15.01.2019

Tarifbindung – ja oder nein? Pro und Contra Tarifvertrag und Streik

Das Beispiel Metallbranche zeigt: die Tarifbindung hat unter Arbeitgebern immer weniger Freunde. Immer mehr bezweifeln, dass Tarifverträge auf jeden Betrieb anwendbar sind. Doch stimmt das? Eine Orientierungshilfe.

Tarifvertrag

Die Metallbranche – ein Beispiel für nachlassende Tarifbindung?

Es sieht jedenfalls so aus. Vor allem das Handwerk gibt der IG Metall Anlass zu Besorgnis. Sie fordert bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen im Handwerk. Hintergrund sind einer aktuellen Pressemitteilung der Organisation zufolge 200.000 fehlende Fachkräfte und 20.000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Viele Arbeitgeber weigerten sich, Tariflöhne zu zahlen. Deswegen habe das Handwerk stark an Attraktivität eingebüßt.

In der Branche arbeiten Gewerkschaftsangaben zufolge nur noch knapp 30 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben. Zwei Drittel der jungen Gesellen wanderten nach ihrer Ausbildung in die Industrie und in andere Wirtschaftszweige ab. Das führe zu hausgemachtem Fachkräftemangel und unzufriedenen Kunden wegen überlanger Wartezeiten von mittlerweile bis zu 13 Wochen, wie Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, zum Tag des Handwerks im September 2018 mitteilte. Er forderte Verbände und Innungen auf, dem Bekenntnis zur Tarifpartnerschaft endlich auch Taten folgen zu lassen. Nur mit Tarifbindung und Mitbestimmung könnten die Handwerksbetriebe die bedrohliche Fachkräftelücke schließen.

Die Rechnung, sich mit niedrigen Löhnen einen Vorteil zu verschaffen, gehe nicht auf. Die Flucht aus Tarifverträgen führe zu einem ruinösen Unterbietungswettbewerb zu Lasten der Beschäftigten und der Qualität. Nur mit guten Arbeitsbedingungen, Flächentarifverträgen, mit Beteiligung sowie attraktiver Fort- und Weiterbildung könne sich das Handwerk im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter noch behaupten.

Sind Tarifverträge im Handwerk überhaupt noch möglich?

Ja, durchaus. Erst kürzlich schloss die IG Metall Niedersachsen für 40.000 Beschäftigte im Metallhandwerk einen Tarifvertrag ab. Erstmals verpflichten sich hier die Arbeitgeber, für Beschäftigte ab 50 Jahre jeden Monat 50 Euro extra in die Rentenkasse zu zahlen. Sie wollen damit eine höhere Rente oder einen flexibleren Renteneintritt ermöglichen.

Aber eben nicht überall. In Hessen beispielsweise hätten die Arbeitgeber des Kfz-Handwerks ein Negativbeispiel abgeliefert. Der Landesinnungsverband war mit seinen fast 4.000 Betrieben aus der Tarifbindung ausgestiegen. Erst nach viel Druck durch die Beschäftigen habe bisher die Tarifbindung für immerhin 12.000 Beschäftigte der hessischen Kfz-Betriebe wiederhergestellt werden können. Die Tarifflucht sei flächendeckend. Die Erosion der Tarifbindung im Handwerk hat Kutzner zufolge mittlerweile bedrohliche Maße angenommen. In der aktuellen Diskussion um die Änderung der Handwerksordnung zur Wiedereinführung der Meisterpflicht in mehreren Handwerksberufen müsse auch die Stärkung der Tarifbindung auf den Tisch. „Wir brauchen kein Flickwerk, sondern einen verbindlichen Ordnungsrahmen aus einem Guss“, sagte Kutzner.

Arbeitskämpfe werden vonseiten der Gewerkschaften mit dem Ziel geführt, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Häufig geht es dabei um reine Lohnerhöhungen. Aber auch das Thema der individuell gestaltbaren Arbeitszeit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Am Ende eines Arbeitskampfs steht in den meisten Fällen der Abschluss eines Tarifvertrags. Ob dieser Tarifvertrag Konsequenzen für einen Betrieb hat, hängt davon ab, ob der Tarifvertrag auch auf die Arbeitsverhältnisse der Belegschaft anwendbar ist.

