15.11.2023

Elektronische AU: So verhindern Sie Chaos bei der Krankmeldung

Kennen Sie ihn noch? Manche nannten ihn den „gelben Urlaubsschein“. Gemeint war bis Ende 2022 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Damit ist es jetzt vorbei – jedenfalls mit der papierenen Form. Seit diesem Jahr ersetzt sie die elektronische Variante. Da gilt es einiges zu beachten.

Elektronische AU

Wie war Arbeitsunfähigkeit bis letztes Jahr geregelt?

Es galt die Nachweispflicht. Sie oblag dem Arbeitnehmer. Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) musste Ihr Mitarbeiter Ihnen als Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzeigen, egal wie formlos:

  • telefonisch,
  • durch E-Mail oder
  • Fax

Satz 2 dieser Vorschrift verpflichtete Ihren Arbeitnehmer, Ihnen als seinem Arbeitgeber nach drei Tagen der Krankheit einen ärztlichen Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vorzulegen – die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Als Arbeitgeber konnten Sie nach Satz 3 im Arbeitsvertrag regeln, dass Ihr Arbeitnehmer diesen Nachweis bereits am ersten Tag der Krankheit vorlegen musste.

Sobald Ihr Arbeitnehmer die geforderte und vom Gesetz als Nachweis für seine Arbeitsunfähigkeit vorgesehene ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hatte, hatte er seine Verpflichtung zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit erfüllt. Soweit Sie als Arbeitgeber die vorgelegte Bescheinigung bezweifelten oder bezweifeln wollten, mussten Sie Tatsachen vorlegen und nachweisen, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit ergaben, die geeignet waren, den Beweiswert der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern.

Was gilt jetzt?

Jetzt gilt die Feststellungspflicht. Sie ersetzt die frühere Nachweispflicht. Diese besteht seit dem 01.01.2023 in den meisten Fällen nicht mehr. Seither ist die elektronischen AU eingeführt. Damit

  • lässt Ihr Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1a EFZG) seine Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen.
  • Den Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit holen Sie als Arbeitgeber selbst durch Abruf bei der Krankenkasse ein.

Braucht Ihr Arbeitnehmer Ihnen als Arbeitgeber also keine Meldung über eine Arbeitsunfähigkeit mehr zu machen?

Doch, das muss er. Unberührt von der Ersetzung der Nachweispflicht durch die Feststellungspflicht bleibt seine Verpflichtung als Arbeitnehmer, Sie als seinem Arbeitgeber im Falle einer Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis zu setzen:

  • unverzüglich, also spätestens zum Zeitpunkt des arbeitsvertraglich vorgesehenen Arbeitsbeginns,
  • und über ihre voraussichtlichen Dauer.

Diese Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht unverändert fort.

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Wie stellen Sie als Arbeitgeber das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit nun fest?

Indem Sie die elektronische AU abrufen bei der Krankenkasse, bei welcher zum anzufragenden Zeitpunkt die Versicherung besteht. Sie als Arbeitgeber können dies, wenn Sie dazu berechtigt sind. Die Berechtigung liegt nach der auf der Grundlage des § 109 Abs. 4 SGB IV zu erstellenden Verfahrensbeschreibung dann vor, wenn

  • Ihr Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit bei Ihnen als Arbeitgeber beschäftigt ist und
  • Ihr Arbeitnehmer Ihnen als Arbeitgeber mitgeteilt hat:
    • die abzurufende Arbeitsunfähigkeit sowie
    • deren voraussichtliche Dauer.

Die Krankenkasse erstellt nach Eingang der Daten gemäß §109 SGB IV eine Meldung zum Abruf für Sie als Arbeitgeber mit folgende Angaben:

  • Name des Beschäftigten
  • Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit
  • Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung
  • Angabe zu Anhaltspunkten dafür, ob die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall beruht

Welche Rolle spielt jetzt der Vertragsarzt bei Feststellung der AU?

Soweit er an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, verpflichtet ihn § 295 Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) genauso wie Einrichtungen der Gesundheitsversorgung zur Mitwirkung bei der elektronischen AU. Sie übermitteln die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten eines Arbeitnehmers an die gesetzlichen Krankenkassen.

Die Papier-AU hat also komplett ausgedient?

Nein, nicht ganz. Die elektronische AU gilt nicht in allen Fällen. Die neue gesetzliche Regelung zur elektronischen AU gilt nach § 5 Abs. 1a Satz 1 EFZG:

  • nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer und
  • somit nicht für Privatversicherte
  • außerdem dann nicht, wenn die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt erfolgt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Die Nachweispflicht besteht daher auch weiterhin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG bei:

  • privat versicherten Arbeitnehmern
  • einer Feststellung der AU durch einen Arzt ohne Kassenzulassung oder
  • durch einen Arzt im Ausland.

Enthält die elektronische AU dieselben Angaben wie die in Papierform?

Nicht ganz:

  • Die bisherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform ließ den ausstellenden Arzt erkennen, die elektronische AU enthält hierzu keine Angaben.
  • Wie bisher enthält die AU, egal ob auf Papier oder elektronisch, zudem keine Angaben zur ärztlichen Diagnose.

Die Nachweispflicht entfällt, es bleibt aber bei einer Anzeigepflicht. Aus welchem Grunde?

Die Arbeitnehmerpflichten nach dem EFZG im Falle einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sind zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs essenziell.

Was geschieht bei einer Verletzung der Anzeige- und Feststellungspflichten?

