EuGH vereinfacht Rechnungskorrektur
„Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sprich: Umsatzsteuer dem Fiskus, empfahl schon Jesus. Was er nicht meinte, war, mehr zu nehmen. Dem Finanzamt ist es recht. Es nimmt zu viel verlangte Umsatzsteuer so oder so. Es sei denn, Sie korrigieren Ihre Rechnung. Das aber ist nicht leicht.
Wer hat ein Problem bei der Korrektur einer Rechnung?
Jedenfalls nicht das Finanzamt. Es verlangt von Ihnen als Unternehmer die in Ihrer Rechnung für Ihren Kunden ausgewiesene Umsatzsteuer in jedem Fall, egal ob zu Unrecht ausgewiesen oder nicht. Das kommt in der Praxis immer wieder vor. Das Problem haben Sie als Unternehmer, wenn Sie eine solche, zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer korrigieren wollen. Und das wollen Sie, da Sie ja dem Finanzamt nicht mehr als unbedingt nötig zahlen wollen.
Wann weisen Sie als Unternehmer Umsatzsteuer in einer Rechnung zu Unrecht aus?
Nach deutschem Umsatzsteuerrecht gemäß § 14c Umsatzsteuergesetz (UStG) als sogenanntes 14c-Risiko auf zweierlei Art: Sie weisen die Umsatzsteuer auf Ihrer Rechnung an Ihren Kunden
- unrichtig aus (Abs. 1): stellt weniger hohe Anforderungen an die Korrektur; liegt vor, wenn Sie als Unternehmer auf Ihrer Rechnung
- einen höheren Steuerbetrag ausweisen,
- als Sie dem Finanzamt gesetzlich schulden.
Nur weil in Ihrer Rechnung Umsatzsteuer ausgewiesen ist, bedeutet dies nicht, dass Sie diesen als Unternehmer auch dem Finanzamt gesetzlich schulden. Der Clou dieser Vorschrift ist, dass Sie als Unternehmer die in der Rechnung unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer dennoch dem Finanzamt schulden. Hintergrund ist, dass Sie als Unternehmer durch die Ausstellung der unrichtigen Rechnung eine Gefahr geschaffen haben, dass Ihr Kunde als Leistungsempfänger die ausgewiesene und gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen kann. Solange diese Gefahr nicht beseitigt ist, schulden Sie als Unternehmer, Lieferant oder Dienstleister, das, was auf der unrichtigen Rechnung steht.
Ein Steuerausweis ist z.B. unrichtig, wenn Sie als Unternehmer eine höhere als die geschuldete Steuer beispielsweise über Lebensmittel von 19 statt von richtigen sieben Prozent ausweisen. Dies gilt auch für Kleinbetragsrechnungen. Hier hat der angegebene Steuersatz bei fehlender Angabe der Steuer die Wirkung des gesonderten Steuerausweises. Für die Entstehung einer Steuerschuld genügt allein die abstrakte Gefahr, dass aus einer Rechnung der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann.
- unberechtigt aus (Abs. 2): höhere Anforderungen an die Korrektur; liegt vor, wenn
- Sie als Unternehmer in Ihrer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweisen, zu dessen gesondertem Ausweis der Steuer Sie nicht berechtigt sind. Auch hier schulden Sie dem Fiskus den ausgewiesenen Betrag gleichermaßen.
- Sie wie ein leistender Unternehmer abrechnen, obwohl Sie gar kein Unternehmer sind oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführen.
Zwei bekannte Fälle des unberechtigten Steuerausweises geraten da ins Blickfeld:
- Kleinunternehmer: Nach der Kleinunternehmerregelung schulden Sie als solcher keine Umsatzsteuer und dürfen diese nicht auf entsprechenden Rechnungen ausweisen. Als Kleinunternehmer schulden Sie somit gesetzlich keine Umsatzsteuer. Weisen Sie trotzdem Umsatzsteuer auf Ihren Rechnungen aus, führen Sie diese auch an den Fiskus ab.
