Sexismus im Büro – wo fängt er an, wie verhindern Sie ihn?
Harvey Weinstein, Dieter Wedel, Dominique Strauss-Kahn – die Liste tatsächlich bzw. vermutlich sexualübergriffiger Prominenter ist lang. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Sexismus am Arbeitsplatz scheint verbreitet. Wie schützen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter davor?
Alarmierende Zustände im Arbeitsleben
Die aktuelle #MeToo-Debatte fördert alarmierende Zustände im Arbeitsleben ans Tageslicht. Millionen Frauen haben sich schon mit Sexismus oder Belästigung im Job konfrontiert gesehen. Viele meinen, das Problem habe zugenommen. 26 Prozent aller befragten Frauen haben in ihrem Arbeitsumfeld schon selbst einmal Formen von sexueller Belästigung oder von sexistischem Verhalten erlebt. Mehr als jede vierte Frau in Deutschland wird an ihrem Arbeitsplatz Opfer sexueller Belästigung.
Das hat eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Beamtenbunds dbb ergeben, über die dpa berichtet. Konkret haben demzufolge 26 Prozent in ihrem Arbeitsumfeld schon selbst einmal Formen von sexueller Belästigung oder von sexistischem Verhalten erlebt. Nimmt man dazu, wenn Frauen bei Kolleginnen und Kundinnen solche Belästigung wahrgenommen haben, sind es sogar 35 Prozent. Männer haben laut der Umfrage zu sechs Prozent schon einmal selbst sexuelle Belästigung oder sexistisches Verhalten erfahren.
Sexuelle Belästigung gehört in vielen Betrieben zum Arbeitsalltag
Sexismus am Arbeitsplatz ist heute ein gesellschaftliches Problem, das kein Tabuthema mehr ist. Doch wo fängt Sexismus am Arbeitsplatz an? Kann man ihn rechtlich gesehen definieren? Die Richtlinie der Europäischen Union 2006/54 verbietet „jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in unerwünschter verbaler, nicht-verbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird“. Untersagt sind: Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung. Entwürdigung, Beleidigung. Gewalt gegen Frauen nennt die EU „eines der verbreitetsten Verbrechen dieser Zeit“.
So ist die rechtliche Lage in Deutschland
In Deutschland gilt seit 2016 das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Es gibt ein Beschwerderecht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthält konkrete Umschreibungen für den Tatbestand der sexuellen Belästigung:
Tatbestand der sexuellen Belästigung
Dieser ist gemäß § 3 Abs. 4 AGG bei einem unerwünschten, sexuell bestimmten Verhalten erfüllt, namentlich bei
- unerwünschten sexuellen Handlungen und Aufforderungen zu diesen,
- sexuell bestimmten körperlichen Berührungen,
- Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie
- unerwünschtem Zeigen und sichtbarem Anbringen von pornografischen Darstellungen.
Täter einer sexuellen Belästigung können der Arbeitgeber selbst, Vorgesetzte, Kollegen oder Dritte (z. B. Kunden oder Lieferanten) sein.
In welchen Erscheinungsformen kann sexuelle Belästigung zu Tage treten?
Die Erscheinungsformen sexueller Belästigungen sind vielfältig. Sie können mit Worten (verbal), mit Gesten, Blicken, schriftlich, akustisch, nonverbal oder physisch erfolgen:
verbal
- Bemerkungen und Witze über sexuelle Merkmale, sexuelles Verhalten oder sexuelle Orientierung von Frauen und Männern
- anzügliche und zweideutige Bemerkungen über das Äußere
- sexualisierte Einladungen und Aufforderungen mit eindeutiger Absicht
- Fragen mit sexuellem Inhalt, z. B. zum Privatleben oder zur Intimsphäre
nonverbal
- Verbreitung von freizügigen und pornografischen Bildern im Betrieb (Pin-Up-Kalender)
- aufdringliches Anstarren
- Hinterherpfeifen
- Zusendung unerwünschter E-Mails, SMS, Fotos oder Videos
- unangemessene und aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken
physisch
- unerwünschte Körperkontakte, auch an grundsätzlich unverfänglichen Stellen
- Aufforderung zu sexuellen Handlungen mit Versprechen von Vorteilen oder Androhen von Nachteilen – sexuelle Übergriffe, Nötigung, Vergewaltigung
Wonach bemisst sich sexuelle Belästigung?
Sexuelle Belästigung wird im Alltag oft mit physischer Gewalt gleichgesetzt. Sexuell übergriffiges und belästigendes Verhalten kann aber bereits dann vorliegen, wenn das Strafgesetzbuch noch nicht eingreift. Dabei werden verbale und nonverbale Belästigungen immer wieder verharmlost und Betroffenen vorgeworfen, dass sie überempfindlich auf Witze oder Flirtversuche reagieren.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als harmloser Flirt oder eben doch als sexuelle Belästigung einzuordnen ist, ist nicht entscheidend, wie der Täter sein Handeln eingeschätzt oder beurteilt haben will, sondern es ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Stellt der Täter sein Verhalten selbst als harmlos oder sexuell unbeachtlich dar, wird die Sichtweise eines objektiven Dritten zugrunde gelegt und das Verhalten danach beurteilt. Maßgebend ist außerdem die subjektive Sicht des Belästigten, soweit sie objektiv erkennbar ist.
Was kann ich als Arbeitgeber tun, um meine Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen?
