27.01.2021

Zwei Regelwerke ergänzen sich: Richtlinie VDI 2770 und iiRDS

Ein Standard ist erst ein Standard, wenn eine große Zahl von Nutzern oder die Mehrheit das Regelwerk benutzen und es somit zum allgemein anerkannten Standard machen. Während das inzwischen etablierte iiRDS-Regelwerk auf dem besten Wege dazu ist, zum allgemein anerkannten Standard von Information 4.0 zu werden, tritt seit Frühjahr 2020 mit der Richtlinie VDI 2770 ein ergänzendes Regelwerk für Information-4.0-Architekturen an.

Betriebsanleitung

In zwei Beiträgen werden wir Klarheit schaffen:

  • die Richtlinie VDI 2770 erläutern
  • die Alleinstellungsmerkmale von iiRDS in Erinnerung rufen
  • Szenarien für iiRDS und für die Richtlinie VDI 2770 diskutieren

Jedes dieser Standardisierungsregelwerke hat seinen Zweck in einem Smart-Information- und Information-4.0-Umfeld. Man kann das eine anwenden, ohne das andere aus dem Auge verlieren zu müssen – oder: einfach beide im Blick behalten und sie zu einer höchst flexiblen Lösung ergänzen lassen.

In diesem ersten Beitrag beschäftigen wir uns mit der Richtlinie VDI 2770 und konzentrieren uns dabei vorwiegend auf die Möglichkeiten, mithilfe der Richtlinie einen metadatengestützten und somit automatisierbaren Austausch von Teildokumenten einer Anlagendokumentation zu ermöglichen.

Sie lernen die Richtlinie VDI 2770 in ihren wesentlichen Empfehlungen kennen, vor allem auch die Anwendbarkeit im Maschinen- und Anlagenbau.

Der Überblick über die Möglichkeiten gemäß dieser Richtlinie erlaubt es Ihnen als Technik-Redakteur und Informationsarchitekt in dieser oder verwandten Branchen, selbstständig mit überschaubarem Aufwand Prozesse einzurichten, die den standardisierten Dokumentenaustausch zwischen Lieferanten und Kunden organisieren.

Sie werden auch feststellen, dass die Empfehlungen in dieser Richtlinie einen sehr flexiblen Austausch und eine Anbindung an iiRDS-Prozesse erlauben. Das kann Ihnen weitere und nahezu grenzenlose Möglichkeiten zur Automatisierung von Smart-Information-Anwendungen eröffnen.

Als bekannt vorausgesetzt

Wer sich regelmäßig mit künftigen Dokumentationsprozessen – besser: Informationsprozessen – beschäftigt, der weiß bereits, wie wichtig Metadaten im Smart-Information-Umfeld sind. Weiß, dass modulare Informationseinheiten zu den modularen Maschinenclustern in Industrie-4.0-Anlagen bestens passen – und althergebrachte monolithische Dokumente eher nicht. Metadaten, Modularisierung und kleine Informationseinheiten sind also Voraussetzung für effektive und effiziente Informationsflüsse.

Metadaten als Anhängsel für ein Informationshäppchen beschreiben genau, zu welchem Produkt oder zu welcher Baugruppe dieses hingehört, was seine Inhalte sind, für welche Nutzergruppe es geeignet ist und wie es sich in eine komplette Dokumentation einfügt. Diese Informationshäppchen können in der Praxis aber auch fertige Dokumente oder Teildokumente sein, die sich über zugeordnete Metadaten im Informationsfluss leicht steuern und lenken lassen. Wenn die Metadaten standardisiert sind, können sich die Informationshappen oder Teildokumente von Unterlieferanten – einen Software-Algorithmus vorausgesetzt – in die Gesamt-Anlagendokumentation einsortieren. Es fehlt dann nur noch ein ebenso standardisiertes Struktur- und Dateiformat, damit sie sich nahtlos in eine Nutzerinformation – sei es auf Papier oder elektronisch – einbetten.

Mit den Empfehlungen der Richtlinie VDI 2770 gelingt das – und mit dem Regelwerk iiRDS noch besser für Smart Information.

