Vom Technik-Redakteur zum Video-Regisseur
Technik-Redakteure haben erkannt, dass die Inhalte, die sie produzieren, in Zukunft immer mehr multimedial präsentiert werden müssen. Die Gesellschaft für Technische Kommunikation, tekom, bemüht sich seit einigen Jahren darum, Technik-Redakteuren zu erklären, was nötig ist, um eigene Videos zu produzieren. Was selten vermittelt wird, ist die Antwort auf die Frage nach der Gestaltung dieser Videos im Rahmen von Erklärfilmen.
Wenn ein Unternehmen aus Mangel an Kapazitäten, Personal oder Räumlichkeiten keine Videos selbst produzieren kann, wendet es sich meist an professionelle Mediengestalter. Diese wissen, wie sie etwas richtig in Szene setzen. Jedoch sind sie keine Technik-Redakteure. Somit geht viel Zeit damit verloren, zunächst eine gemeinsame Sprache zu finden.
Wie vermittelt der Technik-Redakteur dem Mediengestalter, welche Bilder produziert werden müssen, um den Stand der Technik wiederzugeben, und wie vermittelt der Mediengestalter dem Technik-Redakteur, dass diese Bilder zwar wohl machbar sind, zusammengeschnitten aber eher Verwirrung statt Erkenntnis schaffen?
Praktischer Vorschlag für ein Konzept
Es mangelt also an einem Konzept, das auf medienwissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, Kognitionsforschung und Dramaturgie vereint, und das beide Parteien verstehen. Gleichzeitig darf es nicht zu „verkopft” und soll leicht anwendbar sein. Ein praktischer Vorschlag für solch ein Konzept wird im Folgenden vorgestellt.
Zunächst werden die Prinzipien erläutert, die Richard E. Mayer aufgestellt hat, als er erforschte, wie er Multimedia einsetzen könne, um den größten Lernerfolg zu erzielen. Daraus lassen sich Erkenntnisse für die Gestaltung von Erklärfilmen ableiten.
Bei der Vorbereitung von Erklärfilmen, denken wir zunächst an ein Drehbuch – am besten ein standardisiertes. Dass das ein Fehlschluss ist, wird hier im weiteren Verlauf erörtert. Nach der theoretischen Basis folgen darauf aufbauend praktische Vorschläge für die Gestaltung eines Erklärfilms.
Prinzipien nach Mayer
Wie setzt man moderne Medien richtig ein, um Inhalte zu vermitteln? Diese Frage wird sich Richard E. Mayer wohl auch gestellt haben. Um sie zu beantworten, kombinierte er Grafiken, Fotografien, Videos, geschriebenen Text und Musik in verschiedenen Variationen zu multimedialen Inhalten, die einen Sachverhalt vermittelten. Dieser Sachverhalt wurde im Anschluss abgefragt. Die Ergebnisse fasste Mayer in seinem Buch (Multimedia Learning. New York: Cambridge University Press, 2001) zusammen.
Er geht dabei von Informationskanälen aus, die auf der menschlichen Sinneswahrnehmung basieren. Die Augen liefern den visuellen und die Ohren den auditiven Informationskanal. Die Erfassungskapazität dieser Sinneswahrnehmungen ist bekanntermaßen begrenzt. So wird geschriebener Text und ein Bild über den visuellen Kanal aufgenommen. Befindet sich ein geschriebener Text auf einem Bild, so kann der Bildinhalt und der Textinhalt nicht gleichzeitig, sondern erst nacheinander aufgenommen werden.
Daraus leitet Mayer die folgenden Prinzipien ab, die hier stichpunktartig aufgelistet werden:
Multimediaprinzip
Informationen werden besser verarbeitet, wenn man Bilder und Text kombiniert anstatt nur Texte alleine. Mit Bildern sind hier auch Bewegtbilder gemeint, also Videos und Animationen, die mit gesprochenem Text kombiniert werden.
Räumliches Kontiguitätsprinzip
Informationen werden besser verarbeitet, wenn Bilder und Text nahe beieinander stehen, also auf derselben Seite oder demselben Monitor.
