17.01.2018

Berücksichtigung der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) in der Praxis

In sehr komplexen Anlagen, wo mehr und mehr Energie-, Informations- und Kommunikationstechnik bzw. elektrische und elektronische Komponenten auf immer kleinerem Raum konzentriert werden, kommt es sehr oft zu einer gegenseitigen Beeinflussung und damit zu einer einhergehenden Störung und Funktionsbeeinträchtigung der Betriebsmittel. Der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) wird deswegen eine immer größere Bedeutung zugesprochen.

EMV- und NSP-Richtlinie

Die EMV definiert die Fähigkeit eines Geräts, einer Anlage oder eines Systems, in seiner elektromagnetischen Umgebung störungsfrei zu arbeiten, ohne andere Betriebsmittel in ihrer Funktion zu beeinträchtigen.

Aus diesem Grund sollten elektrische Anlagen heutzutage nur unter Berücksichtigung einer informationstechnischen Nutzung geplant und errichtet werden.

VDE 0100–444 als wichtigste Errichtungsnorm

Die wichtigste Errichtungsnorm, die definierte Aussagen enthält, ist die VDE 0100-444 – Errichten von Niederspannungsanlagen, Schutzmaßnahmen – Schutz bei Störspannungen und elektromagnetischen Störgrößen. Diese Norm schreibt vor bzw. empfiehlt Maßnahmen, die helfen, den Einfluss von elektromagnetischen Störungen zu vermeiden oder zu verhindern.

Gleichzeitig müssen bei der Errichtung von elektrischen Anlagen auch weitere wichtige Normen beachtet werden wie z.B.:

  • DIN EN 50310 (VDE 0800-2-310):2017-02: Telekommunikationstechnische Potentialausgleichsanlagen für Gebäude und andere Strukturen
  • DIN EN 50174-2 (VDE 0800-174-2):2015-02:  Informationstechnik – Installation von Kommunikationsverkabelung – Teil 2: Installationsplanung und Installationspraktiken in Gebäuden

Des Weiteren enthält die VDE 0100-444:2010-10 weitere wichtige normative Verweisungen auf Normen der VDE-Reihe.

Wichtige Begriffe und Spezifizierungen:

Elektromagnetisch

Mit dem Begriff „elektromagnetisch” werden kurzum allgemein alle Störgrößen, die auf elektrische Betriebsmittel einwirken können, beschrieben. Dabei kann es sich z.B. um ein magnetisches Feld handeln, das innerhalb eines elektrischen Betriebsmittels über eine Leiterschleife eine Spannung induziert und dessen Betriebsspannung überlagert, oder eine Spannung, die leitungsgebunden zusätzlich zur normalen Betriebsspannung auf ein Betriebsmittel einwirkt.

Verträglichkeit

Unter Verträglichkeit versteht man trotz einwirkender Störgrößen die noch akzeptable Funktion eines elektrischen Betriebsmittels. Dabei kann sich die Verträglichkeit nicht nur auf ein einziges Betriebsmittel, sondern auf ein gesamtes zusammenhängendes System beziehen (z.B. Steuerungs-PC). In solchen Fällen kann es durchaus zu Funktionsstörungen kommen, die jedoch als akzeptierbare Funktionsminderung angesehen werden.

Was bedeutet elektromagnetische Verträglichkeit – EMV?

Die DIN 57870-1 (VDE 0870-1):1984-07 beschreibt die EMV als die „Fähigkeit einer elektrischen Einrichtung, in ihrer elektromagnetischen Umgebung zufriedenstellend zu funktionieren, ohne diese Umgebung, zu der auch andere Einrichtungen gehören, unzulässig zu beeinflussen”.

Also versteht man unter dem Begriff EMV, dass elektrische Betriebsmittel in einer vordefinierten Umgebung befriedigend funktionieren müssen, sodass sie

  • in dieser festgelegten Umgebung nicht störanfällig sind und
  • auf keine anderen elektrischen Betriebsmittel störend einwirken.

Ableitstrom

Obwohl der Begriff „Ableitstrom” sehr oft verwendet wird, beschreibt ihn die VDE 0100-200:2006-06 als „Strom in einem unerwünschten Strompfad unter üblichen Betriebsbedingungen”.

