Arbeitszeitproblemen vorbeugen – durch exakte Arbeitsverträge
Die Gewerkschaften fordern mehr Freizeit für die Beschäftigten. Freizeit wichtiger als mehr Lohn? Dabei arbeiten deutsche Arbeitnehmer weniger als Kollegen im Ausland. Doch welche Stunden werden bezahlt? Wie können Unternehmen Problemen mit der (zu bezahlenden) Arbeitszeit vorbeugen? Ein Gericht gab hier wichtige Tipps.
Mehr Geld und mehr Freizeit
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) fordert sechs Prozent mehr Geld für 580.000 von ihr vertretene Beschäftigte. Obendrauf soll es noch einen Prozentpunkt zusätzlich für eine Verdoppelung des Urlaubsgelds von heute rund 614 Euro geben. Doch das dicke Ende kommt jetzt: die Gewerkschaft will laut einem Bericht im „Handelsblatt“ eine „zukunftsorientierte Weiterentwicklung bestehender Arbeitsbedingungen“ erreichen.
Was meint sie damit? Aus den Betrieben sei vielfach der Wunsch nach einer Wahloption gekommen, das höhere Urlaubsgeld in mehr Freizeit umzumünzen. Damit steht der Chemieindustrie eine Tarifrunde bevor, wie sie die Deutsche Bahn oder die Metall- und Elektroindustrie schon hinter sich haben. Vielen Beschäftigten ist mehr Freizeit inzwischen wichtiger als mehr Geld.
Auch die Politik habe auf Bedürfnisse der Arbeitnehmer, in bestimmten Lebensphasen beruflich kürzerzutreten, reagiert. Im Juni passierte der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur neuen Brückenteilzeit das Kabinett. Tritt das Gesetz wie geplant Anfang 2019 in Kraft, können Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 45 Beschäftigten zeitlich befristet ihre Arbeitszeit kürzen und danach zum ursprünglichen Volumen zurückkehren.
Wie lange wird überhaupt gearbeitet?
Die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche liegt in Deutschland bei 34,9 Stunden. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken hervor, über das die „Zeit“ unter Berufung auf das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ berichtet.
Damit arbeiteten Beschäftigte in Deutschland im vergangenen Jahr eineinhalb Stunden kürzer als der Durchschnitt der Europäischen Union: EU-weit liegt der Wert der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit den Angaben des Ministeriums zufolge bei 36,4 Stunden.
Kürzer als in Deutschland werde nur in den Niederlanden und in Dänemark gearbeitet: Dort betrage die Wochenarbeitszeit im Mittel 31,8 beziehungsweise 33,8 Stunden.
Länger als in Deutschland werde vor allem in Griechenland (40,7 Stunden), in Bulgarien (40,0 Stunden) und in Polen (39,4 Stunden) gearbeitet.
Mehr Stunden = höhere Produktivität?
Allerdings zeigen die Daten des Arbeitsministeriums auch: Die Produktivität der deutschen Arbeitnehmer lag 2017 rund 27 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Effizienter werde nur in Luxemburg, Irland und Dänemark gearbeitet. In anderen EU-Staaten, insbesondere in Osteuropa, sei die Arbeitsproduktivität zum Teil deutlich geringer.
Wie viel Arbeitszeit wird entlohnt?
Neben der Frage der Länge der Arbeitszeit stellt sich zudem die Frage, wie lange bezahlt gearbeitet wird. Besonders bei ungenauen vertraglichenFestlegungen. Welche Stunden müssen bezahlt werden, wenn im Arbeitsvertrag eine „Vollzeittätigkeit“ vereinbart ist, ohne dass die Anzahl der Wochenarbeitsstunden genauer definiert wird?
Arbeitszeit: Probleme landen vor Gericht
Nicht selten landen Streits über zu bezahlende Zeiten vor Gericht. Hier ein interessantes Beispiel: Ein Arbeitnehmer verlangte vor Gericht die Auszahlung von Überstunden von seinem Arbeitgeber. Dieser widersprach der Forderung mit dem Hinweis, dass keine Überstunden angefallen seien. Vielmehr seien mit der vertraglich vereinbarten Vergütung für die Busfahrten im Linienverkehr diese Touren vollständig bezahlt.
Wie wichtig ist der Arbeitsvertrag in Bezug auf Arbeitszeitregelungen?
Überaus wichtig. Der Formulierung eines Arbeitsvertrags kommt besondere Bedeutung zu. Insbesondere die wesentlichen Bestandteile, wie hier die Wochenarbeitszeit, müssen glasklar formuliert sein, um spätere ungünstige Auslegungen durch Gerichte zu vermeiden. Wie häufig in Streitfällen lag auch diesem Rechtsstreit ein schwacher Arbeitsvertrag zugrunde. Darin war nur geregelt:
§ 1 Inhalt, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses
Der Arbeitnehmer wird ab 01.05.2011 bis 01.05.2012 im Rahmen eines gewerblichen befristeten Arbeitsverhältnisses als Busfahrer in Vollzeit beschäftigt.
Weiterhin war eine Vergütung von 1.800 Euro geregelt. Zur Arbeitszeit stand da nur, dass sie dem Arbeitnehmer bekannt sei.
Eine genaue Definition der Wochenarbeitszeit war im Vertrag nicht enthalten. Mangels genauer Vereinbarung muss, so die Ansicht des Gerichts, die Arbeitszeit im Wege der Auslegung ermittelt werden. Dies auch deshalb, weil der Vertrag schon selber von einem „Bekanntsein der Arbeitszeit“ ausgeht. Insofern ist auf die Kenntnis des Arbeitnehmers abzustellen.
Das versteht das BAG unter „Vollzeit“
Unter „Vollzeit“ darf der durchschnittliche Arbeitnehmer verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit – unter Zugrundelegung einer Fünftagewoche und der in § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich – 40 Wochenstunden nicht übersteigt. Es kommt auch nicht auf die Existenz einer anderen betriebsüblichen Arbeitszeit an (BAG, Urteil vom 25.03.2015, Az.: 5 AZR 602/13).
Was, wenn Überstunden nicht lückenlos aufgezeichnet sind?
Genau das war im Streitfall das Problem. Dazu stellte das Gericht fest:
- Ist eindeutig, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitsgebers geleistet worden sind,
- kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen,
- darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden schätzen.
Im Streitfall waren nachgewiesenermaßen Überstunden angefallen. Das Gericht konnte anhand der aufgezeichneten Bustouren die Überstunden schätzen.
Kurz zusammen gefasst
Im entschiedenen Streitfall konnte der Arbeitnehmer von einer Auszahlung ausgehen. Ging man von einer 40-Stunden- Woche aus, ergaben sich Überstunden, die aber nur dann zu vergüten waren, wenn eine arbeitsvertragliche Vereinbarung getroffen wurde oder eine Vergütungspflicht nach anderen Gesetzen besteht.
Da eine entsprechende Vereinbarung nicht vorlag, konnte sich die Vergütungspflicht nur aus anderen Gesetzen ergeben. Einschlägig war hier § 612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die zu erwartende Vergütung für Überstunden ergab sich im Streitfall durch die im Tarifvertrag vorgesehene Überstundenvergütung (laut Tarifvertrag sogar mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent).
Fazit: Vermeiden Sie lästige Arbeitszeit Probleme und legen Sie in Ihren Arbeitsverträgen genau fest, wieviele Stunden pro Woche zu arbeiten sind und ggf. wie mit Überstunden zu verfahren ist!