Strafrechtliche Haftung
Bei Verstößen gegen das Produktsicherheitsrecht kommt neben einer zivilrechtlichen Haftung und der öffentlich-rechtlichen Verhängung eines Bußgelds auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit in Betracht, wenn und soweit ein Produkt Produktnutzer oder unbeteiligte Dritte verletzt oder getötet hat. Man denke an die spektakulären Fälle Contergan, Lederspray, Holzschutzmittel oder Eschede-ICE-Unglück.
Zumeist wird strafrechtlich gegen die Führungskräfte des Unternehmens vorgegangen wegen Körperverletzung durch aktives Tun, nämlich Herstellen eines fehlerhaften Produkts, oder durch Unterlassen, weil man ein mit einem Fehler behaftetes Produkt nicht vom Markt nimmt.
Die wichtigsten Straftatbestände des Strafgesetzbuchs (StGB)
Ein spezielles Recht strafrechtlicher Produkthaftung findet sich im allgemeinen Strafrecht bzw. Kernstrafrecht, im StGB, nicht. Insofern muss auf die allgemeinen Straftatbestände zurückgegriffen werden.
Verletzte Rechtsgüter sind in erster Linie Leben und Gesundheit, also Tötungs- und Körperverletzungsdelikte. Die strafrechtliche Geltendmachung von Vermögensschäden ist dagegen eher die Ausnahme. Vielmehr werden die Delikte gegen Leben und Gesundheit im Strafverfahren als Vehikel für die Erzwingung von Schadensausgleichsleistungen außerhalb eines Zivilprozesses benutzt. Der Contergan-Fall ist das prominenteste Beispiel hierfür; die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen funktionierte erst nach Einigung über die Zahlung einer beachtlichen Summe des Herstellers an die Geschädigten.
Die strafrechtlichen Tatbestände sind in der Regel konkrete Gefährdungsdelikte, d.h., sie setzen eine konkrete Gefahr für Leib und Leben voraus, während nebenstrafrechtliche Tatbestände, die sich vor allem im Lebensmittel- und Arzneimittelrecht finden, ein pflichtwidriges Inverkehrbringen bestimmter Gegenstände schon dann erfassen, wenn es lediglich mit abstrakten Gefahren für diese Rechtsgüter verbunden ist. Mit dem Straftatbestand der Vergiftung enthält jedoch auch das StGB einen abstrakten Gefährdungstatbestand mit einem spezifischen Bezug zur Produkthaftung.
Im Zentrum des Interesses strafrechtlicher Produkthaftung stehen die Delikte der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung und der Körperverletzung. Der gemeinsame Kern dieser Delikte besteht darin, dass der tatbestandsmäßige Erfolg (Tod oder Körperverletzung) durch ein unerlaubt gefährliches Verhalten objektiv zurechenbar verursacht worden ist. In Betracht kommen folgende Straftatbestände:
- fahrlässige Tötung, § 222 StGB
- fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB
- vorsätzliche Tötung (Totschlag), § 212 StGB
- Körperverletzung, § 223 StGB
- gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB
- schwere Körperverletzung, § 226 StGB
- gemeingefährliche Vergiftung, § 314 StGB
- Brandstiftung, Herbeiführen einer Explosion, §§ 306 ff. StGB
Eine strafrechtliche Produkthaftung wegen Körperverletzung oder Tötung setzt im Einzelnen Folgendes voraus:
- Ein Verhalten einer natürlichen Person, das entweder in einem aktiven Tun oder einem Unterlassen besteht. Eine durch Unterlassen begangene Straftat erfordert gemäß § 13 Abs. 1 StGB, dass derjenige, der ein ihm mögliches Tun unterlassen hat, rechtlich dafür einzustehen hatte, dass es nicht zu einer Tötung oder Körperverletzung kam (Erfordernis einer Garantenstellung).
- die grundsätzlich unerlaubte Gefährlichkeit oder Pflichtwidrigkeit des Verhaltens
- die Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs durch das Verhalten
- Bei Vorsatzdelikten muss zudem die vorsätzliche Tatbegehung, d.h. im Bereich der Produkthaftung i.d.R. ein Handeln mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis), hinzutreten.
