18.09.2018

MRK-Systeme verändern

Wie steht es um MRK-Systeme, die nach dem Inverkehrbringen bzw. der Inbetriebnahme für den Eigengebrauch verändert wurden?

Der digitale Wandel macht auch vorm Maschinenbau nicht Halt und die Branche sollte sich nicht vor der digitalen Transformation verschließen.

Beispiele für Veränderungen an in Verkehr gebrachten MRK-Systemen

  1. Bereits kurz nach der Inbetriebnahme fällt ein Bauteil des MRK-Systems aus. Der Hersteller des MRK-Systems liefert das entsprechende Ersatzteil, das der Betreiber gegen das fehlerhafte Teil austauscht.
  2. Nach einem halben Jahr liefert der Hersteller des MRK-Systems ein Softwareupdate, das der Betreiber aufspielt.
  3. Der Betreiber des MRK-Systems verkürzt die Taktzeit für die Handhabung eines Werkstücks von 20 auf 18 Sekunden.
  4. Ein MRK-System legt ein Bauteil in ein anderes ein. Nun soll vom MRK-System zusätzlich Kleber auf das eingelegte Bauteil aufgetragen werden.

Solche Veränderungen könnten wesentlich bzw. nicht wesentlich sein.

Bei einer wesentlichen Veränderung wird ein neues MRK-System geschaffen, das in Verkehr gebracht bzw. in Betrieb genommen wird. Die bisherige CE-Kennzeichnung erlischt. Der ursprüngliche Hersteller ist nicht mehr Hersteller. Hersteller wird der Betreiber des MRK-Systems. Der komplette Prozess der CE-Kennzeichnung muss durchgeführt werden.

Ist die Veränderung hingegen nicht wesentlich, bleibt der ursprüngliche Hersteller weiterhin Hersteller und der bisherige Betreiber weiterhin Betreiber. Entgegen einer landläufigen Meinung erlischt die CE-Kennzeichnung für das MRK-System nicht – sie gilt nur nicht für die Veränderung. Für den nicht veränderten Teil des MRK-Systems gilt die CE-Kennzeichnung weiterhin.

Im Folgenden wird zunächst dargelegt, warum der Betreiber eines MRK-Systems prüfen muss, ob eine Veränderung an einem MRK-System wesentlich ist oder nicht. Anschließend wird erläutert, wie festgestellt werden kann, ob eine Veränderung wesentlich ist oder nicht.

Grundlagen

Folgende Begriffe werden verwendet:

  • MRK
    Mensch-Roboter-Kollaboration bzw. -Kooperation
  • kollaborierender Betrieb
    Zustand, in dem ein hierfür konstruiertes Robotersystem und eine Bedienperson innerhalb eines Kollaborationsraums arbeiten (DIN ISO/TR 15066)
  • Robotersystem, MRK-System
    System, das sich typischerweise zusammensetzt aus einem Roboter, einem Endeffektor, einer Robotersteuerung sowie internen und externen Sensoren und das eine bestimmte Anwendung ermöglicht
  • Endeffektor
    Vorrichtung, die speziell zum Anbringen an die mechanische Schnittstelle konzipiert ist, mit der der Roboter seine Aufgabe erfüllt (EN ISO 10218-1)
  • Arbeitsraum
    der Raum, den sich Mensch und Roboter zur gleichzeitigen Durchführung von Arbeiten gemeinsam teilen
  • Kollaborationsraum
    Raum innerhalb des Arbeitsraums, in dem das Robotersystem (einschließlich des Werkstücks) und der Mensch während des Produktionsbetriebs gleichzeitig Aufgaben ausführen können (DIN ISO/TR 15066)
  • Kollaboration bzw. Kooperation
    Mit Kollaboration bzw. Kooperation wird die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter bezeichnet.
    In diesem Beitrag wird ausschließlich der Begriff „Kollaboration” verwendet.
    Im Fachbeitrag wird unterschieden zwischen „Kollaboration im engeren Sinne” und „Kollaboration im weiteren Sinne”.
    „Kollaboration im engeren Sinne” meint die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter, bei der beide in einem gemeinsamen Arbeitsraum interagieren und gemeinsam eine Aufgabe durchführen, um ein Ziel zu erreichen. Dabei kann der Mensch den Roboter führen, um mit ihm, z.B. an einem Werkstück, zu arbeiten.
    „Kollaboration im weiteren Sinne” meint eine Zusammenarbeit von Mensch und Roboter die nicht eine Kollaboration im engeren Sinne ist, z.B. die Koexistenz von Mensch und Roboter in unmittelbarer Nähe ohne das Teilen eines Kollaborationsraums und ohne die Möglichkeit, den Roboter zu führen.
  • Körpermodell
    Darstellung des menschlichen Körpers, bestehend aus einzelnen Körperabschnitten, die durch biomechanische Eigenschaften charakterisiert sind (DIN ISO/TR 15066)
  • Inverkehrbringen
    die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Gemeinschaftsmarkt (Beschluss 768/2008/EG)
  • Bereitstellung auf dem Markt
    jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Gemeinschaftsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit (Beschluss 768/2008/EG)
  • Hersteller
    jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet (Beschluss 768/2008/EG)
  • Betreiber
    jede natürliche oder juristische Person, die die Anlage betreibt oder besitzt oder der – sofern in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen – die ausschlaggebende wirtschaftliche Verfügungsmacht über den technischen Betrieb der Anlage übertragen worden ist (1999/13/EG)
  • Produkt
    Waren, Stoffe oder Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind (Produktsicherheitsgesetz (ProdSG))

