24.07.2015

Lean Management oder wie wir immer besser werden können

Viele, die den Begriff Lean Management hören, denken sofort an Personalabbau. Darum geht es jedoch nicht. Lean Management bezeichnet vielmehr die Gesamtheit von Denkprinzipien, Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette industrieller Güter. Es ging aus der schlanken Produktion (Lean Production) der Automobilindustrie hervor, dessen weltweiter und bekannter Benchmark das Toyota-Produktionssystem (TPS) ist.

Kleine Schritte zur ständigen Verbesserung: Lean Management

Lean Management ist kein vollkommen neuer Ansatz. Denn das Toyota-Produktionssystems (TPS), aus dem das Lean Management hervorging, hat seine Wurzeln in den Denkhaltungen von Sakichi Toyoda.

Sakichi Toyoda (1867–1930) stellte ab 1894 zunächst handbetriebene Webstühle her. Ab 1926 produzierte er elektrische Webstühle und gründete die Toyoda Automatic Loom Works. Diese wiesen einen Mechanismus auf, der zu einem Maschinenstopp führte, sobald ein Faden riss. Dadurch musste der Bediener direkt auf einen Fehler reagieren. Außerdem konnte nun ein Mitarbeiter gleichzeitig mehrere Maschinen bedienen und kontrollieren.

Diese Neuerungen beruhten auf drei Grundprinzipien, die heute in sämtlichen Toyota-Werken von über 320.000 Mitarbeitern verinnerlicht und angewendet werden:

  1. ständige Selbstverbesserung durch Beharrlichkeit und Disziplin
  2. Jidoka (selbstgesteuerte Fehlererkennung)
  3. Genchi genbutsu (faktenbasiertes Management, „go and see“)

Grundprinzip der ständigen Selbstverbesserung

Die ständige (Selbst-)Verbesserung ist heute vor allem unter den Begriffen KVP (kontinuierliche Verbesserung) und Kaizen (Veränderung zum Besseren) bekannt. Hierbei steht die Frage „Was muss ich tun, um besser zu werden?“ im Fokus. Da Veränderungen und große Ziele stets mit Hindernissen und Problemen verbunden sind, müssen Menschen im positiven Sinn beharrlich und diszipliniert sein. Beharrlichkeit und Disziplin sind hier keinesfalls als „Gehorsam“ zu verstehen, sondern sie helfen Menschen, sich auch bei Schwierigkeiten nicht von großen Zielen abbringen zu lassen und beständig an die Zielerreichung zu glauben.

Grundprinzip Jidoka (selbstgesteuerte Fehlererkennung)

Auch dieses Grundprinzip macht das heutige TPS so erfolgreich und ist immens wichtig. Es bedeutet, sofort auf Fehler zu reagieren und Probleme und Fehler nach oben zu eskalieren. Es ist also gewünscht, dass Mitarbeiter die Unterstützung von Vorgesetzten und der Geschäftsleitung einfordern. Hierzu zieht der Mitarbeiter bei Problemen oder einem Fehlereintritt eine Reißleine (Andon-Cord). Oder es wird (automatisch) ein optisches oder akustisches Warnsignal ausgelöst, wodurch die Produktion stoppt und die Organisation sofort reagieren muss. Toyota treibt dieses Prinzip heute auf die Spitze, indem es einen Verbesserungsbedarf sieht, wenn innerhalb einer bestimmten Zeit zu wenige Warnsignale vom Mitarbeiter ausgelöst werden.

Grundprinzip Genchi genbutsu (faktenbasiertes Management)

Management, Führung und Entscheidungen basieren hierbei auf Fakten, die direkt am Ort des Geschehens einzuholen sind („go and see“). Denn aus Toyota-Sicht ist es falsch, Entscheidungen ohne profundes Prozesswissen zu treffen.

Nach Sakichi Toyoda trieb sein Sohn und Nachfolger Kiichiro Toyoda (1894–1952) die weitere Entwicklung der Denkhaltungen an. 1930 gründete er die Toyota Motor Corporation. Während einer Studienreise zu den Ford- und General-Motors-Werken wurde ihm klar, dass er keinen Platz für so große Materialbestände wie die beiden US-Automobilbauer hatte, um ähnlich erfolgreich produzieren zu können. Seine Überlegungen führten ihn bereits auf der Rückreise dahin, dass stets das richtige Teil in richtiger Menge am richtigen Ort verfügbar sein muss, um geringe Bestände zu gewährleisten. Hiermit legte Kiichiro Toyoda den Grundstein für die heutige Just-in-time-Produktion.

Im Jahr 1948 trat Kiichiro Toyoda bedingt durch wirtschaftliche Probleme nach dem Zweiten Weltkrieg zurück.

Nachdem Sakichi und Kiichiro Toyoda den philosophischen Grundstein für das Toyota-Produktionssystem gelegt hatten, übersetzten Eiji Toyoda und Taiichi Ohno die Philosophie in den Produktionsalltag.

Eiji Toyoda (1913-2013) war der Cousin und Nachfolger von Kiichiro Toyoda bei Toyota.