- Schließlich muss das Verhalten rechtswidrig und schuldhaft sein.
Nachfolgend werden anhand der grundlegenden Lederspray-Entscheidung des BGH die wichtigsten produkthaftungsspezifischen Besonderheiten dargestellt, die sich bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten ergeben.
Wer haftet im Unternehmen?
Verantwortlich im strafrechtlichen Sinne kann immer nur eine natürliche Person sein. Ist der Hersteller somit eine natürliche Person, so kann er sich selbst strafbar machen.
Regelmäßig wird aber der Produkthersteller ein Unternehmen sein. In Deutschland gibt es immer noch kein Unternehmensstrafrecht. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Strafbarkeit dann nicht in Betracht kommt, wenn der Hersteller oder der Importeur eine juristische Person, z.B. eine AG oder eine GmbH, oder eine Personenhandelsgesellschaft (KG oder OHG) ist.
Grundsätzlich wird in einem solchen Fall von den Gerichten geprüft, ob ein Verschulden des verantwortlichen Organs der juristischen Person, des persönlich haftenden Gesellschafters der Handelsgesellschaft oder eines sonstigen bestellten Vertreters vorliegt.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur strafrechtlichen Produkthaftung hat sich eine zweistufige Betrachtungsweise herausgebildet, wonach eine strafrechtliche Beurteilung in zwei Schritten erfolgt. In einem ersten Schritt wird das Verhalten des Unternehmens im Hinblick auf eine Erfüllung der strafrechtlichen Haftungsvoraussetzungen geprüft. Im zweiten Schritt wird das Verhalten des einzelnen Mitarbeiters beurteilt. Ihm wird das für das Unternehmen erzielte Ergebnis zugerechnet, wenn dies mit seiner Stellung in der Organisation und ihrer differenzierten Verantwortungsstruktur verträglich ist. Das führt in erster Linie zu einer Haftung der verantwortlichen Entscheidungsträger und allenfalls in zweiter Linie zu einer Haftung derjenigen, die als untergeordnete Mitarbeiter des Unternehmens tätig werden.
Der BGH führt in seiner vielbeachteten Lederspray-Entscheidung vom 06.07.1990 (Az. 2 StR 5491 89) aus, dass grundsätzlich für die Geschäftsleitung eine strafrechtliche Allzuständigkeit oder Generalverantwortung besteht. Das heißt, der GmbH-Geschäftsführer, der AG-Vorstand oder der persönlich haftende Gesellschafter einer Handelsgesellschaft ist prinzipiell für alles verantwortlich, was in seinem Unternehmen an strafrechtlich relevanten Handlungen geschieht. Selbst wenn in der Geschäftsleitung eine Ressortverteilung vorgenommen wurde, wird dadurch der einzelne Geschäftsführer nicht von seiner Gesamtverantwortung entbunden.
Pflichtwidriges Verhalten
Nur ein rechtlich missbilligtes, d.h. pflichtwidriges, Verhalten ist tatbestandsmäßig. Ein Verhalten ist pflichtwidrig, wenn mit ihm ein Risiko der Verletzung geschützter Rechtsgüter verbunden ist, das ein schützenswertes Interesse an der Vornahme der Handlung überwiegt. Die Rechtsprechung misst dabei dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigungen eine hohe Bedeutung zu.
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Vorsätzlich handelt, wer den tatbestandlichen Erfolg (Körperverletzung, Tötung) wenigstens billigend in Kauf nimmt, auch wenn er dessen Verwirklichung nicht direkt herbeiführen will.
Fahrlässig handelt, wer den tatbestandlichen Erfolg zwar nicht billigend in Kauf nimmt, aber in pflichtwidriger Weise auf das Ausbleiben von Schäden vertraut, wer also denkt, „es wird schon gut gehen”.
Das bedeutet, dass eine fehlende, gesetzlich geforderte Risikobeurteilung Hersteller oder Konstrukteure in Beweisnot bringt.
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