Harmonisierungsrechtsvorschriften zur Produktsicherheit

  • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
  • „EN ISO 10218-1 Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen – Teil 1: Roboter”
  • EN ISO 10218-2 „Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen – Teil 2: Robotersysteme und Integration”

Technische Spezifikation

  • DIN ISO/TS 15066 „Roboter und Robotikgeräte – Kollaborierende Roboter (ISO/TS 15066:2016)

Leitfaden

Leitfäden zu Harmonisierungsrechtsvorschriften bieten Unterstützung bei deren Auslegung. Im Zusammenhang mit dem Thema „Veränderung von MRK-Systemen” wurde folgender Leitfaden verwendet:

  • Bekanntmachung der Kommission – Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 („Blue Guide”)

Veränderung von MRK-Systemen

Bei Konstruktion und Bau eines MRK-Systems können Veränderungen durch den Hersteller erforderlich werden.

Die meisten Änderungen werden in der konstruktiven Phase vorgenommen. In wenigen Fällen kann es auch während des Baus noch zu Veränderungen am MRK-System kommen.

Beispiel: Der Hersteller des MRK-Systems nimmt Änderungen am MRK-System vor, um dieses an die speziellen Prozesse beim Betreiber anzupassen.

Muss der Hersteller jetzt prüfen, ob diese Veränderungen wesentlich bzw. nicht wesentlich sind?

Die Antwort lautet: Nein.

Begründung: Damit ein MRK-System in Verkehr gebracht bzw. in Betrieb genommen werden darf, muss es den wesentlichen Anforderungen genügen.

Die wesentlichen Anforderungen ergeben sich aus den Harmonisierungsrechtsvorschriften mit CE-Kennzeichnung, von deren Geltungsbereich ein MRK-System erfasst wird.

Von diesen Harmonisierungsrechtsvorschriften mit CE-Kennzeichnung gibt es (Stand November 2018) 25 Stück. Dazu gehören u. a. die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und die EMV-Richtlinie 2014/30/EU, von deren Geltungsbereich MRK-Systeme typischerweise erfasst werden. Bei der Maschinenrichtlinie finden sich die wesentlichen Anforderungen im Anhang I, ebenso in der EMV-Richtlinie.

Solange ein MRK-System noch nicht in Verkehr gebracht bzw. in Betrieb genommen wurde, kann der Hersteller das MRK-System verändern, so oft er möchte – und die oben gestellte Frage bleibt ungestellt.

Wichtig ist, dass der Hersteller die wesentlichen Anforderungen bei der Inverkehrbringung bzw. Inbetriebnahme eingehalten hat.

Die weiteren Ausführungen zu diesem spannenden Thema finden Sie in unserem Produkt „Maschinenverordnung“.

 

 

Autor*in: Jörg Ertelt (Gründer und Inhaber von HELPDESIGN. Autor, Moderator, Dozent.)