zu verdienen“, schreiben die IAB-Forscher.

Angemessenheit des Lohnes

Gerade die Höhe und die Angemessenheit des Lohnes sowie die Aussicht, den Arbeitslosengeld- oder Arbeitslosengeld-II-Bezug durch die Arbeitsaufnahme verlassen zu können, dürften die Langzeitarbeitslosen besonders motivieren. Bei einem Lohn unterhalb des Mindestlohnniveaus könne dagegen ein Gefühl der Diskriminierung entstehen.

Ausnahmeregelung? Nie gehört!

Hinzu kommt: vielen Langzeitarbeitslosen ist die Ausnahmeregelung gar nicht bekannt. Bei der Befragung der Langzeitarbeitslosen gab nur jeder vierte an, schon von ihr gehört zu haben. Ob die an ihnen interessierten Unternehmen es wussten, darüber gibt die Untersuchung keine Auskunft.

Weihnachtsgeld und Mindestlohn

Übrigens: Auch die Anrechnung von Weihnachtsgeld beim Mindestlohn sorgt in Unternehmen immer wieder für Streit.  Für viele Betriebe ist einem Bericht von „Personaltipp AKTUELL“ (14/2016 November) zufolge die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes und zusätzlich noch eines Weihnachtsgeldes wirtschaftlich nicht darstellbar. Die Gerichte urteilen in dieser Hinsicht arbeitgeberfreundlich – sofern bestimmte Punkte beachtet werden. Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe des Newsletters.

 

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Autor*in: Franz Höllriegel