Gemäß den Vorgaben des AGG hat jeder Arbeitgeber seinen Beschäftigten gegenüber eine Schutzpflicht, sexuelle Belästigungen zu verhindern. Dies bedeutet zunächst, dass sich der Arbeitgeber durch Information und vorbeugend dafür einsetzen muss, dass es erst gar nicht zu sexuellen Belästigungen kommt. Dies kann in mehreren Schritten geschehen:
- Grundsätzlich sollte sich die Führungsebene eindeutig von einem sexuell bestimmten Umgangston im Betrieb distanzieren und diese Ansicht offen kommunizieren. Vorgesetzte sollten zur Beachtung der gleichen Maßstäbe verpflichtet und angehalten werden. Je nach Größe und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betriebes sollten Schulungen und Workshops für alle Beschäftigten und verpflichtende Fortbildungen für Personalverantwortliche und Betriebsräte angeboten werden.
- Eine wirksame Maßnahme gegen sexuelle Belästigungen im Betrieb ist ein offener Umgang mit dem Thema. Er sollte alle Mitarbeiter darüber aufklären, welche Verhaltensweisen konkret als sexuelle Belästigung laut juristischer Definition gelten.
- In einem weiteren Schritt muss das Opfer die Gelegenheit bekommen, den Sachverhalt umfassend darzulegen. Das Gespräch sollte transparent sein und der betroffenen Person Sicherheit und Vertrauen vermitteln, dass ihr Anliegen ernst genommen wird.
- Im nächsten Schritt ist der Beschuldigte zu den Vorwürfen zu befragen. Bestätigt sich die Beschwerde, sind entsprechende Maßnahmen und Sanktionen zu prüfen und umzusetzen. Bestreitet die beschuldigte Person den Vorwurf, wird die Situation kompliziert.
- Dann müssen unter Umständen Zeugen gehört werden, um den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Gibt es keine Zeugen, ist guter Rat teuer. Dann steht Wort gegen Wort. In diesem Fall müssen sich Arbeitgeber und Personalverantwortliche auf ihre Menschenkenntnis verlassen. Ob sie gegen den vermeintlichen Täter eine Sanktion verhängen, hängt davon ab, wie glaubwürdig die Aussage des Opfers ist. Sind beide Aussagen glaubwürdig, kann eine Mediation sinnvoll sein.
Das sollten Sie über eine Beschwerdestelle wissen!
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine Beschwerdestelle im Betrieb zu benennen, bei der sich die Beschäftigten über den Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kollegen oder Dritte beschweren können, wenn sie sich wegen eines im AGG genannten Grundes, insbesondere auch bei einer sexuellen Belästigung, benachteiligt fühlen.
Die Einrichtung der Beschwerdestelle und die benannten Personen müssen allen Beschäftigten bekannt gemacht werden. Die Information sollte mindestens über einen Aushang oder eine E-Mail erfolgen.
Mit wem der Arbeitgeber die Beschwerdestelle personell besetzt, ist ihm überlassen. In Betracht kommen hier insbesondere:
- Mitarbeiter aus der Personal- oder Rechtsabteilung,
- Gleichstellungsbeauftragte,
- sonstige engagierte Mitarbeiter, die in der Belegschaft ein besonderes Vertrauen genießen.
Empfehlenswert ist es, jeweils entsprechend geschulte weibliche und männliche Ansprechpartner zu benennen. Die Beschwerdestelle ist verpflichtet, jeder Beschwerde nachzugehen und den Arbeitgeber über jede Beschwerde zu informieren. Mitarbeitern, die eine Beschwerde einreichen, dürfen dadurch keine Nachteile entstehen, unabhängig davon, ob die Beschwerde begründet war oder nicht.
Welche Maßnahmen muss der Arbeitgeber überprüfen?
Bestätigt sich der angezeigte Übergriff oder glaubt der Arbeitgeber dem Opfer, so hat er die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen. Dabei muss er abgestuft überprüfen, ob
- eine Entschuldigung und eine Abmahnung ausreichend sind,
- eine räumliche Trennung hilft,
- der Konflikt durch zeitliche Maßnahmen (z. B. Versetzung in eine andere Schicht) lösbar ist,
- eine Umsetzung innerhalb einer Gruppe von Mitarbeitern hilft oder
- die Kündigung als das einzig mögliche Mittel übrig bleibt.
Welche Folgen können sich für den Arbeitgeber ergeben?
Die Schutzpflichten gegenüber sexuell belästigten Mitarbeitern bringen den Arbeitgeber bisweilen in ein Dilemma. Seine gegenüber dem Täter ergriffenen Maßnahmen kann dieser durch die Arbeitsgerichte überprüft lassen. Hat eine Kündigung danach keinen Bestand, hat der Arbeitgeber zwar das Opfer vorbildlich geschützt, durch seine Niederlage im Kündigungsschutzverfahren jedoch einen erheblichen finanziellen Schaden erlitten, wenn er dem Mitarbeiter für den Lauf des Verfahrens den Verzugslohn nachzahlen muss.
Fazit
Vorbeugen ist besser als Nachsehen. Gehen Sie das Thema im Betrieb offen an, treffen Sie vorbeugende Maßnahmen und vermeiden Sie so möglichst sexuelle Belästigungen von vorne herein. Das spart ungute Folgen und finanzielle Aufwände im Nachhinein.