EuGH: So müssen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auf drohenden Urlaubsverfall hinweisen
„Herr Doktor, ich bin so vergesslich.“ „Seit wann haben Sie das?“ „Was?“ – Nicht unbedingt ein Zeichen von Demenz. Es soll sogar Arbeitnehmer geben, die ihren Urlaub vergessen. Als Arbeitgeber warnen Sie ihn, bevor der Urlaub verfällt. Oberste Gerichte entschieden nun, was da zu tun ist.
Was war der Hintergrund für die Gerichtsentscheide?
Ein typischer Wissenschaftler, ist man geneigt zu sagen. Ein solcher ist über Jahre wiederholt befristet beschäftigt. Und forscht und forscht und forscht … er würde wohl heute noch forschen. Aber es kommt etwas anders. Sein Chef bittet ihn, doch seinen Urlaub nehmen zu wollen. Vergeblich. Unser Wissenschaftler forscht weiter, nimmt keinen Urlaub, selbst nicht, als das Arbeitsverhältnis kurz vor seinem Ende steht. Stattdessen gibt sich der Forscher forsch: er will einen Ausgleich in Geld für 51 Tage nicht genommenen Urlaub. Der Arbeitgeber sieht das nicht ein, nach all seinen Erinnerungen, den Urlaub zu nehmen. Die Sache geht vor Gericht bis hoch zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der geht bei dem Forscher von einer Zwangslage aus. Er habe sein berufliches Fortkommen in Abhängigkeit von seinem Wohlverhalten gesehen und deswegen sein Grundrecht auf Urlaub nicht oder nicht in vollem Umfang geltend machen wollen. Daraus folgern die höchsten europäischen Richter, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gegebenenfalls sogar förmlich auf den Urlaub hinzuweisen hat. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dies dahingehend ausgelegt, dass es dem Arbeitgeber obliegt, den Arbeitnehmer aktiv auf den ihm noch zustehenden Urlaub und drohenden Verfall hinzuweisen.
Reicht es, wenn Sie als Arbeitgeber per Email an den Urlaub erinnern?
Ja, das kann ausreichen, vorausgesetzt, Sie verstehen unter Email nicht eine Rund-Email. Das BAG hält es in seiner richtungsweisenden Entscheidung (Urteil vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 541/15) für zulässig, wenn Sie als Arbeitgeber Ihren Mitarbeiter über seine Urlaubsansprüche und deren drohenden Verfall per Textform – also auch per E-Mail – unterrichten. Sie dürfen diese Unterrichtung nicht allgemein an die Belegschaft durch eine Rundmail richten oder im Arbeitsvertrag vorformulieren. Sie muss vielmehr mindestens in jedem Kalenderjahr rechtzeitig und individuell an jeden Arbeitnehmer erfolgen. Sie brauchen die Information aber nicht ständig zu aktualisieren.
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Was aber, wenn Ihr Mitarbeiter Ihre Email einfach ignoriert?
Da hilft nur vorbeugen. Das können Sie, indem Sie beim Versand Ihrer diesbezüglichen E-Mail eine Lesebestätigung einholen. Dazu klicken Sie in Ihrem Email-Versandprogramm vor dem Versand der Nachricht die Optionen zur Bestätigung von deren Zustellung und Lesen an. Sie können ein Übriges tun und die Nachricht als „wichtig“ kennzeichnen.
Das verringert möglicherweise die Gefahr, dass Ihr Mitarbeiter Ihre Email-Nachricht im allgemeinen E-Mail-Verkehr übersieht. Wenn sie als Arbeitgeber ganz sicher gehen wollen, lassen Sie sich den Erhalt Ihrer Unterrichtung schriftlich bestätigen oder versenden diese gleich postalisch per Einschreiben-Rückschein. Sie sollten Ihre Unterrichtung möglichst am Jahresanfang absenden. Für das Jahr 2019 oder vergangene Jahre sollten Sie dies unverzüglich nachholen.
Was sollten Sie als Arbeitgeber in eine solche Unterrichtung schreiben?
Zunächst die grundlegenden Daten zu einem bestehenden Urlaubsanspruch Ihres Mitarbeiters wie Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag, gefolgt von den Angaben zu dem danach bestehenden Umfang des Urlaubsanspruches im jeweiligen Kalenderjahr, getrennt nach Arbeitstagen für
- Jahresurlaub,
- Zusatzurlaub nach SGB IX,
- Resturlaub aus Vorjahren.
Als nächstes weisen sie als Arbeitgeber in Ihrer Email oder Ihrem Einschreiben an Ihren Mitarbeiter auf die Verfallfristen nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) bzw. einem bestehenden Tarifvertrag hin, z.B. bei Jahresurlaub und Zusatzurlaub im laufenden Kalenderjahr 31.12., bei Resturlaub bis zum 31.03. dieses Jahres – ohne Verlängerungsmöglichkeit.
Des Weiteren benennen Sie die Folgen für den Fall, dass Ihr Mitarbeiter bis zu diesem Zeitpunkt seinen Urlaub nicht nehmen sollte. Hier warnen Sie ihn unmissverständlich, dass der Urlaub grundsätzlich ersatzlos verfällt, d. h. er ihn nicht mehr nehmen und auch nicht abgelten lassen kann. Nicht vergessen sollten Sie an dieser Stelle zudem Ihrem Mitarbeiter mitzuteilen, dass Sie einer Übertragung seiner Urlaubsansprüche auf das Folgejahr nur bei Vorliegen dringender betrieblicher Gründe wie z. B. Unterbesetzung wegen eines besonders hohen Krankenstandes oder aus persönlichen Gründen Ihres Mitarbeiters wie z. B. Krankheit zustimmen können.
Wie rechtzeitig sollte Ihr Mitarbeiter seinen Urlaub beantragen?
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, zu dem Sie unbedingt etwas in Ihre Email an Ihren Mitarbeiter schreiben sollten – was genau und was sonst noch, haben wir für Sie eigens in einer Musterformulierung zum Download bereit gestellt.