- Nichtunternehmer, betrifft insbesondere Betrugsfälle bei Scheinrechnungen: stellen Sie als solcher eine Rechnung aus, auf der Umsatzsteuer ausgewiesen ist, schulden Sie auch als solcher Nichtunternehmer dem Fiskus Umsatzsteuer. Regel Nr. 1: gesetzlich ist keine Umsatzsteuer geschuldet, weil ein Nichtunternehmer kein Unternehmer ist. Regel Nr. 2. Weist ein Nichtunternehmer dennoch Umsatzsteuer auf seinen Rechnungen aus, muss er diese an den Fiskus abführen.
Wie können Sie die zu hohe Umsatzsteuer korrigieren?
Indem Sie:
- die Rechnung korrigieren und
- die zu viel erhaltene Umsatzsteuer an Ihren Kunden zurückzahlen.
Sind Korrektur und Zurückzahlung so schwierig?
Sie können daran scheitern:
- dass, was häufig der Fall ist, die Identität von Kunden nicht bekannt ist
- die Korrektur jeder einzelnen Rechnung zu aufwendig wäre.
Warum ist die Unterscheidung zwischen unrichtigem und unberechtigtem Steuerausweis wichtig?
Weil je nachdem, ob es sich um einen richtigen oder um einen unberechtigten Steuerausweis handelt, unterschiedliche Berichtigungsverfahren gelten.
Wie sieht die Rechtsprechung die Korrektur unrichtiger Umsatzsteuer?
Nach ständiger Rechtsprechung erlischt Ihre Steuerschuld für eine überhöht ausgewiesene Steuer erst, wenn Sie als Unternehmer berichtigte Rechnungen ausgestellt haben. Ob Ihre Kunden dabei vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer oder Endverbraucher sind, ist für den Bundesfinanzhof (BHF) unerheblich. Eine Steuerpflicht nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht nicht nur bei unrichtigem Steuerausweis in einer Rechnung an einen Unternehmer, sondern auch für Rechnungen mit überhöhtem Steuerausweis an Endverbraucher.
Was bedeutet das für Ihre Praxis als Unternehmer?
Der Hof fordert in ständiger Rechtsprechung von Ihnen als Unternehmer:
- die Ausstellung von korrigierten Rechnungen
- die tatsächliche Zustellung der korrigierte Rechnung an Ihren Kunden als Leistungsempfänger
- die tatsächliche Rückzahlung des zu viel vereinnahmten Umsatzsteuerbetrags an den Leistungsempfänger; nur eine Vereinbarung über die Rückzahlung reicht nicht.
Als leistender Unternehmer können Sie die §-14c-Rechnung mit unrichtigem Steuerausweis zu hoher Steuer gegenüber Ihrem Kunden als Leistungsempfänger mittels einer Berichtigungserklärung berichtigen. Aus dieser muss eindeutig hervorgehen, dass Sie die ursprünglich ausgestellte Rechnung berichtigen und eine neue, richtige Rechnung ausstellen. Eine bloße Stornobuchung bei Ihnen als leistendem Unternehmers reicht für eine Berichtigung des Steuerbetrags nicht aus.
Wie sieht die Rechtsprechung die Berichtigung eines unberechtigten Steuerausweises?
In diesem Fall können Sie als Unternehmer den Steuerbetrag nur berichtigen, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist. Sie ist es, wenn Ihr Kunde als Empfänger Ihrer Ware oder Ihrer Dienstleistung
- noch keinen Vorsteuerabzug vorgenommen oder
- die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt hat.
Die Berichtigung der Umsatzsteuer beantragen Sie in diesen Fällen beim Finanzamt gesondert schriftlich. Sie kann erst nach Zustimmung des Finanzamts für den Voranmeldungszeitraum erfolgen, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt wurde. Dazu weisen Sie als Rechnungsaussteller nach, dass Ihr Kunde als der Leistungsempfänger Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht oder – falls doch – den geltend gemachten Vorsteuerbetrag an das Finanzamt zurückgezahlt hat.
