26.01.2022

§ 13b Umsatzsteuer: Übergang der Steuerschuld im Reverse-Charge-Verfahren

Ein R-Gespräch – kennen Sie das noch? Bei einem solchen Telefonat kommt der Angerufene für die Gebühren auf. R steht für Reverse, umgekehrt. Reverse-Charge kennt auch das Umsatzsteuerrecht. Nicht Sie als leistender Unternehmer schulden diese Steuer, sondern Ihr Kunde.

Reverse-Charge-Verfahren

Wer zahlt normalerweise die Umsatzsteuer?

Sie, wenn Sie der leistende Unternehmer sind. Und zwar für Ihre Lieferungen und Ihre sonstigen Leistungen. Mit seiner Steuerpolitik will der Staat nur den Endverbraucher mit Mehrwertsteuer belasten. Deshalb legen Sie als Unternehmer gegenüber dem Finanzamt durch Umsatzsteuervoranmeldungen ständig Rechenschaft ab. Die Umsatzsteuer, die Sie als solcher beim Verkaufen kassieren, führen Sie ab. Gegenrechnen können Sie die Steuer, die Sie selbst an Ihre Lieferanten bezahlt haben. Fachleute sprechen bei diesen Erstattungsansprüchen von der Vorsteuer. Ist die Vorsteuer höher als die Umsatzsteuer, zahlt das Finanzamt Geld an Sie als Unternehmen aus.

… Und wer zahlt im Reverse-Charge-Verfahren?

Der andere. Reverse-Charge-Verfahren kehrt die Steuerschuldnerschaft um. Nach dieser speziellen Regelung des Umsatzsteuerrechts entrichtet Ihr Kunde als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer und nicht wie üblich Sie als leistender Unternehmer.

Können Sie als leistender Unternehmer oder Ihr Kunde als Leistungsempfänger diese Umkehr der Steuerschuld ablehnen?

Nein. Hierbei haben Sie kein Wahlrecht, egal in welcher Funktion. Die Umsatzsteuerschuld geht in bestimmten Ausnahmefällen zwingend auf den Leistungsempfänger über.

Wo ist dies Ausnahmeregelung gesetzlich festgelegt?

Diese bestimmten Ausnahmefällen regelt § 13b Umsatzsteuergesetz (UstG).

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Warum hat der Gesetzgeber die Regelung getroffen?

Um Steuerbetrug vorzubeugen. Bei sogenannten Karussellgeschäften ziehen Betrüger bisweilen zwar Umsatzsteuer als Vorsteuer ab, aber führen gar keine Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. 2019 berichtete das „Handelsblatt“ über riesige Schäden, angerichtet über Jahre hinweg durch unzählige Akteure in Deutschland und der Europäischen Union durch Umsatzsteuerkarusselle. Allein in Deutschland beliefen sich demnach die Schätzungen damals auf eine zweistellige Milliardensumme. Europaweit habe die EU-Kommission die Summe gar auf 50 Milliarden Euro beziffert. Dabei lief der Coup jeweils so ab:

  • Der Hersteller einer Ware verkauft diese.
  • Er schreibt dafür eine Rechnung plus Mehrwertsteuer.
  • Der Abnehmer verarbeitet die Ware weiter.
  • Jetzt schreibt dieser ebenfalls eine Rechnung plus Mehrwertsteuer.
  • Das Produkt wird immer weiterverarbeitet und am Ende im Einzelhandel verkauft.

Wie viele Unternehmen sind in diese Masche involviert?

Bei diesem Umsatzsteuerbetrug kommen die Täter nicht ohne Strohfirmen aus. Sie hören auf so schillernde Namen wie Batman, DJ, Doctor oder Rolex. So eine Strohfirma stellt Scheinrechnungen für einen angeblichen Kunden aus. Dieser reicht die Rechnung beim Finanzamt ein und lässt sich die Vorsteuer erstatten. Bis die Behörde begreift, so das „Handelsblatt“, dass das erste Unternehmen die Umsatzsteuer gar nicht gezahlt hat, sind beide Firmen vom Markt verschwunden, die Betrüger nicht mehr zu greifen. Ein Umsatzsteuerkarussell funktioniert nach demselben Prinzip. Der vermeintliche Warenhandel findet grenzüberschreitend und steuerfrei innerhalb der Europäischen Union statt. Je mehr Firmen in das Karussell eingebunden sind, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass der Betrug auffliegt. Die Behörden merken zwar, dass etwas nicht stimmt, aber sie können den Betrügern nur hinterherlaufen.