Da die Einhaltung der Pflichten im Krankheitsfall für jeden Betrieb bedeutsam ist, können Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes nach erfolgsloser Abmahnung zur Kündigung berechtigen. Damit es gar nicht erst soweit kommt, sollten Sie als Arbeitgeber Ihre Mitarbeiter über die Neuregelungen des Gesetzes und darüber, was im Krankheitsfall konkret von ihnen erwartet wird, informieren.

Wie informieren Sie als Arbeitgeber Ihre Mitarbeiter über die Mitteilungspflichten im Krankheitsfalle?

Am besten in einem Schreiben an Ihre Mitarbeiter mit folgenden Punkten:

  • Anzeigepflicht bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit: Weisen Sie Ihren Mitarbeiter darauf hin, mit Ihnen als Arbeitgeber, Ihrer Personalabteilung oder seinem Vorgesetzten
    • die Tatsache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und
    • die voraussichtliche Dauer unverzüglich, d. h. regelmäßig vor Beginn Ihrer Arbeitszeit, mitzuteilen – und zwar vor einem etwaigen Arztbesuch.
  • Anzeigepflicht bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit: Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als bisher vom Arzt festgestellt oder – bei noch fehlender Verpflichtung, den Arzt aufzusuchen – länger als von Ihrem Mitarbeiter Ihnen als Arbeitgeber gegenüber angegeben, muss er es Ihnen bzw. der entsprechenden Abteilungen mitteilen:
    • die Tatsache der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit und
    • das voraussichtliche Ende der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit.
  • Feststellungspflichten:
    • Dauer der Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage: Ihre Mitarbeiter sind dann verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit spätestens am darauffolgenden Arbeitstag von einem Arzt feststellen zu lassen.
    • Außerdem müssen Sie sich eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer aushändigen lassen, die sie Ihnen bzw. Personalabteilung oder Ihrem Vorgesetzten dann vorgelegen können, wenn bei der Meldung ihrer Arbeitsunfähigkeit des Arztes an Ihre Krankenkasse eine Störung eingetreten ist und daher ein Abruf ihrer Krankheitsdaten bei der Krankenkasse nicht möglich sein sollte.
    • Dauert der Arbeitsunfähigkeit länger als ärztlicherseits festgestellt: Ihre Mitarbeiter müssen dann unverzüglich, d. h. ohne schuldhafte Verzögerung, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt feststellen lassen und sich auch insoweit eine ärztliche Bescheinigung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche weitere Dauer aushändigen lassen.
    • Die Feststellungspflicht besteht auch dann, wenn Ihr betreffender Mitarbeiter keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall haben bzw. nicht mehr haben sollte.
  • Nachweispflichten: Anstelle der Feststellungspflichten gelten die bisher geltenden Nachweispflichten, sofern
    • Ihre Mitarbeiter im Ausland erkranken oder
    • sie von einem Arzt behandelt werden, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Wir haben ein Musterinformationsschreiben für Sie als Arbeitgeber an Ihre Mitarbeiter zum Download bereitgestellt.

Wie kann Ihr Arbeitnehmer nachweisen, dass er seiner Informationspflicht nachgekommen ist?

  • 109 SGB IV sieht vor, dass die Krankenkasse nach Eingang einer AU-Meldung durch den Arzt dem Arbeitgeber eine AU-Bescheinigung in elektronischer Form zum Abruf bereitstellt. Über diesen Weg erhalten Sie als Arbeitgeber also den Nachweis. Ihr Arbeitnehmer bekommt vom Arzt weiterhin eine AU-Bescheinigung. Diese dient ihm als Sicherheit, etwa für den Fall, dass die Übermittlung im elektronischen Verfahren fehlschlägt und er das Vorliegen der AU als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG außergerichtlich oder vor Gericht nachweisen muss.

Wenn der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung einklagt, muss er darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig ist bzw. war. Dazu dient die AU-Bescheinigung vom Arzt. Sie ist der gesetzlich vorgesehene und damit wichtigste Beweis für die AU. Sie als Arbeitgeber können versuchen, den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern. Dazu legen Sie Umstände dar und Beweise, die Anlass geben zu ernsthaften Zweifeln. Rechtsanwältin Dr. Evelyn Gabrys gibt auf www.anwalt.de folgende Beispiele:

  • Verhalten vor der AU: Der Arbeitnehmer hat die AU angekündigt, z.B. nach Ablehnung des Urlaubs.
  • Verhalten während der AU: Der Arbeitnehmer hat Tätigkeiten ausgeführt, die mit seinem Job vergleichbar sind.
  • Umstände der AU-Bescheinigung: Rückdatierung um mehr als drei Tage; Folgebescheinigung vom gleichen Tag wie Erstbescheinigung; Erstbescheinigung am Tag der Eigenkündigung und Dauer der AU zu jener der Kündigungsfrist (vgl. Bundesarbeitsgericht BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).

Dann muss der Arbeitnehmer seine AU auf anderem Weg beweisen, z.B. durch

  • Aussage des behandelnden Arztes nach Entbindung von der Schweigepflicht oder
  • Aussage anderer Zeugen wie Ehepartner oder sonstige Verwandte
  • Sachverständigengutachten

Der Arzt ist dann im Einzelnen nach Diagnose, Krankheitsverlauf und Auswirkungen am konkreten Arbeitsplatz zu befragen. Er ist mit den Umständen zu konfrontieren, die den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert haben, und zu fragen, ob er den Arbeitnehmer auch bei Kenntnis der Umstände krankgeschrieben hätte.

Autor*in: Franz Höllriegel