Wie entsteht eine Tarifbindung überhaupt?

Zunächst einmal kann sie durch Verbandsmitgliedschaft entstehen. Ob ein Tarifabschluss für ein Arbeitsverhältnis gilt, hängt davon ab, ob der Betrieb des Arbeitgebers unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Trifft das zu, gilt der Tarifvertrag trotzdem nicht automatisch. Grundsätzlich hat er nur für Arbeitsverhältnisse Gültigkeit, bei denen beide Vertragspartner tarifgebunden sind. Das ist der Fall, wenn

  • der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist und
  • der Arbeitgeber entweder selbst den Tarifvertrag geschlossen hat (sogenannter Firmentarifvertrag) oder Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands ist.

Liegt eine beiderseitige Tarifbindung vor, gilt der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend. Von den tarifvertraglichen Regelungen dürfen die Parteien dann nur zugunsten des Arbeitnehmers abweichen.

Was aber, wenn eine beiderseitige Tarifbindung nicht zustande kommt?

Das kommt vor – und gar nicht so selten. Dann kann ein Tarifvertrag auch ohne eine beiderseitige Tarifbindung Anwendung finden. Dafür muss das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Vertrag für allgemeinverbindlich erklären. Das kann es, wenn die Tarifvertragsparteien die Allgemeinverbindlichkeit gemeinsam beantragen. Zudem muss die Allgemeinverbindlichkeit im öffentlichen Interesse liegen. Das tut es in der Regel, wenn

  • der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung hat oder
  • tarifvertragliche Normen gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen abgesichert werden müssen.

Die Allgemeinverbindlichkeit betrifft in erster Linie Tarifverträge, die die übrigen Arbeitsbedingungen regeln (z. B. Manteltarifverträge). Beispielsweise sind Lohntarifverträge – mit Ausnahme der von Mindestlohnregelungen betroffenen Branchen – in den seltensten Fällen allgemeinverbindlich. Ein Tarifvertrag kann auch dadurch zur Geltung kommen, dass im Arbeitsvertrag auf ihn Bezug genommen wird. Dies geschieht häufig, um die allgemeinen Arbeitsbedingungen eines Tarifvertrags für die gesamte Belegschaft einheitlich zu gestalten – egal ob eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft besteht.

Welche Vorteile hat die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband?

Das muss das Unternehmen für sich selbst abwägen. Die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband kann für es unter Umständen weitreichenden Folgen haben. Zu den Vorteilen einer solchen Mitgliedschaft zählen z. B.

  • die Aushandlung von Tarifverträgen durch den Verband,
  • die Friedenspflicht während der Geltung eines Tarifvertrags,
  • die Beratung in arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Fragen sowie
  • die Prozessvertretung vor Arbeitsgerichten einschließlich Landes- und Bundesarbeitsgericht.

Allerdings stehen dem auch einige Nachteile gegenüber wie z. B.:

  • die Bindung an Tarifverträge,
  • die Einschränkung der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten,
  • hohe Mitgliedsbeiträge.

Mit anderen Worten: Arbeitgeber, die keinem Verband angehören, können auch leichter Opfer von Streiks werden, wenngleich sie es auch nicht müssen.

Wie ist das Streikrecht geregelt?

Nur dürftig. Das Grundgesetz regelt die Koalitionsfreiheit. Sie gestattet die Durchführung von Arbeitskämpfen. Ausdrückliche gesetzliche Regelungen, wie und unter welchen Voraussetzungen Arbeitskämpfe geführt werden können und dürfen, gibt es jedoch nicht. Was im Arbeitskampf erlaubt ist, wird in erster Linie durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte festgelegt. Mittel des Arbeitskampfs sind:

  • Streik auf Arbeitnehmerseite sowie
  • Aussperrung auf Arbeitgeberseite.