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Besonders erfolgreich in der Verfolgung tat sich seinerzeit die Augsburger Ermittlungsbehörde hervor. War sie erst einmal eingeschaltet, so das „Handelsblatt“, sei es für die Täter eng geworden. In den voran gegangenen Jahren klagte sie 116 Personen wegen Beteiligungen an Umsatzsteuerkarussellen an, verteilt auf 55 Verfahren mit Verurteilung von 86 Personen, davon 57 zu Gefängnisstrafen von zusammengerechnet 229 Jahren. Die Augsburger Zahlen damals waren in der Betrugsbekämpfung allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Anfrage des „Handelsblatts“ beim Bundesfinanzministerium, bei allen 16 Landesjustizministerien und bei 19 General- und Schwerpunktstaatsanwaltschaften sowie bei zusätzlichen Behörden blieb weitgehend ohne konkrete Ergebnisse. Fallzahlen und Verurteilungen zu Europas größtem Betrugssystem waren meistens nicht vorhanden. Verfahren zu Umsatzsteuerkarussellen wurden nicht gesondert erfasst.

Kann die Politik nichts gegen diesen Betrug unternehmen?

Die Politik sah sich in der Tat gefordert – mit begrenztem Erfolg. Der deutsche Gesetzgeber führte das „Reverse-Charge-Verfahren“ ein. Es verlagert die Steuerschuld vom Veräußerer auf den Erwerber – der Betrug mit den virtuellen Zertifikaten wurde gestoppt – zumindest in Deutschland. Doch mit dem Handel zogen die Betrüger einfach in einen anderen Staat weiter, der kein Reverse Charge hat, merkt der Zeitungsbericht an. Erst 2017 legte die EU-Kommission ein Gesetzespaket vor, das die Besteuerung von Waren innerhalb der EU angleichen sollte. Den Schaden durch Umsatzsteuerkarusselle hoffte die Kommission offteso, um 80 Prozent zu senken. Zeitnot hätten die Betreiber dieser Karusselle trotzdem nicht. Frühestens 2022 soll dieses das Projekt umgesetzt werden. Was am Ende wirklich dabei herauskommt, scheint dem „Handelsblatt“ mehr als fraglich. Die Länder hätten sich in einem ersten Schritt schon wieder nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. „Ich halte die Pläne der EU deshalb für untauglich, die Karussellgeschäfte in den Griff zu bekommen“, zitiert das Blatt Thomas Küffner, Partner bei der Kanzlei für Umsatzsteuerrecht KMLZ. Gute Nachrichten für Batman & Co. Der Umsatzsteuerbetrug laufe ungebremst weiter. Nicht einmal vor dem Augsburger Staatsanwalt müssten sich die Steuerkriminellen mehr fürchten. Ihn habe man zum Abteilungsleiter befördert und nach München versetzt – mit Zuständigkeit für Betäubungsmitteldelikte.

Was sind die Voraussetzungen für das Reverse-Charge-Verfahren?

Gemäß § 13b Abs. 1 und 2 UStG setzt der Übergang der Steuerschuldnerschaft voraus, dass

  • ein leistender Unternehmer oder eine juristische Person (Beispiel: GmbH),
  • der im übrigen Gemeinschaftsgebiet oder im Ausland ansässig ist,
  • im Inland,
  • steuerbare und steuerpflichtige Umsätze erbringt.

Ob die Lieferung bzw. Leistung für das Unternehmen oder den nicht unternehmerischen Bereich bezogen wird, spielt keine Rolle. Bei Lieferungen an Privatpersonen findet die Vorschrift keine Anwendung, z.B. wenn ein Einzelhändler an eine Privatperson liefert.

Das Umsatzsteuergesetz führt 13 Sachverhalte auf, bei denen die Steuerschuld zwingend wechselt (§ 13b Abs. 1 und Abs. 2 UStG). Eine Auswahl:

  • eine im Inland steuerpflichtige sonstige Leistung eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers
  • nicht darunter fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers
  • Bauleistungen einschließlich Werklieferungen und Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken
  • Lieferung von Gold
  • Lieferung von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielkonsolen, wenn die Lieferung 5.000 Euro übersteigt
  • durch inländische Unternehmen ausgeführte Lieferungen von Wärme oder Kälte,
  • Lieferungen von Industrieschrott und Altmetallen,
  • für inländische Gebäudereinigungsleistungen.

