Geschäftsübernahme: Chance oder Risiko?
Neue Kunden, neue Runden. Darüber freuen sich diese in der Kneipe – und auch im Geschäftsleben kommt beim Erwerb eines anderen Betriebes Freude auf, verspricht dieser doch neue Kunden – aber zudem neue Mitarbeiter. Was die angeht, sollten Sie eine Übernahme genau überlegen.
Wieso sollten Sie als Unternehmen eine Betriebsübernahme genau überlegen?
Sehr oft liegt das am Merger-Syndrom. Führungskräfte kennen die so bezeichneten Auswirkungen der mit Fusionen und Unternehmensübernahmen verbundenen Veränderungsprozesse auf die Mitarbeiter nicht. Dem Syndrom ordnen Alexander Pundt und Friedemann W. Nerdinger in ihrem Buch „Führungskompetenz bei Fusionen und Unternehmensübernahmen“ folgende psychologischen Prozesse zu:
- Mitarbeiter haben den Eindruck, dass sie auf die Veränderungen keinen Einfluss haben,
- die Identität der Mitarbeiter aus den übernommenen Unternehmen ist bedroht und
- die Prozesse werden gewöhnlich als ungerecht erlebt.
Um diesen negativen Folgen effektiv begegnen zu können, benötigen Führungskräfte bestimmte entwickelbare Kompetenzen, die Pundt und Nerdinger in ihrem Buch diskutieren.
Also nur eine Frage der Psychologie?
Nein. Hinzukommen umfangreiche rechtliche Aspekte, die Sie als übernehmendes genauso wie als abgebendes Unternehmen vor einer Betriebsübernahme berücksichtigen, soll sie erfolgreich sein. So oder so werden Sie als Unternehmen bestrebt sein zu verhindern, dass durch die Übernahme eines Unternehmens dessen Beschäftigte rechtliche Nachteile erleiden. Das hat auch der Gesetzgeber im Blick, wenn er in § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges regelt. Diese Vorschrift entspricht in weiten Teilen den Vorgaben einer europarechtlichen Richtlinie. Entsprechend stark ist die Prägung gerichtlicher Auseinandersetzungen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH).
Welche Ziele verfolgt die gesetzliche Regelung?
- 613a BGB ist vorrangig eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer mit folgenden wesentlichen Zielsetzungen:
- den sozialen Besitzstand der Arbeitnehmer beim neuen Inhaber lückenlos zu erhalten
- den Bestand des Betriebsrats und seiner Mitbestimmungsrechte zu garantieren
- die Kontinuität des Betriebes durch Fortbestand der eingearbeiteten Belegschaft zu sichern
- eine Verteilung der Haftungsrisiken zwischen dem alten und dem neuen Inhaber vorzunehmen
Was bedeutet Betriebsübergang?
Der genannte Paragraph im BGB sieht einen Betriebsübergang, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch ein Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht.
Was ist ein Rechtsgeschäft?
Die Gerichte legen diesen Begriff sehr weit aus und können darunter verstehen:
- Kauf eines Betriebes oder Betriebsteils
- nahezu jeden vertraglichen Inhaberwechsel, z. B. durch
- Kaufverträge
- Pachtverträge
- Nießbrauchverträge
- Schenkungsverträge u.a.
Ist jedes Geschäft ein Betriebsübergang?
Nein, nicht jede Transaktion im Zusammenhang mit der Übertragung von Betriebsmitteln ist zwangsläufig ein Betriebsübergang nach BGB. Die Rechtsprechung erkennt dessen Rechtsfolgen nur, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil betroffen ist, d. h. bei Übergang:
- einer wirtschaftlichen Einheit
- unter Wahrung ihrer Identität
- auf einen anderen Inhaber
Jedoch kann man diese Frage nicht generalisierend beantworten. Deswegen überprüfen die Gerichte in jedem Einzelfall:
- die Identität des betroffenen Betriebes
- Veräußerung einer wirtschaftliche Einheit oder nur einzelner Betriebsmittel, z. B. Maschinen
Ob ein Betriebsübergang vorliegt, hängt dabei von der Art des Betriebes ab:
- betriebsmittelarmer Betrieb: Betriebsübergang kann unter Umständen vorliegen, wenn
- Know-how der Mitarbeiter oder Kundenkontakte eine wesentliche Rollespielen,
- Aber kaum materielle Betriebsmittel übergehen.