Als Streik bezeichnet man

  • eine gemeinsame und planmäßige vorübergehende Niederlegung der Arbeit
  • durch eine größere Anzahl von Arbeitnehmern
  • zur Erreichung eines bestimmten Ziels (z. B. Lohnerhöhungen oder Verbesserung der Arbeitsbedingungen).

Ob ein Betrieb bestreikt werden kann oder nicht, hängt nicht davon ab, ob der Arbeitgeber Mitglied in einem Arbeitgeberverband ist. Gegner der Gewerkschaft bei einem Streik können

  • Vereinigungen von Arbeitgebern (Arbeitgeberverbände) oder
  • ein einzelner Arbeitgeber sein, der nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist.

In letzterem Fall steht der Arbeitgeber der Gewerkschaft bei den Verhandlungen über einen sogenannten Firmentarifvertrag allein gegenüber.

Wann ist ein Streik rechtmäßig?

Man unterscheidet zwischen

  • Rechtmäßigen und
  • Wilden Streiks.

Voraussetzung für einen rechtmäßigen Streik ist zunächst, dass er von einer Gewerkschaft geführt wird. Eine weitere Voraussetzung eines rechtmäßigen Streiks besteht darin, dass die Ziele des angestrebten Tarifvertrags rechtmäßig sind und innerhalb der Tarifmacht der Parteien stehen. Erforderlich ist weiter, dass sich der Streik gegen den potenziellen Tarifvertragspartner richtet. Ein Streik zur Durchsetzung politischer Forderungen ist daher unzulässig. Aus diesem Grund kann auch ein Sympathiestreik rechtswidrig sein, wenn er zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs ungeeignet ist. Ist ein Streik nicht gewerkschaftlich getragen, sondern beispielsweise allein durch den Betriebsrat organisiert, spricht man von einem wilden Streik. Der ist unzulässig. Möglich ist aber, dass die Gewerkschaft eine zunächst spontane Arbeitsniederlegung übernimmt und daraus ein zulässiger Streik wird.

Zudem müssen die Streikparteien die Friedenspflicht beachten. Arbeitskampfmaßnahmen während diesen sind verboten. Friedenspflicht verpflichtet die Tarifpartner solange Arbeitskampfmaßnahmen zu unterlassen, wie für den fraglichen Streitgegenstand noch eine tarifliche Regelung oder ein Schlichtungsabkommen gilt. Ist der Arbeitgeber nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband, mit dem ein Tarifvertrag besteht, und existiert für den Betrieb auch kein Firmentarifvertrag, gilt keine Friedenspflicht. So ein Betrieb kann deshalb jederzeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder zur Erzielung von Lohnerhöhungen durch einen gewerkschaftlich organisierten Streik in einen Arbeitskampf verwickelt werden.

Wann kann der Streik beginnen?

Nicht sofort. Auch wenn die Grundvoraussetzungen für einen Streik vorliegen, kann die Gewerkschaft noch nicht den Streik ausrufen. Erst ist noch seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Sie richtet sich gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten und dem Allgemeinwohl. Dazu gehört auch, dass Arbeitskampfmaßnahmen nur zulässig sind, wenn alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Bis zur endgültigen Erklärung des Scheiterns der Verhandlungen sind lediglich Warnstreiks erlaubt.

Welche Konsequenzen hat ein Streik?

Liegt ein rechtmäßiger Streik vor, hat dies folgende rechtliche Konsequenzen:

  • Ruhen des Arbeitsverhältnisses, d. h., die streikenden Arbeitnehmer werden von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreit. Dafür entfällt die Vergütungspflicht des Arbeitgebers ihnen gegenüber.
  • Ausschluss von Kündigungen und Abmahnungen wegen des Streiks.
  • Arbeitsverweigerungsrecht von nicht-streikenden Mitarbeitern für Tätigkeiten, die ansonsten ein streikender Mitarbeiter machen würde.
  • Seit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern zum Streikbruch verboten.

Ein Verzeichnis der in Deutschland allgemeinverbindlichen Tarifverträge kann auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter der Adresse https:// tinyurl.com/y84swacp eingesehen werden.

Autor*in: Franz Höllriegel