18.04.2024

Dauerhafte Erkrankung: Kündigung gerechtfertigt?

Nie krank ist auch nicht gesund. Kürzer krank, ist meistens gesünder. Öfter kürzer krank, kann Sie als Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. Länger krank, sind Kosten für Entgeltfortzahlung niedriger. Auch eine längere Krankheit kann eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen.

dauerhafte Erkrankung Kündigung

Wann wird öfter gekündigt: wegen langer oder wegen kurzer Krankheit?

Wegen häufiger Kurzerkrankungen. Eine Kündigung aufgrund einer langandauernden Erkrankung eines Mitarbeiters kommt in der betrieblichen Praxis nicht so häufig vor.

Wann können Sie als Arbeitgeber wegen langandauernder Erkrankung kündigen?

Die Rechtsprechung macht aus diesem Grund weniger verbindliche Vorgaben für eine Kündigung wegen einer längerfristigen Erkrankung als in anderen Fällen einer krankheitsbedingten Kündigung. Sie geht bei der Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung wegen längerer Erkrankung in zwei Stufen vor:

  • Auf der ersten Stufe prüft sie das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose. Damit eine Kündigung wirksam sein kann, ist bei der Erkrankung davon auszugehen, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung andauert und die Genesung noch in ferner Zukunft liegt: wie lange noch, damit Sie als Arbeitgeber die Krankheit als Kündigungsgrund heranziehen können, hat die Rechtsprechung nicht klar vorgegeben. In einem Fall hat das Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01) eine Erkrankung, bei der aufgrund eines ärztlichen Gutachtens eine Genesung innerhalb der nächsten 24 Monate nicht zu erwarten war, als kündigungsrelevant erachtet.

Worum ging es in dem Urteil des BAG?

Um eine ledige Kinderpflegerin, die im Februar 1986 in die Dienste einer Kirchengemeinde mit etwa 50 Arbeitnehmern eintrat. Sie war in dem von der Gemeinde betriebenen Kindergarten tätig. Die monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 3.876,92 DM. Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen jeweils geltenden Fassung sowie des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst (ARRG) vom 25. Oktober 1979 vereinbart.

1992 war die Klägerin an 52 Arbeitstagen und im Jahre 1993 bis Ende November an 58 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 30. November 1993 war die Kinderpflegerin – abgesehen von einem fehlgeschlagenen Versuch der Wiedereingliederung im Jahr 1994 – fortlaufend arbeitsunfähig, u.a. wegen Amalgam-Intoxikation. In der Zeit vom 9. August 1995 bis zum 31. Dezember 1996 erhielt sie Erwerbsunfähigkeitsrente, wegen deren weiterer Bewilligung sie eine Klage vor dem Sozialgericht erhoben hat.

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Auf Anfrage der beklagten Gemeinde teilte die Kindergärtnerin im Juni 1998 mit, die Ausleitung der Gifte und Schwermetalle finde in regelmäßigen Abständen statt, vollziehe sich aber sehr langsam. Das Sozialgericht habe ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Im Verlauf weiterer Korrespondenz informierte die Klägerin die Kirchengemeinde im Januar 1999, es sei noch nicht absehbar, wann sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen könne, ihr Gesundheitszustand habe sich noch nicht wesentlich gebessert und präzisere Angaben könne sie nicht machen.

Die von der Beklagten geäußerte Bitte um Entbindung ihres Arztes von der Schweigepflicht lehnte die Kindergärtnerin unter dem 13. Mai 1999 ab, da sich auch nach Rücksprache mit ihren Ärzten kein genauer Zeitpunkt der Rückkehr zur Arbeit absehen lasse. Die Kirchengemeinde kündigte daraufhin mit Schreiben vom 25. Juni 1999 zum 31. Dezember 1999. Das Arbeitsgericht Bielefeld stellte rechtskräftig die Unwirksamkeit dieser Kündigung wegen fehlender Beteiligung der Mitarbeitervertretung fest. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht laut dem BAG einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann.

Was wird auf der zweiten Stufe geprüft?

  • Auf der zweiten Stufe prüft die Rechtsprechung das Vorliegen von betrieblichen Beeinträchtigungen:
    • bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist eine Kündigung relativ einfach mit hohen Entgeltfortzahlungskosten zu begründen
    • bei einer Kündigung wegen langandauernder Krankheit ist eine Kündigung schwerer zu begründen. Nach sechs Wochen leisten Sie als Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung mehr. Deshalb müssen sonstige betriebliche Beeinträchtigungen vorliegen. Diese lassen sich unter Umständen daraus herleiten, dass es nicht gelingt, eine Ersatzkraft zu finden, die bereit ist, sich nur zeitlich befristet als Vertretung für den erkrankten Mitarbeiter einstellen zu lassen.
    • Ansonsten kommt eine betriebliche Beeinträchtigung unter den gleichen Gesichtspunkten wie bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in Betracht.

Welche Gesichtspunkte einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit wären das?

Wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt die Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann oder wenn es völlig ungewiss ist, ob die Arbeitsfähigkeit jemals wiederhergestellt werden kann. Ihnen als Arbeitgeber bereitet hier der Nachweis des Vorliegens einer negativen Gesundheitsprognose auf der ersten Stufe der Prüfung in aller Regel wenig Probleme. Meistens ist deren Vorliegen zwischen den Prozessparteien unstreitig oder durch ein ärztliches Gutachten festgestellt.

Auch die zweite Stufe der Prüfung bereitet in den meisten Fällen keine Probleme, weil das BAG in diesen Fallkonstellationen davon ausgeht, dass in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorliegt.

Wie begründet das BAG diese Wertung?

