Prozessmanagement 2.0: Die Entwicklung des QMB zum Prozessoptimierer
Wer sich im Bereich ISO 9001 bewegt, der kommt momentan um die Begriffe „Prozess“ und „Prozessmanagement“ nicht herum. Doch warum eigentlich? Mit der Revision der ISO 9001:2015 legt die Norm einen deutlichen Schwerpunkt auf die Prozesse. Der prozessorientierte Ansatz wurde zwar auch schon in der Vorgängerversion empfohlen und dessen Vorteile wurden ausführlich erläutert, aber in dieser Intensität war er nicht vorhanden. Damit verbunden ist die Chance für den Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB), sich in Richtung eines „Prozessoptimierers“ zu entwickeln.
ISO 9001 fasst Stand der Technik zusammen
Den ersten Hinweis auf eine elementare Stärkung des Prozessmanagements gibt die ISO 9001 in der Einleitung. Dort wird der prozessorientierte Ansatz mit dem Hinweis empfohlen, dass es dieser ermöglicht, Prozesse basierend auf der Bewertung von Daten und Informationen zu verbessern. Außerdem gibt es hier erstmals eine Definition bzw. schematische Darstellung, was unter einem Prozess zu verstehen ist.
Und auch ohne das Wort „Prozessmanagement“ zu benutzen, wird in Abschnitt 4.4 „Qualitätsmanagementsystem und seine Prozesse“ ausgeführt, dass die Prozesse und „die damit verbundenen Leistungsindikatoren“ bestimmt werden müssen. Und genau darum geht es im Bereich Prozessmanagement – die Beherrschung von unternehmensinternen Prozessen mit dem Ziel, die Effizienz, Flexibilität und Qualität zu steigern, indem die Prozesse optimiert werden. Und auch hier hat die ISO 9001 gleich einen Tipp an der Hand und empfiehlt den PDCA-Zyklus, um Prozesse kontinuierlich zu verbessern.
Mit dieser Veränderung übernimmt die ISO 9001 jetzt nicht unbedingt eine Vorreiterrolle, allerdings reagiert sie auf sich verändernde Gegebenheiten in den letzten Jahren und eine Entwicklung, die in vielen Unternehmen schon stattgefunden hat. Und zugleich öffnet sie mit dem neuen Fokus „Effizienz“ das QM-System für eine echte Verbesserung, die in Richtung des Business-Excellence-Ansatzes weitergedacht und weiterentwickelt werden kann.
Was bringt Prozessmanagement dem Unternehmen?
In vielen Unternehmen hat die Prozessdarstellung dem Organigramm schon den Rang abgelaufen, wenn es darum geht, das Unternehmen darzustellen. Und das aus gutem Grund. Denn durch die Prozessdarstellung werden Unternehmensabläufe transparent dargestellt – und genau dieses Prozessdenken hilft interne Abläufe zu analysieren und zu verbessern. Ein weiterer Vorteil dieses Prozessdenkens ist, dass ein Unternehmen ja abteilungsübergreifend funktioniert und somit besser erfasst werden kann, als es mit der reinen Funktionsdarstellung in Organigrammen geschieht. Dadurch werden die Zusammenarbeit im Unternehmen und die Kommunikation der Mitarbeiter verbessert.
Die Prozesse in einem Unternehmen müssen verändert bzw. verbessert werden, wenn man Verbesserungen in Bezug auf Effizienz, Flexibilität und Qualität anstrebt. Denn wenn morgen mit den identischen Vorgehensweisen (Prozessen) gearbeitet wird wie heute, dann werden morgen auch nur die gleichen Ergebnisse erzielt werden.
Weiterentwicklung des QMB zum Prozessmanager
Der Beauftragte der obersten Leitung ist tot, es lebe der Prozessmanager. So oder so ähnlich könnte man die Entwicklung in vielen Unternehmen formulieren.
