21.09.2020

Poka Yoke: Eine Technik zur 100-Prozent-Kontrolle?

Kein Fortschritt ohne Fehler. Warum dann Fehler vermeiden? Wollen wir denn keinen Fortschritt? Typischer Fall von zu kurz gedacht. Es muss heißen: kein Fortschritt ohne Fehlervermeidung. Sie aber lässt sich schon mit einfachen Mitteln erreichen: mit der japanischen Poka-Yoke-Technik.

Poka Yoke

Schon wieder eine japanische Technik – muss das sein?

Wie es scheint, geht es nun mal nicht ohne, jedenfalls nicht bei der Suche nach dem Heiligen Gral der Fehlervermeidung. In Japan wurde die Forderung nach einer Null-Fehler-Produktion schon frühzeitig vorangetrieben. Gerade, was den Ersatz ungeeigneter Werkzeuge zur Fehlerbeseitigung durch neue Praktiken angeht, sind japanische Unternehmen immer noch führend.

Denken Sie nur an die Tankdeckel unserer Autos, die man während des Tankens aufs Autodach legt und dann dort vergisst. Abhilfe schaffte ein ganz simples Mittel: eine Schnur – ein typisches Beispiel der japanischen Poka-Yoke-Technik. Der Tankdeckel ist durch eine Schnur am Fahrzeug befestigt und kann nicht mehr auf dem Autodach vergessen werden. Wie dort, können Sie auch sonst mit einfachen Mitteln dieser Technik Fehler vermeiden.

Poka Yoke – wieder eines dieser schwer verständlichen japanischen Fremdwörter. Was ist damit gemeint?

Eben das: Vermeiden von unbeabsichtigten Fehlern. Nichts anderes heißt Poka Yoke übersetzt. Erfinder dieses Managementkonzepts ist ein Dr. Shigeo Shingo, Japaner, wie sich leicht denken lässt. Er hat in den 1960er-Jahren bei dem japanischen Autobauer Toyota als Industrieingenieur gearbeitet.

Damals führte Toyota ein neues Produktionssystem (TPS) ein – und Dr. Shingo war maßgeblich an der Entwicklung auf Basis der statistischen Qualitätskontrolle (SQC) beteiligt, der Poka-Yoke-Methode. Für seine Fehlervermeidungsstrategien verlieh ihm die Utah State University einen Ehrendoktor. Er gilt als einer der bedeutendsten Ingenieure für Qualitätssicherung weltweit und die dafür erforderliche Vermeidung von Mängeln.

Mängel – was ist darunter in diesem Zusammenhang zu verstehen?

Nach Shingo entstehen Mängel fast immer durch Fehler der Mitarbeiter. Er hält es aber quasi für unmöglich, menschliche Fehler vollständig zu verhindern. Also, so Shingo, braucht es Methoden, um

  • Fehler innerhalb eines Systems entweder unmöglich zu machen
  • oder diese zumindest baldmöglichst zu entdecken.

Nun gibt es zwei extreme Ansätze zur Problemlösung:

  • die Produktionsbedingungen so gestalten, dass möglichst keine Fehler mehr auftreten können, wenn es schon im Vorfeld nicht möglich ist, Fehler gänzlich zu verhindern. Dann sollten diese aber zumindest frühzeitig entdeckt und mögliche Folgeschäden auf ein Mindestmaß verringert werden können.
  • Mögliche Fehler ganz ausschalten. Dies würde voraussetzen, vor allem Fehlhandlungen durch den Menschen vollständig zu verhindern – letztlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wie heißt es so schön: Nobody is perfect. Kein Mensch kann völlig fehlerfrei arbeiten. Beim Umgang mit festgestellten Fehlern gibt es in den Betrieben allerdings deutliche Unterschiede. Als Führungskraft können Sie Fehler beispielsweise als natürlich akzeptieren, weil sie sich eben nicht vollkommen vermeiden lassen. Bei einer solchen Grundhaltung entdecken Sie sie allerdings häufig erst spät oder sie machen sich unter Umständen sogar erst beim Kunden bemerkbar.

