Akteneinsicht bei Verfahren vor FG – nach FGO oder DSGVO?
Bei Geld hört die Freundschaft auf – und vor dem Finanzamt gehen die Uhren anders. Davon macht der Datenschutz keine Ausnahme. Ausschlag gibt vor dem Finanzgericht nicht unbedingt die DSGVO, sondern oft auch die Finanzgerichtsordnung. Dann gibt es Akteneinsicht nicht frei Haus.
Darf man als unbescholtener Bürger denn amtliche Akten nicht einsehen?
Jedenfalls nicht immer und nicht in jeder Hinsicht und nicht bei jeder Behörde. Erinnern sie sich noch an den Fall TTIP? Sie wissen schon: jenes Freihandelsabkommen zwischen EU und USA Mitte dieses Jahrzehntes. Die Vertragsparteien hatten eine strenge Geheimhaltung über die Verhandlungen verhängt. Nur wenige Vertreter von Bundesministerien hatten in der Berliner US-Botschaft Dokumente einsehen dürfen; Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatten gar keinen Zugang. Das sorgte für Unmut in Parlamentarierkreisen und der Presse.
Ende 2015 hatten sich daraufhin Unterhändler der EU und USA auf eine Öffnung auch für nationale Parlamente geeinigt. Der frühere Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, Peter Ramsauer (CSU), hatte die Bedingungen der Einsichtnahme aber als inakzeptabel kritisiert. Schließlich durften Parlamentarier nach Anmeldung selbst direkt Einsicht in die konsolidierten EU-US-Texte, die Verhandlungsvorschläge der USA und andere für das Verfahren relevante EU-Dokumente nehmen. Auch Mitglieder des Bundesrats, also Landesminister und Ministerpräsidenten, sollten die Akten dort lesen können.
Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte das zwar begrüßt. Es bleibe aber abzuwarten, ob die technischen und zeitlichen Möglichkeiten zum Studium der Dokumente dem Informationsbedürfnis der Abgeordneten genügten. Wegen des vertraulichen Status der Dokumente waren die Abgeordneten zur Einhaltung strikter Regeln angehalten. Ein Sicherheitsbeamter war während der gesamten Dauer ihres Besuches anwesend. Mobiltelefone mussten sie vorher abgeben. Einen Leseplatz konnten sie für zwei Stunden buchen.
Es ist also durchaus nicht unüblich, dass in einem Verfahren Akteneinsicht begrenzt ist. So auch vor dem Finanzgericht (FG). Wenn Sie selbst als Rechtsanwalt Ihre Sie betreffenden Akten oder die Ihrer Mandantschaft einsehen möchten, können Sie das nur in den Räumen eines Gerichts oder einer Behörde. Auch hier muss das unter Aufsicht eines im öffentlichen Dienst stehenden Bediensteten geschehen.
Widerspricht das nicht der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)?
Das dachte auch ein Rechtsanwalt aus dem Raum Hamburg, der beim FG Baden-Württemberg im Auftrag seiner Mandantin Akteneinsicht beantragt hatte – und zwar bei sich zu Hause. Aber, ob Sie es glauben oder nicht: darauf kommt es nicht an. Maßgeblich für die Möglichkeit zur Akteneinsicht sind nicht die Bestimmungen der DSGVO, sondern der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Was genau wollte der Rechtsanwalt denn?
Er bat um Übersendung der vollständigen Akten im Original oder in Kopie in seine Kanzleiräume. In seinem Antrag verwies er auf das Verhalten der Gegenseite. Die habe die Akten erst nach Aufforderung des Gerichts nach der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegt. Deswegen sei ihm eine umfangreiche Recherche am Arbeitsplatz zu gewähren. In einem Gericht sei ihm eine solche weder möglich noch zumutbar. Bei den Gerichten in Hamburg, bei denen die Akteneinsicht in Betracht käme, existierten keine Kopierer für Besucher. Zudem beantragte der Anwalt die Übersendung vollständiger Kopien der Akten nach Art. 15 DSGVO.
Eigentlich doch wohl keine allzu übertriebene Forderung – oder?
Für die Stuttgarter Richter offenbar schon. Sie lehnten die Übersendung der Akten oder die Überlassung vollständiger Kopien ab (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2019, Az.: 2 K 770/17). Darauf gebe es keinen Rechtsanspruch. Sie verwiesen statt auf die DSGVO auf die FGO. Deren § 78 Abs. 2 und 3 regele ausdrücklich Form und Ort der Akteneinsicht.