Soweit das deutsche Recht. Wie sieht es in der EU aus?
Das Unionsrecht kennt nur falsche Rechnungen. Nach Art. 203 der Richtlinie für das System der Mehrwertsteuer (MwStSystRL) schuldet die Mehrwertsteuer derjenige, der sie in einer Rechnung ausweist. Das Unionsrecht unterscheidet also nicht zwischen Rechnungen mit unrichtigem und unberechtigtem Steuerausweis. Es kommt allein darauf an, dass Sie als Unternehmer eine Rechnung ausstellen, in der Sie zu Unrecht einen Steuerbetrag ausweisen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) richtet sich in seiner Rechtsprechung mehr nach dem Risiko für das Steueraufkommen insgesamt. Für ihn entsteht keine Steuerschuld aufgrund unrichtigen Steuerausweises, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Erbringt ein Steuerpflichtiger Dienstleistungen ausschließlich an Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, und weist er in seiner Rechnung einen Mehrwertsteuerbetrag aus, der auf der Grundlage eines falschen Steuersatzes berechnet wurde, schuldet er nach dem EuGH-Urteil vom 08.12.2022, (C-378/21) aufgrund von MwStSystRL den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt.
Was bestimmt Art. 203 MwStSystRL?
Er regelt eine schuldunabhängige Gefährdungshaftung des Rechnungsausstellers für das abstrakte Risiko eines unberechtigten Vorsteuerabzugs aufgrund dieser unrichtigen Rechnung. Sie greift bei einem Irrtum über den richtigen Steuersatz, wenn in der Rechnung der Regelsteuersatz statt des ermäßigten Steuersatzes ausgewiesen wird. Voraussetzung ist, dass die Gefahr eines unberechtigten Vorsteuerabzugs und damit eine Gefahr für das Steueraufkommen besteht.
Worum ging es in dem Streitfall vor dem EuGH?
Um eine österreichische GmbH, die einen Indoor-Spielplatz betrieb. Obwohl ihre Leistungen dem ermäßigten Steuersatz von 13 Prozent unterlagen, stellte sie über ein Jahr lang etwa 20.000 Kleinbetragsrechnungen mit zu hohem Steuerausweis des Regelsteuersatzes von 20 Prozent aus. Sie führte aufgrund dessen die zu hoch ausgewiesene Steuer an das Finanzamt ab. Aufgrund ihres Geschäftsmodells handelte es sich bei den Kunden ausschließlich um Endverbraucher. Nachdem die GmbH den Fehler erkannt hatte, berichtigte sie ihre Mehrwertsteuererklärung und beantragte die Rückerstattung der zu viel bezahlten Steuer.
Wie sah das österreichische Finanzamt das?
Es versagte die Erstattung. Die GmbH sei nach österreichischem Recht dazu verpflichtet, Rechnungskorrekturen gegenüber den Empfängern durchzuführen. Das Ausstellen von Korrekturrechnungen war jedoch de facto nicht mehr möglich, da die Endverbraucher nicht mehr auffindbar waren. Zudem verweigerte es die Berichtigung mit dem Argument, dass die GmbH bei einer Erstattung ungerechtfertigt bereichert würde. Schließlich hätten die Endverbraucher die höhere Mehrwertsteuer getragen, und eine Rückzahlung an diese war nicht mehr möglich. Gegen die Entscheidung des Finanzamtes klagte die GmbH.
Was sagte das österreichische Bundesfinanzgericht?
Es erkannte im Ausgangssachverhalt keine Gefährdung des Steueraufkommens. Durch den zu hohen Steuerausweis in Rechnungen lediglich gegenüber Endverbrauchern bestehe keine Gefahr, dass vom Empfänger unzutreffend ein Vorsteuerabzug geltend gemacht werde. Es legte daher dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor.