Zeitliches Kontiguitätsprinzip
Informationen werden besser verarbeitet, wenn Bilder und Text simultan gezeigt werden, statt sukzessiv.
Kohärenzprinzip
Wer mal einen langen Spielfilm mit fremdem Originalton und Untertiteln geschaut hat, kennt dieses Phänomen (siehe Modalitätsprinzip). Mayer fasst es in einem Schema folgendermaßen zusammen:
Informationen werden besser verarbeitet, wenn man Informationen nicht unnötig anreichert. Hierbei kann man differenzieren:
- Informationen werden besser verarbeitet, wenn man Bilder und Text nicht mit Informationen anreichert, die zwar interessant, aber irrelevant sind.
- Informationen werden besser verarbeitet, wenn man Bildern und Text keine Musik und Geräusche hinzufügt, die zwar interessant, aber irrelevant sind.
- Informationen werden besser verarbeitet, wenn man unnötigen Text aus einer multimedialen Präsentation streicht.
Reihenfolge von Bild und Text
Werden Bild und Text kombiniert, sollte immer das Bild zuerst zu sehen sein. Hört oder liest der Rezipient einen Text, in dem ein Bild beschrieben wird, so baut er sich das Bild mental zusammen. Erscheint dann ein Bild, das von seiner Imagination abweicht, führt das zur Irritation.
Modalitätsprinzip
Informationen werden besser verarbeitet, wenn man Bilder mit gesprochenem Text versieht, statt Bilder mit geschriebenem Text auf dem Monitor darzustellen. Verbale Kommentare sollten also direkten Bezug zu Videosequenzen haben.
Verbale Anleitungen
Mayer hat dargestellt, dass es für das Lernziel förderlicher ist, Bilder und gesprochenen Text zu kombinieren. Beim gesprochenen Text kann man unterscheiden zwischen:
- beschreibendem Text, z.B.: „Hier sehen Sie …”
- direktivem Text, z.B.: „Beobachten Sie, wie sich …”
Ferner ist natürliche Sprache in einem Gesprächsstil besser für das Verständnis von Informationen als synthetische und unpersönliche Sprache. Die Stimme des Sprechers sollte dabei möglichst in Bezug auf regionale Färbung neutral sein und Sprichwörter, die nur in einer bestimmten Region geläufig sind, sollten weggelassen werden. Natürliche Sprache löst beim Lernenden eine soziale Reaktion aus, als spräche eine reale Person zum Lernenden. Hierbei stellte Mayer fest, dass die soziale Reaktion bei direktivem Text besonders stark ausfiel, z.B. bei Handlungsaufforderungen. Interessant ist dabei, dass laut Mayer der Lernerfolg unabhängig davon ist, ob der Sprecher eines Textes im Bild zu sehen war, oder nicht.
Beim Verfassen des Textes gilt es für den Technik-Redakteur die Balance zu halten, zwischen Vorgaben der Norm, wie „Ein Satz – eine Handlungsanweisung” und den Empfehlungen Mayers, dass gesprochene Sprache möglichst natürlich klingen soll. Anhang C der Norm DIN EN 82079 „Checkliste für die Effektivität der Kommunikation” besagt auf Seite 51, dass Struktur und Sprache variieren dürfen, damit sie zum Medium passen. Es sollte auf eine einheitliche Terminologie geachtet werden.
Für interne Zwecke kann es reichen, wenn ein Technik-Redakteur den Text einspricht. Für externe Zwecke sollte man in einen professionellen Sprecher investieren. Eine schnelle Internetrecherche hat ergeben, dass man mit 200 Euro pro 5 Minuten rechnen kann. Auf jeden Fall sollte es eine menschliche Stimme sein und keine synthetische. Noch ist die Technik nicht soweit, synthetische Stimmen natürlich klingen zu lassen, was dazu führen kann, dass die Konzentration nicht mehr auf dem Inhalt des Gesagten liegt, sondern für das Verstehen der Blechstimme benötigt wird.