Eiji Toyoda unternahm 1956 gemeinsam mit dem Ingenieur und Toyota-Produktionsleiter Taiichi Ohno (1912–1990) eine Studienreise zur Ford Motor Company und zu General Motors und ließ sich von dem Produktionssystem der US-Amerikaner inspirieren. Dabei stellten Toyoda und Ohno fest, dass die Mitarbeiter von Henry Ford einen Produktivitätsvorsprung von 9:1 gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern hatten. Somit setzten sie sich das Ziel, diesen Vorsprung aufzuholen. Eine reine Kopie des US-amerikanischen Produktionssystems konnte nach Ansicht von Toyoda und Ohno jedoch nicht zum Erfolg führen, weshalb sie unter der Federführung von Taiichi Ohno das heute bekannte Toyota-Produktionssystem (TPS) entwickelten.

Verschwendung eliminieren

Ein Kernpunkt bei der Vorgehensweise von Taiichi Ohno und der Entwicklung des Toyota-Produktionssystems war es, sich den Begriff der Verschwendung vor Augen zu führen.

Ohno stellte sich die Frage, wann ein Prozess wertschöpfend ist und wann nicht. Wertschöpfung war seiner Meinung nach alles, wofür der Kunde bereit ist zu zahlen. Daher war es ihm wichtig, jegliche Verschwendung zu eliminieren.

Die drei M: Muda, Mura; Muri

Dies führte Ohno zu den drei M:

  • Muda (Verschwendung)
  • Mura (Unausgeglichenheit)
  • Muri (Überlastung)

Unausgeglichene Prozesse führen zu überlasteten Prozessen bzw. Prozesseinheiten und zwangsläufig zu Verschwendung. Also sagte Taiichi Ohno der Unausgeglichenheit, Überbelastung und Verschwendung den Kampf an.

Muda – oder die sieben Arten der Verschwendung

In der Lean Management-Literatur werden ursprünglich sieben unterschiedliche Verschwendungsarten beschrieben.

Verschwendung entsteht durch:

  1. Überproduktion
  2. Umlaufbestände und Lagerhaltung (unangemessene Bestände)
  3. Transport (unnötige Wegstrecken)
  4. Warte- und Liegezeiten
  5. Bewegung (ergonomisch ungünstige Gestaltung des Arbeitsplatzes, …)
  6. falsche Mittel und Verfahren (Over-Engineering, …)
  7. Fehler und Ausschuss

In jüngerer Zeit wurde eine achte Verschwendungsart ergänzt, die in der Nichtnutzung vorhandener Mitarbeiterpotenziale (Kreativität, Know-how, …) besteht.

Eine Hauptaufgabe des Lean Managements ist es, Verschwendung zu vermeiden. Hierzu wird jeder Arbeitsprozess bezüglich der sieben bzw. acht Verschwendungsarten analysiert. Die Vermeidung von Verschwendung ist Teil eines jeden Verbesserungsprozesses.

Mura – Unausgeglichenheit

Der japanische Begriff Mura kann als Unausgeglichenheit übersetzt werden.

Mura beschreibt die Unausgeglichenheit, d.h. Prozessschwankungen und eine Unter- oder Überlastung von Mensch und Maschine abseits des Prozessstandards mit all den erforderlichen zusätzlichen Aktivitäten und Maßnahmen, um Unausgeglichenheit zu kompensieren.

Häufige Ursache für unausgeglichene Prozesse ist eine zentrale Produktionsplanung und -steuerung. Sie hindert Organisationen oft daran, einen bedarfsgerechten Wertstrom ohne Unterbrechung sicherzustellen.

Muri – Überlastung

Der japanische Begriff Muri kann als Überlastung übersetzt werden.

Die Überlastung von Mensch und Maschine ist häufig eine direkte Folge von Muda (Verschwendung) und Mura (Unausgeglichenheit).

Überlastung entsteht häufig durch ungünstige Arbeitsvorgaben und Arbeitsumgebungen, z.B. zu eng gesetzte Zeitvorgaben oder unergonomische Arbeitsplätze. Das Gegenstück zur Überlastung ist Unterlastung, die oft zu Nachlässigkeiten führt und daher ebenfalls vermieden werden muss. Über- und Unterlastung führen wie Unausgeglichenheit (Mura) zu einem gestörten Wertstrom.

Durchlaufzeiten reduzieren: ein weiteres Ziel des Lean Management

Neben der Eliminierung von Verschwendung hat das Lean Management ein zweites Hauptziel: die Reduktion von Durchlaufzeiten.

Beide Hauptziele des Lean Managements spiegeln sich in einem Zitat von Taiichi Ohno wider:

„Alles, was wir tun, ist, auf die Durchlaufzeit zu achten, und zwar von dem Moment an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zu dem Moment, da wir das Geld in Empfang nehmen. Wir verkürzen die Durchlaufzeit, indem wir alle Bestandteile eliminieren, die keinen Mehrwert generieren.“

Dies bedeutet: Um Durchlaufzeiten nachhaltig zu reduzieren, müssen zunächst die sieben (bzw. acht) Verschwendungsarten aus den Arbeitsprozessen eliminiert werden.

Autor*innen: Anja Kranefeld, Tihomir Zadro