- Produktionsbetrieb: Betriebsübergang kann nur dann vorliegen, wenn
- auch ein erheblicher Teil der Maschinen auf den neuen Erwerber übergeht
- kein Betriebsübergang, sondern share-dealliegt hingegen vor, wenn nur Gesellschaftsanteile an einen oder mehrere neue Gesellschafter veräußert werden; hat in arbeitsrechtlicher Hinsicht keinerlei Auswirkungen. Arbeitgeber der Beschäftigten bleibt die Gesellschaft. Wer die Gesellschafter sind und ob hier ein Wechsel vollzogen wird, spielt rechtlich keine Rolle.
Welche Kriterien sind für die Arbeitsgerichte entscheidend?
Die Rechtsprechung hat ihre Kriterien nicht gewichtet. Welche Kriterien den Ausschlag geben, hängt von den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Maßgeblich sind danach folgende Aspekte:
- Art des Betriebes: Bandbreite reicht vom betriebsmittelreichen Produktionsbetrieb bis zum betriebsmittelarmen Dienstleister
- Übergang welcher sachlichen Betriebsmittel: Maschinen, Gebäude
- deren Wert
- Übernahme immaterieller Betriebsmittel: Know-how, Patente, Lizenzen, bestehende Organisation
- Bedeutung der Hauptbelegschaft und ihre Weiterbeschäftigung für die Fortführung des Betriebes durch den Erwerber: Übernahme von Know-how-Trägern
- Übernahme von Kundenstamm und Lieferantenbeziehungen
- Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten
- Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit zwischen Übernahme und Wiederaufnahme
Eine reine Auftragsnachfolge, z. B. die Übernahme eines Reinigungsauftrages für einen Bürokomplex, stellt keinen Betriebsübergang dar, wenn das zuvor damit befasste Personal oder Betriebsmittel nicht übernommen werden.
Gehen Arbeitsverhältnisse auf Sie als neuen Inhaber über?
Kommt auf die Wertung der maßgeblichen Kriterien an. Liegt ihnen zufolge ein Betriebsübergang vor, gehen auf Sie als den neuen Inhaber über:
- die Arbeitsverhältnisse aller zum Zeitpunkt des Überganges im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer
- der leitenden Angestellten
- mit allen Rechten und Pflichten
Benötigen Sie als neuer Inhaber irgendwelche Vereinbarungen mit den Mitarbeitern des erworbenen Betriebes?
Nein, der Übergang erfolgt per gesetzlicher Anordnung, d. h., es bedarf keiner ausdrücklichen Vereinbarung zwischen Ihnen als Betriebserwerber und Ihren neuen Mitarbeitern. Vereinbarungen zwischen dem alten und Ihnen als neuem Betriebsinhaber, wonach Sie keine oder nur bestimmte Arbeitnehmer übernehmen, sind unzulässig und entfalten gegenüber den Betroffenen keine Wirkung.
Was heißt hier „Mitarbeiter“: alle Beschäftigten des übernommenen Betriebes?
Nein, nur Arbeitnehmer gehen über auf Sie als neuem Inhaber. Nicht per Gesetz gehen an Sie über und verbleiben daher rechtlich mit dem Betriebsveräußerer verbunden:
- nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigte des übernommenen Betriebes
- Freie Mitarbeiter
- Werkvertragsnehmer
- Handelsvertreter
- Organmitglieder, z. B. GmbH-Geschäftsführer
Was bedeutet ein Betriebsübergang für Sie in der Praxis?