Ein neues Regelwerk: Richtlinie VDI 2770

Funktioniert im Prinzip genauso wie iiRDS, aber doch ganz anders

Das ist die Idee der neuen Richtlinie: Herstellerinformationen aller Art – Betriebsanleitungen, Pläne, Stücklisten und Zertifikate – sollen mit einem Minimum an Schnittstellenproblemen zwischen Lieferanten und Kunden ausgetauscht und ohne großen Aufwand in fremde Systeme eingebettet werden können. Zudem sollen sie auf dem Weg in diese Systeme selbstständig ihren Zielort finden. Oder wie es die Richtlinie in der Einleitung definiert:

„Die Regelungen dieser Richtlinie ermöglichen eine strukturierte und einheitliche Bereitstellung von digitalen Herstellerinformationen.“

Und später im Kapitel 1:

„Die Richtlinie legt Mindestanforderungen an die Übergabe und Beschaffenheit von digitalen Herstellerinformationen fest. Unter der Bezeichnung ‚digitale Herstellerinformationen‘ ist die Gesamtheit aller objektbezogenen Informationen des Herstellers zu verstehen, die dieser dem Nutzer in digitaler Form zur Verfügung stellt. Typischerweise sind diese Informationen in Form von Dokumenten strukturiert.“

Später werden wir sehen, dass digitale Herstellerinformationen über iiRDS noch differenzierter abgebildet werden können – vor allem, was das Produkt selber betrifft.

Dazu

  • gibt die Richtlinie einen festen Satz an Metadaten vor,
  • hilft bei der Klassifizierung der Dokumente und
  • kümmert sich um die zu liefernden Dateiformate.

Die Richtlinie kümmert sich dagegen nicht um die Inhalte, den Content von Nutzerinformationen also, hier sei auf andere einschlägige Normen verwiesen (z.B. DIN EN 82079-1). Auch fehlt für Smart-Information-Anwendungen eine detaillierte Produktklassifikation gegenüber der hier durchaus umfassenden Dokumentklassifikation. Ebenfalls vermisst der Informationsarchitekt Benutzermetadaten, die unbedingt ergänzt werden müssten, um bei der Informationszusammenstellung exakt auf Qualifizierung und Rolle des Produktbenutzers eingehen zu können.

Bemerkenswert ist die Festlegung auf ein einziges Dateiformat: PDF.

PDF? Wollten wir das nicht vermeiden in Smart-Information-Zeiten?

PDF als Dateiformat – zurück in die Zukunft?

Gerne würden wir mit den Autoren der Richtlinie sprechen und sie fragen, warum gerade PDF den Weg in die Zukunft markieren soll. Doch es gibt durchaus Argumente, die dafür sprechen:

Im Maschinen- und Anlagenbau geht es oft um sehr langlebige Systeme, für die die Herstellerinformationen über mehrere Jahrzehnte verfügbar sein müssen. Hallenkräne, Kraftwerke – das reicht knapp an 100 Jahre. Da ist ein Dateiformat gefordert, das mit Sicherheit auch noch 2120 geöffnet werden können muss. Eben mit Sicherheit, und nicht nach Dechiffrierung von XML- oder HTML5-Dateiclustern, denen dann vielleicht noch die passende DTD fehlt, die dann vielleicht nicht einmal sauber dokumentiert vorliegt. Für die Langzeitarchivierung ist dagegen gerade PDF in seiner Ausprägung PDF/A nach ISO 19005 bestens geeignet.

Für Smart-Information-Anwendungen auf Smartphones allerdings passt PDF weniger – selbst in der neuesten Version PDF 2.0 ist das nicht komfortabel genug. Gründe gegen PDF auf mobilen Endgeräten gibt es eine ganze Reihe – auch hier sei auf den genannten Beitrag zu diesem Thema verwiesen. Aber das wird im sehr in Traditionen verhafteten Anlagenbau auch vorerst nicht notwendig sein müssen.

Die weiteren Ausführungen zu diesem spannenden Thema finden Sie in unserem Produkt Technische Dokumentation.

Autor*in: Prof. Dr. -Ing. Ulrich Thiele (Selbstständiger Technikautor, Dozent an der Fachhochschule Gießen.)