Damit, dass Sie als Arbeitgeber dauerhaft bzw. auf unabsehbare Zeit daran gehindert sind, Ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht auszuüben, und Ihnen eine irgendwie geartete Planung mit Ihrem Arbeitnehmer nicht möglich ist. Die Bundesrichter betrachten ein solches Arbeitsverhältnis als sinnentleert. Für die Rechtfertigung der Kündigung brauchen keine zusätzlichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen vorzuliegen.

Theoretisch kann auch bei einer erst kurzen Dauer der Erkrankung eine negative Prognose aufgrund der Art der Erkrankung vorliegen wie etwa bei einer schweren Unfallverletzung, sofern die Art der Erkrankung Ihrem Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung voraussichtlich für einen längeren Zeitraum oder auf Dauer unmöglich machen würde.

Wann kommt für Sie als Arbeitgeber eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung in Betracht?

Wenn ein Mitarbeiter grundsätzlich arbeitsfähig ist, seine Arbeitsleistungen aber aufgrund einer Erkrankung in quantitativer oder qualitativer Hinsicht zu wünschen übrig lassen. Die Anforderungen an die Wirksamkeit einer solchen Kündigung sind sehr hoch. Als Arbeitgeber betreiben Sie hierfür im Vorfeld großen Aufwand, um im Kündigungsschutzprozess nicht von vornherein chancenlos zu sein. Ein normaler altersbedingter Leistungsabfall berechtigt Sie als Arbeitgeber nicht zur Kündigung, Sie kommen nicht umhin ihn hinzunehmen.

Was ist die Voraussetzung für eine negative Gesundheitsprognose?

Um eine solche festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Kündigung ein objektiv messbarer erheblicher quantitativer oder qualitativer Leistungsabfall besteht. Als Arbeitgeber legen Sie detailliert und nachvollziehbar dar und weisen im Falle des Bestreitens durch Ihren Mitarbeiter nach:

  • die tatsächliche geminderte Arbeitsleistung
  • die erwartete Normalleistung

Die negative Zukunftsprognose bezieht sich darauf, dass die Leistungsminderung in Zukunft im gleichen Umfang zu befürchten ist.

Ab wann wäre eine Leistungsminderung erheblich?

Eine Leistungsminderung halten die Gerichte für erheblich, wenn der Mitarbeiter eine um 1/3 gegenüber der Normalleistung verminderte Arbeitsleistung erbringt. Die auf der zweiten Stufe zu prüfende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist bei einer Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit in den meisten Fällen wirtschaftlicher Natur, weil der Zahlung der vollen Vergütung keine nach betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung gegenübersteht.

Eine erhebliche Beeinträchtigung Ihrer betrieblichen Interessen kann darin bestehen, dass Sie Ihren Arbeitnehmer wegen seiner verminderten Leistungsfähigkeit organisatorisch nicht mehr in die Arbeitsabläufe integrieren können.

Können Sie als Arbeitgeber außerordentlich krankheitsbedingt kündigen?

Das kommt in der betrieblichen Praxis nur selten in Betracht. Bereits die Anforderungen an eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung sind sehr hoch. Das BAG hält diese Form der Kündigung jedoch insbesondere bei ordentlich unkündbaren Mitarbeitern für möglich, die dauerhaft arbeitsunfähig sind oder bei denen die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss ist. Die Bundesrichter halten in diesen Fällen die Aufrechterhaltung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses für Sie als Arbeitgeber auch bei ordentlich unkündbaren Mitarbeitern für nicht zumutbar.

Sie als Arbeitgeber müssen Ihrem betreffenden Mitarbeiter dann jedoch eine soziale Auslauffrist gewähren, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspricht. Nach der Rechtsprechung können Sie auch einem ordentlich unkündbaren Mitarbeiter wegen häufiger Kurzerkrankungen außerordentlich kündigen, wenn die Fehlzeiten und die betrieblichen Beeinträchtigungen das Ausmaß einer ordentlichen Kündigung deutlich übersteigen.

Eine Auslauffrist gewähren Sie als Arbeitgeber auch einem Mitarbeiter, den Sie wegen alkoholbedingter Auffälligkeiten kündigen wollen – ein in der Praxis leider nicht selten vorkommendes Problem. Hat der Umgang mit Alkohol den medizinischen Krankheitswert erreicht, kommt eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Betracht, da der Betroffene in der Regel etwaige Vertragsverstöße nicht schuldhaft begeht.

Wie sieht diese Auslauffrist in solchen Fällen aus?

Liegen Anhaltspunkte für eine Suchterkrankung eines Mitarbeiters vor, was bei häufigen alkoholbedingten Auffälligkeiten naheliegt, räumen Sie als Arbeitgeber Ihrem  Arbeitnehmer nach dem im Kündigungsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor Ausspruch der Kündigung die Chance zu einer Entziehungskur oder sonstigen geeigneten Therapiemaßnahmen ein. Dafür ist es ratsam, ihn vor Ausspruch der Kündigung auf die Dringlichkeit einer Therapie hinzuweisen und entsprechende Therapiemöglichkeiten aufzuzeigen. Lehnt Ihr Mitarbeiter ab, kann er sich später im Kündigungsschutzprozess nicht darauf berufen, therapiewillig gewesen zu sein.

Die Kündigung wegen Alkohol- oder Drogensucht ist ebenfalls nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen:

  • Auf der ersten Stufe der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung wird festgestellt, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung aufgrund seiner Suchterkrankung dauerhaft nicht die Gewähr bietet, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung ordnungsgemäß und störungsfrei zu erbringen.
  • Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit, geht die Rechtsprechung von einer negativen Gesundheitsprognose aus, weil dann angenommen werden muss, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit nicht geheilt sein wird.
Autor*in: Franz Höllriegel