Was ergibt sich aus der Umkehr der Steuerschuldnerschaft für Ihre Praxis?

Grundsätzlich gilt:

  • Sie sind verpflichtet, zusätzlich alle gewohnten formellen Rechnungsvorschriften zu beachten (§ 14 Abs. 4 UStG).
  • Vermeiden Sie einen fehlerhaften Steuerausweis.

Als leistender Unternehmer:

  • Sie führen die ausgewiesene Umsatzsteuer an das Finanzamt ab.
  • Sie weisen beim Wechsel der Steuerschuldnerschaft in der Rechnung keine Umsatzsteuer aus. Das ist verboten! Hier dürfen Sie keine Steuer ausweisen – tun Sie es unberechtigterweise doch, schulden Sie diese Steuer gemäß § 14c Abs. 1 UstG. Berichtigen Sie die falsche Rechnung umgehend!
  • Sie erteilen eine ordnungsgemäße Rechnung. In Ihrer Rechnung weisen Sie auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft hin. Ein in diesem Zusammenhang interessantes Urteil hat der EuGH gefällt.
  • Muss § 13b UStG angewendet werden, stellen Sie eine Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis, die Abrechnung erfolgt ohne Umsatzsteuer. Ein Verweis auf die Anwendung des Reverse-Charge- Verfahrens ist Pflicht, etwa nach folgendem Muster: „Es handelt sich um eine Rechnung gemäß § 13b UStG – Umkehrung der Steuerschuldnerschaft.“

Als zum Vorsteuerabzug berechtigter Empfänger der Leistung:

  • Sie ermitteln die Umsatzsteuer, übrigens auch bei tauschähnlichen Umsätzen
  • Sie melden Sie an das Finanzamt.
  • Sie ziehen den ermittelten Betrag gleichzeitig wieder als Vorsteuer ab (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG). Dies ist auch unabhängig von einer Rechnung möglich.
  • Per Saldo ergibt sich ein Nullsummenspiel.
  • Fehlt in der Rechnung der Hinweis auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft, entbindet das Sie als Leistungsempfänger nicht von Ihrer Steuerschuldnerschaft.

Wie sehen beispielhafte Fallgestaltungen aus?

Fall 1: Ein Unternehmensberater aus Österreich berät einen Kfz-Händler in München. Er schickt für seine Leistungen im September dorthin seine Rechnung.

Lösung:

  • Der Berater hat als ausländischer Unternehmer eine sonstige Leistung gegenüber dem bayrischen Händler erbracht.
  • Ort der Leistung ist München (§ 3a Abs. 2 UStG).
  • Die Steuerschuldnerschaft geht auf den Münchener Unternehmer über (§ 13b Abs. 1 UStG).
  • Dieser berechnet 19 Prozent Umsatzsteuer.
  • Er führt diese ans Finanzamt ab.
  • Gleichzeitig macht er den Betrag als Vorsteuer in seiner Umsatzsteuervoranmeldung geltend.

Fall 2: Ein Produktionsunternehmer aus Aachen errichtet eine neue Betriebshalle. Türen und Fenster liefert eine holländische Firma und baut diese ein.

Lösung:

  • Der ausländische Unternehmer erbringt im Inland eine steuerpflichtige Werklieferung.
  • Die Umsatzsteuerschuld geht auf den deutschen Unternehmer über.

Fall 3: Ein Unternehmen verkauft eine alte, ausgemusterte, aber noch funktionstüchtige Maschine an einen Altmetallhändler.

Lösung:

  • Die Maschine funktioniert noch.
  • Es handelt sich um eine normale Lieferung ohne Reverse-Charge.

Fall 4: Die Maschine aus Fall 3 wird verkauft und ist aufgrund eines Brandschadens irreparabel unbrauchbar.

Lösung:

  • Die Maschine gilt als Altmetall.
  • Das Reverse-Charge-Verfahren ist anzuwenden.

Wie Sie sehen, stellt Sie als Unternehmer die Umsatzsteuer innerhalb der EU vor eine Reihe von Herausforderungen. Wie Sie diese jederzeit rechtssicher meistern, haben wir in dem Beitrag „Umsatzsteuer in der EU“ für Sie zusammengetragen.

Vorsteuer, die Sie als Unternehmer im Ausland bezahlt haben, lassen Sie sich nach festen Regeln vergüten.

Autor*in: Franz Höllriegel