Auch wenn der Beauftragte der obersten Leitung in der aktuellen Fassung nicht mehr direkt gefordert ist (um die Verantwortung der obersten Leitung anzuheben), so bedarf es doch jemandes, der im Bereich des Qualitätsmanagements „den Hut aufhat“. Und da sich der Schwerpunkt der Norm eindeutig in Richtung der Prozesse verlagert hat, so wird der Qualitätsmanager – oder wie auch immer man diese Funktion nennt –, sich mehr der Steuerung und Optimierung der unternehmensinternen Prozesse widmen können und müssen. Dies ist eine Entwicklung, in der einige Unternehmen noch ganz am Anfang stehen, andere allerdings schon weit fortgeschritten sind, weil sie die Bedeutung der Prozesse und deren Steuerung schon vor der Revision der Norm erkannt haben.
Prozesse optimieren mit einem lebendigen Prozessmanagement
Ein wichtiger und elementarer Ansatz dabei ist es, die Prozesse zu analysieren, also mit einer Ist-Aufnahme unter Zuhilfenahme von Prozesskennzahlen zu überprüfen und somit Schwachstellen oder Verbesserungspotenziale in den einzelnen Prozessen aufzudecken. Danach geht man daran, eine mögliche Soll-Situation für die analysierten Prozesse zu ermitteln. Wenn dies getan wurde, dann ergibt sich eine Lücke. Um diese zu schließen, sind Maßnahmen zu ermitteln und umzusetzen, damit der geplante Ist-Zustand erreicht wird. Nachdem diese Maßnahmen umgesetzt wurden, kann ermittelt werden, ob sie hilfreich gewesen sind, also ob der geplante Ist-Zustand erreicht wurde. Wenn dem so ist, dann können diese Maßnahmen standardisiert werden. Ist dem nicht so, so müssen weitere Maßnahmen erdacht, geplant und umgesetzt werden. Und somit wären wir dann auch wieder beim PDCA-Zyklus, der von der Norm im Bereich der Prozesse empfohlen wird.
Entscheidend beim Prozessmanagement: Mitarbeiter einbeziehen
Allerdings erliegt man leicht der Versuchung, dass man die Prozesse am Reißbrett skizziert, Planungen macht, Kennzahlen ermittelt und damit einen Soll-Zustand ermittelt, der vielleicht nicht ganz realistisch oder umsetzbar ist. Ganz wichtig dabei ist, nicht zu vergessen, dass die Prozesse in der Regel aber nicht am Reißbrett durchgeführt werden, sondern von Mitarbeitern, die diese Prozesse jeden Tag „leben“. Die Mitarbeitereinbeziehung ist dann nicht nur wichtig, um die Akzeptanz von Veränderungen und Maßnahmen zu erhöhen, sondern auch, weil die Mitarbeiter den wichtigsten Input zu möglichen Verbesserungen und Planungen geben können. Hier entwickelt sich der Beauftragte der obersten Leitung dann mehr und mehr in Richtung eines Coaches. Er gibt nicht mehr die Maßnahmen vor, sondern ist z.B. in solchen Meetings eher der Moderator oder der Coach, der zusammen mit und aus den Mitarbeitern Informationen herausholt, die am Reißbrett allein nicht aufgetaucht wären.
Ebenfalls sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Prozesslandschaft. Vielfach ist das leider noch eine Ansammlung der verschiedenen Prozesse, die einfach teilweise miteinander mit einem Strich verbunden wurden, um so die Normforderung nach Darstellung der Wechselwirkung der Prozesse nachzukommen. Doch eigentlich ist die Prozesslandschaft mehr als nur eine Darstellung.
Denn fast jeder Prozess hat einen vorgelagerten und einen nachgelagerten Prozess, durch den er entweder beeinflusst wird oder den er selber beeinflusst. Der Output des vorgelagerten Prozesses ist der Input des eigentlich zu beachtenden Prozesses und der Output des betrachteten Prozesses ist der Input des nachgelagerten Prozesses. Diese Wechselwirkung nicht nur grafisch darzustellen, sondern die Zusammenhänge zu verstehen und zu beeinflussen, kann ein weiterer und wichtiger Schritt im Prozessmanagement sein. Denn vielfach hilft eine Verbesserung in einem vorgelagerten Prozess dabei, auch Verbesserungen im eigentlichen Prozess zu erzielen. Und genauso sieht es dann auch mit dem nachgelagerten Prozess aus, der verbessert wird, wenn sein Input verbessert wird.