Die Beteiligten könnten danach Einsicht in die in Papierform geführten Gerichtsakten und in die dem Gericht vorgelegten Akten „in Diensträumen“ nehmen. Dazu zählten aber nicht die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts. Ob in begründeten Ausnahmefällen eine Aktenübersendung in Kanzleiräume in Betracht komme, könne offenbleiben, da hier keine besonderen Gründe vorlägen. Der Anwalt könne nach Akteneinsicht an einem anderen Gericht oder einer Behörde dem FG Baden-Württemberg eine Liste mit Aktenseiten vorlegen, die er kopiert haben möchte. Dem werde entsprochen, soweit der Anwalt nicht bereits über entsprechende Kopien verfüge.
Wäre das Finanzgericht nicht verpflichtet, Behördenakten zu digitalisieren?
Nein, sagten die Richter. Das Gericht brauche keine elektronische Fassung der in Papierform geführten Behördenakten herzustellen und darauf einen elektronischen Zugriff zu ermöglichen. Nach Art. 15 DSGVO bestehe ebenso wenig Anspruch auf Übersendung von Aktenkopien. Die Anwendung dieser Vorschrift sei nach der FGO für das Finanzgerichtsverfahren nicht vorgesehen. Dem entspräche Art. 23 Abs. 1 Buchst. f DSGVO, der die Unabhängigkeit der Justiz und von Gerichtsverfahren schütze. Die FGO gehe dem Datenschutzrecht und dem Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO vor.
Besteht also keine Möglichkeit der Einsicht in Akten der Finanzverwaltung frei Haus?
Doch, aber erst bei einer Klage vor dem Finanzgericht (§ 78 FGO). Unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Akteneinsicht besteht, ist im Entscheidungsfall dargestellt. Dabei liegt das Urteil des FG Baden-Württemberg auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Beschluss vom 06.09.2019, Az.: III B 38/19). Der Steuerpflichtige kann also die finanzgerichtlichen Akten und die vorliegenden Akten des Finanzamts sowie vom Gericht beigezogene sonstige Akten beim Finanzgericht oder im Finanzamt unter Aufsicht eines dort Bediensteten einsehen.
Die Einsichtnahme erstreckt sich aber nur auf:
- die Gerichtsakten und
- die dem Finanzgericht vorliegenden Akten.
Sie betrifft nicht:
- die beim Finanzamt geführten Steuerakten einschließlich
- etwa der Akten der Betriebsprüfung,
- der Handakten des Prüfers und
- der Rechtsbehelfsakten.
Was ist der Grund dafür, dass das Gericht hier bereits deswegen keine Einsichtnahme gewähren darf?
Eigentlich ein nicht so schwer nachvollziehbarer: wo keine Klage, da kein Gericht. Und da auch keine Kenntnis des Gerichts, was in den Akten alles steht. Es hat keine Kenntnis über den Inhalt dieser Akten. Daher kann das Gericht nicht ausschließen, dass die Akten auch Vorgänge mit Angaben über Dritte enthalten, die bei Einsichtnahme zu einer Verletzung des Steuergeheimnisses führen würden (BFH, Beschluss vom 19.12.2016, Az.: XI B 57/16).
Ist das DSGVO hier also komplett außen vor?
Naja, Schwung in die Sache unter diesem Blickwinkel könnte nun eine Entscheidung des FG Saarland bringen. Dort hat ein Steuerschuldner beim Finanzamt Akteneinsicht in über ihn geführte Akten begehrt. Das Gericht dort geht von einem Akteneinsichtsrecht nach der DSGVO aus. Es bestehe nach Art. 15 Abs. 1 u. 2 DSGVO ein Auskunftsanspruch über alle verarbeiteten personenbezogenen Daten. Das gelte auch für Papierakten wie etwa beim Finanzamt mit Informationen zu einer Zeit vor der Einführung der DSGVO, also dem 25.05.2018 (FG Saarbrücken, Beschluss vom 03.04.2019, Az.: 2 K 1002/16).
Die Frage, ob Steuerpflichtige beim Finanzamt einen Anspruch auf Akteneinsicht in die sie betreffenden Einkommensteuerakten haben, wird nun der BFH klären (Az.: VII R 15/20). Bis dahin bleibt Ihnen als Steuerschuldner wohl nur der Weg, die Akteneinsicht anlässlich eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu erhalten.
Das Steuergeheimnis also als Vater aller Finanzvorschriften. Dazu weiterführende Informationen finden Sie hier:
- Steuerberater muss IT-Dienstleister zur Geheimhaltung verpflichten