Die Lösung liegt – wie so oft – in der Mitte zwischen beiden extremen Ansätzen. Poka Yoke setzt dabei auf drei Komponenten:

  • Ursachenanalyse: mit ihr können Sie als Führungskraft mögliche Fehlhandlungen Ihrer Mitarbeiter entdecken, bevor daraus Fehler entstehen können. Dadurch können Sie erkannte Fehlhandlungen noch im Entstehen vermeiden.
  • Durch einfache (Stichwort Tankdeckelschnur) und kostengünstige Einrichtungen – dem eigentlichen Poka Yoke – können Sie bei einer Vollprüfung Fehlhandlungen ziemlich zeitnah entdecken. Gerade unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit sollten Sie die Möglichkeit nutzen, durch einfache Einrichtungen jedes einzelne Teil – und nicht nur Stichproben – zu überprüfen.
  • Durch sofortige Korrekturmaßnahmen sind Sie schließlich in der Lage, die Reaktionszeit zwischen der Entdeckung von Abweichungen bis zur Einleitung von Korrekturmaßnahmen gering zu halten.

Was genau sind die Ansätze des Poka Yoke zur Problemlösung?

Im Wesentlichen zwei unterschiedliche Maßnahmen:

  • direkt am Produkt,
  • am Prozess.

Besonders wirksam sind Vorkehrungen direkt am Produkt. Mit ihnen können Sie häufig bereits in der Konstruktionsphase potenzielle Fehler verhindern. Zu den bekanntesten Poka-Yoke-Beispielen gehört der Tankdeckel am Auto. Ein anderes Beispiel finden Sie auf der Rückseite Ihres PCs. Hier sind die Stecker nicht nur unterschiedlich konzipiert, sondern sogar farblich gekennzeichnet und sollen so ein verkehrtes Einstecken verhindern.

Um schon in der Konstruktionsphase mögliche Fehler samt ihren Ursachen zu finden, greifen Sie beispielsweise auf die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) oder das Fischgrät-Diagramm zurück. Anhand eines Fischskeletts macht es die Beziehungen zwischen den Ursachen und ihren Wirkungen transparent. Die Kenntnis und das Verstehen des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung bildet eine der Grundlagen jeder Prozessverbesserung. Näheres hierzu finden Sie in unserem Beitrag zum Ishikawa-Diagramm.

Beispiel: Die für einen Kugelschreiber benötigten Teile (Gehäuse, Mine, Feder etc.) stehen abgezählt in Boxen zur Montage zur Verfügung. Bleibt nach dem Zusammenbau auch nur ein einziges Teil liegen (z. B. eine Feder), ist ein Fehler aufgetreten. Folge: (mindestens) ein Kugelschreiber funktioniert nicht.

Wann kommt prozessorientiertes Poka Yoke zum Einsatz?

Zumal dann, wenn Sie das Produkt nicht mehr verändern können. Dann können Ihnen Poka-Yoke-Prozessmaßnahmen bei der Fehlervermeidung helfen. Es ist zwar teuer, entsprechende Prüfsysteme in bestehende Prozesse einzubauen. Dennoch haben Sie häufig keine andere Option, wenn Sie erst während der laufenden Fertigung erkennen, welche zufälligen Fehler auftreten können. Zu den in Betracht kommenden Maßnahmen gehören:

  • Auslösemechanismen und
  • Regulierungsmechanismen.

Wichtige Auslösemechanismen sind:

  • die Kontaktmethode und
  • die Fixwertmethode.

Bei der Kontaktmethode kommen Sensoren zum Einsatz, die unzulässige Abweichungen erkennen bei:

  • Größe,
  • Umfang,
  • Gestalt oder
  • Gewicht.

Die Fixwertmethode kommt bei Prozessen mit mehreren aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten zum Einsatz. Übrigens: Sie können so auch Trends erkennen. Steigt beispielsweise die abgefüllte Menge (gemessen am Gewicht) stetig an, kann ein akustisches Signal auf diesen Trend aufmerksam machen. Der Prozess läuft zwar zunächst weiter, die zuständigen Mitarbeiter werden aber auf den Trend hingewiesen und können korrigierend eingreifen.

Wo kommen Regulierungsmechanismen zum Einsatz?