Doch teilweise werden Sie mit weiteren Verbesserungen eines Prozesses nicht wirklich ans Ziel kommen. Sei es, dass dieser an sich schon nicht mehr zeitgemäß ist, sei es, dass sich grundlegende Veränderungen ergeben haben. Dann kann das Redesign eines Prozesses ein guter Ansatzpunkt sein. Sich also nicht einfach hinzusetzen und zu überlegen, wo und wie der Prozess verändert werden kann, sondern sich – wenn es sinnvoll ist – ein weißes Blatt Papier zu nehmen und den Prozess von Beginn an und grundlegend neu zu gestalten.
Stärkung von Prozessaudits
Die Norm fordert interne Audits, was in vielen Unternehmen noch immer eher als Pflichtaufgabe angesehen wird. Doch gerade mit dem neuen Ansatz des Prozessmanagements kommt den Audits eine ganz besondere Bedeutung zu. Systemaudits sollen die Normerfüllung feststellen. Mit Prozessaudits lassen sich Verbesserungspotenziale heben.
Wichtig bei der Durchführung eines Prozessaudits ist, nicht einfach nur zu kontrollieren, ob der Prozess den Anforderungen entsprechend umgesetzt wird, sondern kritisch zu hinterfragen, warum bestimmte Dinge getan werden und ob und wie diese Prozesse besser durchgeführt werden können. Hilfreich hierbei ist nicht nur die Offenheit des Auditors für gute Lösungen im Sinne des Prozesses. Auch nach der 5-Why-Methode Abläufe zu hinterfragen und sich nicht mit der ersten Antwort zufrieden zu geben, kann zielführend sein. Oft stößt man erst nach mehrmaligem Fragen auf die richtige Ursache für eine Handlung. Daran lässt sich ansetzen und versuchen, andere und bessere Lösungsmöglichkeiten zu finden. Immer wieder zeigt sich in der Praxis: Unternehmen, die der Meinung sind, dass Änderungen an ihren Prozessen über Jahre hinweg nicht nötig sind, haben in der Regel eine erlahmte kontinuierliche Verbesserung.
Ausgewählte Prozesse auditieren
Zwar fordert die ISO 9001 im Wortlaut, dass interne Audits in geplanten Abständen stattfinden. Sie fordert allerdings nicht, dass es pro Jahr ein Audit über alle Bereiche des Qualitätsmanagementsystems geben muss. Die Auditoren sehen die Normforderung in der Regel als erfüllt an, wenn über den Zeitraum eines Zertifizierungszyklus (also innerhalb von drei Jahren) die Teile des kompletten Managementsystems einmal überprüft wurden.
Dementsprechend ist es besser, das Audit nicht als „Helikopterblick“ über komplett alle Bestandteile zu verstehen und dabei mehr oder weniger alles nur zu streifen, sondern sich konkret auf verschiedene ausgewählte Prozesse zu fokussieren. Ziel muss es dabei sein, Prozesse zu verbessern, um damit insgesamt die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems zu erhöhen und die unternehmensinternen Abläufe zu optimieren.
Chance zu echter Verbesserung annehmen
Mit dem bewussten Weglassen des Beauftragten der obersten Leitung, des QMB, eröffnet die neue ISO 9001 eine Chance. Mit der zunehmenden Trennung von technischer Qualitätssicherung und strategischem Qualitätsmanagement ist eine gravierende Veränderung verbunden, die direkt in das Berufsbild eingreift. Daher sind ein Umdenken im Denken und im Handeln sowie auch eine Kompetenzerweiterung nötig. Pure Normerfüllung reicht nicht mehr aus, die Entwicklung geht in Richtung Management und Optimierung der Prozesse. In der Folge werden vom bisherigen QMB neue Fähigkeiten und Fertigkeiten gefordert.