Was entschied der EuGH?
Dass, der Rechnungsaussteller die fehlerhafte Umsatzsteuer nicht schuldet. Nach seiner Auffassung ist Art. 203 MwStSystRL im Ausgangsverfahren nicht anwendbar. Für ihn scheidet ein unzutreffender Steuerausweis nach dieser Vorschrift bei Privatpersonen aus, wenn eindeutig nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher als Leistungsempfänger der unzutreffenden Rechnung anzusehen sind. Und das war hier der Fall. Die Leistung sei ausschließlich an nicht vorsteuerabzugsberechtigte Endverbraucher erbracht worden. Deswegen liege keine Gefährdung des Steueraufkommens vor.
Der EuGH übernahm bei dieser Auslegung die Prämisse des österreichischen Vorlagegerichts. Dementsprechend nahm er an, dass durch sämtliche Rechnungen mit überhöhtem Steuerausweis keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, da die Kunden ausschließlich Endverbraucher waren. MwStSystRL solle aber gerade einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken. Eine Gefährdung des Steueraufkommens kann sich nach Rechtsprechung des EuGH durch das Recht auf Vorsteuerabzug ergeben. Die Vorschrift in MwStSystRL sei demnach nur anwendbar, sofern Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Rechnungsadressat sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann.
Art. 203 MwStSystRL greife überdies nur, wenn Steuer zu Unrecht ausgewiesen wurde. In Höhe dieser zu Unrecht ausgewiesenen Steuer könne nämlich durch einen Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug unberechtigt geltend gemacht werden. Die Steuerbehörde wäre hier nicht in der Lage, die für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen Voraussetzungen zu prüfen. Der Unternehmer schulde insoweit nur den überhöht ausgewiesenen Steuerbetrag nach Art. 203 MwStSystRL.
Was bedeutet das EuGH-Urteil für Ihre Praxis als Unternehmer?
Für sie ist sie in ihrer Konsequenz zu begrüßen. Die Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung, dass eine faktisch unmögliche Rechnungsberichtigung gegenüber den Privatpersonen hätte erfolgen müssen, hätte im Ergebnis nur dazu geführt, dass die unberechtigt ausgewiesene Steuer beim Staat verblieben wäre. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt aber darin, dass es sich bei den Kunden ausschließlich um nicht vorsteuerabzugsberechtigte Endverbraucher handelte. Diese Konstellation ist vermutlich eher die Ausnahme als die Regel. Im Einzelfall kann unter Umständen die abstrakte Gefahr eines zu hohen Vorsteuerabzugs nicht ausgeschlossen werden.
Was bedeutet das Urteil für das deutsche Recht?
Dass in vergleichbaren Fällen kein unrichtiger Steuerausweis nach § 14c UStG vorliegen kann. Der EuGH hat der Anwendbarkeit des Art. 203 MwStSystRL für Rechnungen an Endverbraucher mangels Gefährdung des Steueraufkommens eine Absage erteilt. Mangels Tatbestandsvoraussetzung nach § 14c Abs. 1 UStG kann in der Konsequenz weder eine Rechnungskorrektur noch eine Rückzahlung des zu hoch ausgewiesenen Steuerbetrags in solchen Fällen Voraussetzung für das Erlöschen der Steuerschuld aus einer unrichtig ausgewiesenen Steuer sein.
Das Urteil des EuGH widerspricht allerdings der derzeitigen Rechtsprechung und Praxis in Deutschland. Es bliebe einem nächsten einschlägigen Verfahren vorbehalten, ob der BFH seine bislang geltende Rechtsprechung zum Erfordernis der Rechnungskorrektur sowie zur Rückzahlung des überhöht ausgewiesenen Steuerbetrags ändern würde. Was die Rechtsauffassung der deutschen Finanzverwaltung angeht, steht sie nach dem EuGH-Urteil nicht mehr im Einklang mit der Auslegung des Art. 203 MwStSystRL.