Sie sollen einen Fehler bereits in der Entstehungsphase erkennen. Dabei signalisiert der Mechanismus den Fehler nur und löst einen Alarm aus. Oder er stoppt sofort den gesamten Prozess zumindest bei schwerwiegenden Fehlern.

Die Alarmmethode weist lediglich auf fehlerträchtige Situationen bei Überschreiten von Toleranzbereichen.

Beispiel 1: der Abbiegeassistent für LKW. In der Diskussion ist die Variante, die dem Fahrer nur ein Signal beim Rechtsabbiegen gibt, wenn sich im toten Winkel ein Verkehrsteilnehmer bewegt. Diese Variante ist die billigere, aber auch die schlechtere. Denn angesichts der Vielfalt von Signalisierungen für den Fahrer kann dieses Signal untergehen und vom Fahrer möglicherweise nicht zeitig genug wahrgenommen werden, geschweige denn ihn zu zeitgerechten und unter Umständen lebenserhaltenden Reaktionen zwingen: nämlich sein Fahrzeug unmittelbar zu einem kompletten Halt zu bringen.

Beispiel 2: Stellen Sie sich das automatische Abfüllen von Lebensmitteln (Reis, Salz etc.) vor. Hier könnte eine Waage die abgefüllte Menge kontrollieren. Liegt das Gewicht außerhalb einer festgelegten Toleranzschwelle (beispielsweise ±2 Prozent), liegt ein Fehler vor.

Anders die Eingriffsmethode. Hier werden die beteiligten Prozesse bei Feststellen eines Fehlers unverzüglich gestoppt.

Wieder Beispiel 1: der Abbiegeassistent für LKW. Die teure und technisch schwieriger zu verwirklichende Variante stoppt den LKW sofort, wenn im toten Winkel des LKW sich ein Verkehrsteilnehmer nähert. Sie wäre die einzig wirkungsvolle Variante, die aber in absehbarer Zeit aus den genannten Gründen (Technik, Kosten) nicht zur Umsetzung gelangen wird.

Anderes Beispiel: Vielleicht kennen Sie ja bei Bestellungen in einem Internetshop die Situation, dass sich ein Bestellformular nur abschicken lässt, wenn Sie alle Pflichtfelder (z. B. Name, Lieferadresse, Rechnungsadresse etc.) ausgefüllt haben. Fehlt eine notwendige Angabe, wird das Abschicken des Formulars blockiert, d. h. der Prozess unterbrochen. Häufig informiert Sie eine farbliche Hervorhebung über den fehlenden Eintrag.

Was machen wir mit unbekannten Fehlern?

Eine berechtigte Frage. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Das ist also leicht. Aber was, wenn Gefahr nicht erkannt? Dann auch gebannt? Wohl doch wohl eher nicht. Einen bisher unbekannten Fehler können Sie nur entdecken:

  • entweder während oder
  • nach seiner Entstehung – wenn’s schlimm kommt, erst nach Auslieferung des Produkts bei einem Ihrer Kunden, gar nicht auszudenken!

In beiden Fällen sollte Ihr Ziel darin bestehen, den Fehler wenigstens möglichst frühzeitig zu erkennen. Mögliche Fehlhandlungen erkennen Sie, indem Sie besonders fehleranfällige Prozessschritte genau beobachten. Nach Untersuchung der möglichen Fehler entscheiden Sie, ob Sie durch Einsatz von Poka Yoke Lösungsmöglichkeiten ausfindig machen können. Das kann Sie zwar vielleicht etwas kosten, aber in vielen Fällen immer noch vergleichsweise wenig. Vor allem: Sie können dies kurzfristig umsetzen. Und: Sie können Ihre Prozesse hierdurch kontinuierlich verbessern.

Wie bestimmen Sie die Ursachen bereits bekannter Fehler?

Dazu analysieren Sie alle dem Fehler vorangegangenen Prozessschritte. Dann sehen Sie, ob Sie den Fehler durch Poka Yoke beseitigen und zukünftig vermeiden können. Häufig werden Sie durch Einsatz einer geeigneten Poka-Yoke-Methode den Prozessschritt nicht nur fehlerfrei gestalten können, sondern auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. So kommen Sie Ihrem Ziel einer Null-Fehler-Produktion einen entscheidenden Schritt näher.

Autor*in: Franz Höllriegel