Das BGB bestimmt an der angegebenen Stelle weitere Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges, wie den Fortbestand von Rechten und Pflichten, sofern von Ihnen als Erwerber nicht durch eigenen Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt, aus:
- einem beim alten Betriebsinhaber geltenden Tarifvertrag
- einer dort bestehenden Betriebsvereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrages mit dem Erwerber
Für Verbindlichkeiten, die bereits vor dem Zeitpunkt des Überganges bestanden haben, haften Sie als Erwerber und der vorige Arbeitgeber als Gesamtschuldner.
Wird der Arbeitsvertrag bei Betriebsübergang neu vereinbart?
Nein, es bleibt der alte Arbeitsvertrag bei Betriebsübergang erhalten und geht automatisch auf Sie als neuen Arbeitgeber über. Bei einem Betriebsübergang treten Sie als neuer Betriebsinhaber „in die Rechte und Pflichten des bestehenden Arbeitsverhältnisses“ ein. Für den Arbeitnehmer ändert sich also nur der Vertragspartner. Er behält seinen alten Arbeitsvertrag und bekommt Sie als seinen neuen Arbeitgeber.
Können Sie als Erwerber des Betriebes den Personalbestand dabei verschlanken?
Nein, das will der Gesetzgeber gerade vermeiden. Dieser Übergang lässt sich nicht ausschließen. Die beiden Arbeitgeber können diese Regelung nicht umgehen, indem sie den Arbeitnehmer entlassen. Deswegen enthält § 613a Abs. 6 BGB ein für Sie als Arbeitgeber geltendes Kündigungsverbot aus Anlass eines Betriebsüberganges. Kündigung wegen des Betriebsüberganges ist unwirksam (§ 613a Abs. 4 BGB). Dieses Verbot besteht unabhängig von der Größe des Betriebes auch in Kleinbetrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern, in denen das Kündigungsschutzgesetz nicht gilt. Eine Kündigung, die Sie als Arbeitgeber nicht aus Anlass des Betriebsüberganges aussprechen, bleibt weiterhin zulässig. Es ist daher durchaus möglich, im übergegangenen Betrieb Umstrukturierungen vorzunehmen, z. B. betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Kann Ihr Arbeitnehmer seinem Betriebsübergang widersprechen?
Gute Frage. Arbeitnehmer müssen nämlich den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf Sie als Betriebserwerber nicht hinnehmen. Sie haben im Fall eines Betriebsüberganges die Wahl, ob sie zu Ihnen als ihrem neuen Arbeitgeber wechseln oder beim alten Arbeitgeber bleiben wollen. Sie müssen ihren Widerspruch nach § 613a BGB innerhalb eines Monats nach der Unterrichtung über den Betriebsübergang schriftlich gegenüber dem alten oder Ihnen als ihrem neuen Betriebsinhaber erklären.
Um einem Arbeitnehmer eine sachgerechte Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob er von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen will oder nicht, enthält Abs. 5 eine Unterrichtungspflicht. Danach unterrichten der bisherige oder Sie als neuer Betriebsinhaber die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer schriftlich über
- Zeitpunkt des Überganges
- Grund für den Übergang
- rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Überganges für sie
- hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen
Um schnell Rechtssicherheit zu erhalten, welche Mitarbeiter übergehen und welche nicht, empfiehlt es sich als Beteiligter eines Betriebsüberganges, die Unterrichtung nicht dem Vertragspartner zu überlassen, sondern selbst vorzunehmen.
Was sind die Rechtsfolgen eines Widerspruches?
Dass das Arbeitsverhältnis mit dem alten Betriebsinhaber fortbesteht. Hat dieser infolge des Betriebsüberganges keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, kann er unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen. Wurde nur ein Teilbetrieb veräußert, prüft der alte Arbeitgeber, ob im verbleibenden Betrieb eine Weiterbeschäftigung möglich ist.