20.12.2023

Freizeit: Erreichbar auch im Feierabend?

Müssen Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit Anrufe des Arbeitgebers entgegennehmen oder E-Mails und SMS lesen? Kurz:  Müssen sie ständig erreichbar sein? Diese Frage wird immer wieder von den Gerichten näher beleuchtet. Nun kommt das Bundesarbeitsgericht und lässt das Recht auf Unerreichbarkeit wackeln.

Erreichbar auch im Feierabend?

„Es ist eines der vornehmsten Persönlichkeitsrechte, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in seiner Freizeit erreichbar sein will.“  Diese Passage stammt aus einem Urteil des LAG Thüringen (16.05.2017 – 6 Sa 442/17), das gerne zitiert wird. So auch von den Richtern des LAG Schleswig-Holstein in einem Urteil, das gerade vom BAG aufgehoben  wurde.

Nicht erreichbar, unentschuldigt gefehlt

Geklagt hatte ein Notfallsanitäter, der mehrfach in seiner Freizeit telefonisch oder per SMS nicht erreichbar gewesen war. Der Arbeitgeber hatte ihm in diesen Fällen mitteilen wollen, dass er am nächsten Morgen bereits um 6:00 Uhr seinen Dienst antreten müsse. (Laut einer Betriebsvereinbarung durfte der Arbeitgeber hier kurzfristige Änderungen des Dienstplans vornehmen.)

Als der Mitarbeiter am nächsten Morgen wie ursprünglich geplant um 7:30 Uhr zum Dienst erschien, erhielt er zunächst eine Ermahnung, später eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens. Die nicht geleisteten Arbeitsstunden wurden zudem vom Arbeitszeitkonto abgezogen. Gegen die Abmahnung wehrte sich der Mitarbeiter und verlangte gleichzeitig, dass ihm die Fehlstunden auf dem Arbeitszeitkonto wieder gutgeschrieben werden.

Weisungen in der Freizeit?

Darf der Arbeitgeber seinem Mitarbeitern Weisungen auch während der Freizeit erteilen? Müssen die Arbeitnehmer in ihrer Freizeit dienstliche Anrufe entgegennehmen bzw. SMS oder E-Mails lesen?

Das LAG Schleswig-Holstein verneinte dies. Konkret vertraten die Richter die Ansicht, der Arbeitgeber dürfe sein Weisungsrecht zwar in der Freizeit ausüben, die Weisung selbst würde dem Mitarbeiter allerdings nicht in der Freizeit zugehen (LAG Schleswig-Holstein, 27.09.2022 – 1 Sa39 öD/22).

Kein Annahmeverzug

Dies sah das BAG jedoch anders. Die Erfurter Richter kamen zu dem Schluss, dass der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung nicht entsprechend angeboten habe. Dadurch sei kein Annahmeverzug auf der Arbeitgeberseite entstanden und der Arbeitgeber habe das Arbeitszeitkonto kürzen dürfen. Auch die Abmahnung dürfe daher aufrechterhalten werden.

Insbesondere an dem Tag, an dem der Notfallsanitäter bereits um 6:00 Uhr hätte anfangen müssen, sei ihm die Information am Vortag um 12:30 Uhr mitgeteilt worden. Laut Betriebsvereinbarung hätte der Arbeitgeber sogar noch bis 20:00 Uhr Zeit gehabt, den Mitarbeiter zu informieren. Diese Regelung sei so auch durch das Direktionsrecht laut § 106 Satz 1 GewO abgedeckt. Das BAG sah hier auch keinen Verstoß gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz, die Arbeitsschutzvorschriften oder das Arbeitszeitgesetz.

Genauso wenig werde die EU-Richtlinie „über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung“ von 2003 verletzt. Wenn Arbeitnehmer ihre eigenen Interessen trotz Rufbereitschaft ohne größere Anstrengungen verfolgen können, seien die Einschränkungen nicht als Arbeitszeit zu bewerten, heißt es dazu in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

SMS lesen als Nebenpflicht

Die obersten Arbeitsrichter sahen hier ganz klar eine Nebenpflicht des Notfallsanitäters aus seinem Arbeitsverhältnis, möglicherweise geänderte Dienstzeiten zur Kenntnis zu nehmen. Auch außerhalb der Dienstzeit. Auch auf seinem Mobiltelefon.

Zudem habe der Mitarbeiter im Rahmen seiner geschuldeten Mitwirkungspflicht auch nicht ununterbrochen erreichbar sein müssen. Er habe nicht den ganzen Tag sein Handy im Blick haben und sich dienstbereit halten müssen. Unter Umständen hätte er sogar noch am Morgen die geänderte Dienstzeit zur Kenntnis nehmen können.

Der Sanitäter konnte hier frei entscheiden, wann er die SMS mit der geänderten Dienstanweisung zur Kenntnis nimmt. Und der kurze Moment der Kenntnisnahme sei zeitlich zudem so geringfügig, dass man hier nicht davon ausgehen kann, dass seine Ruhezeit unterbrochen oder beeinträchtigt worden sei (BAG, 23.08.2023 – 5 AZR 349/22).

Autor*in: Dr. Stephanie Kaufmann-Jirsa