Ableitstrom ist kein Fehlstrom

Also handelt es sich hierbei nicht um einen Fehlerstrom, sondern um einen Strom, der unter normalen Betriebsbedingungen von den aktiven Leitern folgendermaßen fließen kann:

  • Aktive Leiter (L1-3, N) zum Schutzleiter (PE)
  • Aktive Leiter (L1-3, N) zum Erdpotenzial
  • Über fremde leitfähige Teile zur Erde oder Schutzleiter (PE)

Die Norm beschreibt ein fremdes leitfähiges Teil als „leitfähiges Teil, das nicht zur elektrischen Anlage gehört, dass jedoch ein elektrisches Potential, im Allgemeinen das einer örtlichen Erde, einführen kann”. (IEV 195-06-11)

Der Ableitstrom darf nicht mit dem Schutzleiterstrom verwechselt werden, der den gesamten Ableitstrom, aber auch Fehlerströme (Isolationsfehler) beinhalten kann, die nicht über andere Wege zur Erde fließen können. Das heißt, Ableitströme treten auch im fehlerfreien Betrieb einer elektrischen Anlage oder Maschine auf.

Ursachen für Ableitströme können sein:

Ursachen

  • Endlicher Isolationswiderstand elektrischer Betriebsmittel
  • Keine Entstörmaßnahmen frequenzgeregelter Antriebe
  • Elektrisch beheizte Wasserwärmer (Boiler, Durchlauferhitzer)
  • Entladewiderstände in elektrischen Betriebsmitteln
  • Kondensatoren von Netzfiltern

Alle elektrischen Einrichtungen und Betriebsmittel müssen grundsätzlich so konstruiert sein, dass eventuell auftretende Ableitströme keine Gefährdung für den Benutzer darstellen.

Der Ableitstrom kann im Grunde als Schutzleiterstrom oder als Berührungsstrom gemessen werden. In der Praxis erfolgt meist eine Schutzleiterstrommessung im Differenzstromverfahren. Dabei werden mit einer Differenzstrommesszange alle Phasenleiter und der Neutralleiter umfasst.

Schutzleiterstrom

Auf den Begriff des Schutzleiterstroms wird in den Normen relativ häufig eingegangen. Die VDE 0100-200:2006-06 versteht unter dem Schutzleiterstrom „Strom, der als Ableitstrom oder als elektrischer Strom infolge eines Isolationsfehlers im Schutzleiter auftritt”.

Die VDE 0100-510:2014-10 beschreibt die erforderlichen Maßnahmen, die bezüglich Schutzleiterströmen zu erwarten sind, und verweist gleichzeitig auf die DIN EN 61140 (VDE 0140-1):2007-03, die die zulässigen Schutzleiterströme der Betriebsmittel festlegen bzw. in Betracht gezogen werden müssen, wenn vom Hersteller des Betriebsmittels keine Angaben hierzu verfügbar sind.

Zusätzlich fordert die VDE 0100-540:2012-06 verstärkte Schutzleiter für Schutzleiterströme größer 10 mA, wobei diese einen Querschnitt von mindestens 10 mm2 Cu oder 16 mm2 Al haben müssen.

Fehlerstrom

Laut VDE 0100-200:2006-06 ist ein Fehlerstrom der „Strom, der über eine gegebene Fehlerstelle aufgrund eines Isolationsfehlers fließt”. Wie auch der Ableitstrom, fließt der Fehlerstrom zur Erde. Im Gegensatz zum Fehlerstrom, bei dem von einem Isolationsfehler ausgegangen wird, fließt der Ableitstrom betriebsbedingt.

Beeinflussung durch elektromagnetische Störgrößen

Störungen, die durch Beeinflussung von einem Gerät zu einem anderen stattfinden, sind durch den Menschen nicht direkt sichtbar, ihre Auswirkungen können jedoch essenziell sein.

Störkopplungsmodell

Um solche Störungen besser zu verstehen, verwendet man das Störkopplungsmodell, das die Begriffe Störquelle, Kopplung und Störsenke benutzt. Unter der Störquelle versteht man das Betriebsmittel, das die Störungen erzeugt, die Störsenke stellt das beeinflusste Betriebsmittel dar und die Kopplung oder der Kopplungspfad stellt den Weg zwischen Störquelle und Störsenke dar.

Es müssen also grundsätzlich drei Bedingungen erfüllt sein, damit eine Störung entstehen kann:

  1. Es muss eine Störquelle vorhanden sein.
  2. Es muss eine entsprechende Störsenke geben.
  3. Zwischen den beiden muss eine Kopplungsmöglichkeit vorhanden sein.

Auch wenn alle drei Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es allerdings immer nur dann zu einer Störung, wenn die Beeinflussung ein bestimmtes Maß überschreitet.

Ausführlichere Informationen zur EMV erhalten Sie in unserem Produkt „Elektromagnetische Verträglichkeit“.

Autor*in: Udo Mathiae