Stand der Technik – das müssen Sie wissen
Immer wieder wird in Rechtsvorschriften und Gerichtsurteilen auf den „Stand der Technik” Bezug genommen – aber was ist damit eigentlich gemeint? Der unbestimmte Rechtsbegriff berücksichtigt die Meinung führender Fachleute und praktische Erfahrungen und ist damit inhaltlich und zeitlich flexibel. Das macht den Umgang damit nicht gerade einfach.
Eine allgemeine Beschreibung des Begriffs „Stand der Technik” findet sich im „Handbuch der Rechtsförmlichkeit” des Bundesjustizministeriums der Justiz vom September 2008:
„Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der nach herrschender Auffassung führender Fachleute das Erreichen des gesetzlich vorgegebenen Zieles gesichert erscheinen lässt. Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen oder vergleichbare Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen müssen sich in der Praxis bewährt haben oder sollten – wenn dies noch nicht der Fall ist – möglichst im Betrieb mit Erfolg erprobt worden sein.” |
Eine ähnliche Formulierung findet sich in § 2 Abs. 10 „Begriffsbestimmungen” der Betriebssicherheitsverordnung:
„(10) Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Stands der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind.” |
Stand von Wissenschaft und Technik
„Stand von Wissenschaft und Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden und das Erreichen dieses Ziels gesichert erscheinen lassen. Dabei können im Bereich der Gefahrenabwehr wirtschaftliche Gesichtspunkte – als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen – keine Rolle spielen. Im Bereich der Vorsorge hat diese Vorrang vor wirtschaftlichen Gesichtspunkten.” (aus ”Handbuch der Rechtsförmlichkeit”)
Das beschriebene Anforderungsniveau ist sehr hoch, es wird nur bei sehr hohem Gefährdungspotenzial verwendet. Gefordert werden nicht nur von Fachleuten anerkannte und erprobte Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, sondern auch solche, die gerade erst erforscht und von der Wissenschaft als richtig anerkannt worden sind. Der Stand von Wissenschaft und Technik ist also stets aktuell, auf dem neuesten Stand und ändert sich infolgedessen sehr rasch mit fortschreitender Zeit. Es wird vom Anwender der Technik erwartet, dass er die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse laufend verfolgt und seine Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen sehr flexibel daran anpasst. Wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen dabei keine oder nur eine untergeordnete Rolle.
Beispiel: Der Stand von Wissenschaft und Technik spielt eher beim Schutz der Öffentlichkeit, z.B. im Umweltschutz und bei der Katastrophenabwehr, eine Rolle.
Im Arbeitsschutz und bei der Produktsicherheit wird der „Stand von Wissenschaft und Technik” nicht verwendet!
Stand der Technik
Dem Stand der Technik – siehe obige Beschreibung – entspricht die im europäischen Recht oft verwendete Formulierung „die besten verfügbaren Techniken”. Dies bringt sehr deutlich einen Unterschied zum Stand von Wissenschaft und Technik zum Ausdruck: Die dem Stand der Technik entsprechenden Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen müssen auf dem Markt verfügbar sein. Das sind sie aber nur, wenn ein Bedarf danach besteht, wenn also
- die führenden Fachleute die Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen für geeignet halten, das jeweils angestrebte Schutzziel zu erreichen,
- die Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen sich in der Praxis – im Betrieb – bewährt haben und schließlich
- die Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen wirtschaftlich sind, ihr Einsatz also auch finanziell vertretbar oder sogar attraktiv ist.
Beispiel: Was dem Stand der Technik entspricht, kann je nach Einsatzbedingungen unterschiedlich sein. So entspricht in Krankenhäusern und Warenhäusern der Einsatz eines Notstromgenerators oder einer Notstrombatterie sicher dem Stand der Technik, in privaten Häusern und Wohnungen aber sicher nicht.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik
Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind heute schriftlich oder in elektronischen Dokumenten niedergelegt, sie können aber auch mündlich überliefert werden. Die darin beschriebenen Anforderungen an Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen sind nach herrschender Auffassung der interessierten Kreise geeignet, die angestrebten Schutzziele zu erreichen und haben sich als praktisch und wirtschaftlich einsetzbar erwiesen.
Es fällt auf, dass nicht mehr nur von „führenden Fachleuten” die Rede ist, sondern von interessierten Kreisen. Regeln der Technik werden meist in Fachausschüssen erarbeitet, die von legitimierten Institutionen wie z.B. der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) oder dem Deutschen Institut für Normung (DIN) eingesetzt und organisiert werden. In diesen Fachausschüssen können alle mitarbeiten, die ein berechtigtes Interesse an der behandelten Regel plausibel machen können, z.B.:
- Vertreter staatlicher Stellen wie z.B. der Arbeitsministerien des Bundes und der Länder oder der Ämter für Arbeitsschutz,
- Vertreter der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen,
- Vertreter der Hersteller, Einführer oder Erarbeiter von Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen,
- Verwender von Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen,
- Vertreter von Gewerkschaften,
- Vertreter von Arbeitgeberverbänden, Industrieverbänden, Handelsverbänden oder Handwerkskammern,
- Vertreter von Verbraucherschutz- und Umweltschutzverbänden.
Die offene Mitgliedschaft in den Ausschüssen, die allgemein anerkannte Regeln der Technik erarbeiten, garantiert, dass alle Aspekte und Kriterien von Interessierten berücksichtigt werden. Eine allgemein anerkannte Regel der Technik ist also von jedermann ohne Probleme einsetzbar, und die Öffentlichkeit erwartet, dass dies auch geschieht.
Stand der Technik in der betrieblichen Praxis
Betrachtet man die Ausführungen in den angeführten Rechtsvorschriften, stellt man fest, dass man zwischen dem Stand der Technik in Bezug auf das Inverkehrbringen und dem Stand der Technik in Bezug auf die Verwendung eines Arbeitsmittels unterscheiden muss.
Der Hersteller oder Importeur eines Produkts darf dieses nur in den Verkehr bringen, wenn es zu diesem Zeitpunkt alle einschlägigen Bestimmungen einhält und darüber hinaus dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Dies bescheinigt der Hersteller selbst mit einer Konformitätserklärung und dem Anbringen des CE-Zeichens.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserem Produkt „CE von A bis Z“.