07.05.2023

Der Blue Guide 2022

Der Blue Guide der Europäischen Kommission wird laufend aktualisiert. Im Vergleich zur bisherigen Ausgabe des Blue Guide von 2016 gibt es interessante Änderungen.

Für Neulinge in der Thematik ist der Blue Guide eine gute Einarbeitungshilfe in Grundthemen des europäischen Produktrechts.

Warum wurde der Blue Guide aktualisiert?

Der Blue Guide dient dem besseren Verständnis der Produktvorschriften der EU und der einheitlicheren und konsequenteren Anwendung dieser Produktvorschriften.

Seit der letzten Aktualisierung des Blue Guide im Jahr 2016 hat sich viel getan, z.B. bei den Produktvorschriften, bei der Marktüberwachung, und nicht zuletzt hat auch der Brexit Wellen geschlagen.

Was ist die Funktion des Blue Guide?

Der Blue Guide erläutert die verschiedenen Elemente des „Neuen Rechtsrahmens“ und die Marktüberwachung, er trägt zu einem besseren Gesamtverständnis des „Neuen Rechtsrahmens“ bei und er unterstützt so die ordnungsgemäße Umsetzung der betroffenen Rechtsvorschriften.

Nur so können diese Rechtsvorschriften wirksam den Schutz öffentlicher Interessen wie Gesundheit und Sicherheit sowie den Schutz der Verbraucher, der Umwelt und der öffentlichen Sicherheit und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für die Wirtschaftsakteure gewährleisten. Darüber hinaus soll der Leitfaden den Zielen der Politik der Kommission für eine bessere Rechtsetzung dienen, indem er die bestehenden Rechtsvorschriften erläutert und so zur Entwicklung umfassenderer, kohärenterer und verhältnismäßigerer Rechtsvorschriften beiträgt.

Die wesentlichen Änderungen im Überblick

Neu im Blue Guide 2022 sind z.B. Informationen zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Kapitel 2.9.5) und zum Fulfillment-Dienstleister (Kapitel 3.5). Hier ein Überblick über weitere Änderungen:

Neu aufgenommen: Verordnung (EU) 2019/515

Seit dem 19. April 2020 gilt die Verordnung (EU) 2019/515 über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind. Um die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu erleichtern, werden die folgenden Punkte eingeführt:

  • freiwillige „Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung“, mit der Unternehmen nachweisen können, dass ihre Produkte in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind
  • unternehmensfreundliches Problemlösungsverfahren auf der Grundlage von SOLVIT, das Unternehmen bei der Ablehnung der gegenseitigen Anerkennung hilft
  • verstärkte Verwaltungszusammenarbeit, um die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu verbessern
  • mehr Informationen für Unternehmen durch „Produktinfostellen“ und das „einheitliche digitale Zugangstor“

Neu aufgenommen: Verordnung (EU) 2019/1020

Die wichtigste Veränderung, die der neue Rechtsrahmen dem rechtlichen Umfeld der EU gebracht hat, war die Einführung einer umfassenden Politik der Marktüberwachung. Dies hat die Ausrichtung der EU-Rechtsvorschriften erheblich verändert: Anstelle der Orientierung auf die Vorgabe von Produktanforderungen, die beim Inverkehrbringen von Produkten einzuhalten sind, wird nun stärker auf eine gleichmäßige Betonung von Durchsetzungsaspekten während des gesamten Lebenszyklus von Produkten abgezielt.

Mit der neuen Verordnung (EU) 2019/1020 zur Marktüberwachung und Konformität von Produkten wird die Marktüberwachung verbessert und modernisiert.

Durch die Verordnung (EU) 2019/1020 werden die Marktüberwachungsbestimmungen der VO (EG) Nr. 765/2008 (EG) ab dem 16. Juli 2021 ersetzt (siehe Artikel 44 der Verordnung [EU] 2019/1020) und insbesondere durch folgende Maßnahmen verbessert:

  • Bereitstellung von Informationen und Durchführung von Maßnahmen zur Förderung der Konformität
  • Bereitstellung wirksamerer Durchsetzungsinstrumente in Bezug auf Onlineverkäufe
  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, zwischen Marktüberwachungs- und Zollbehörden und durch ein EU-Netzwerk für Produktkonformität

Präzisiert: wesentliche Änderung

Nach dem Inverkehrbringen können Produkte einer Verlängerung der Lebensdauer unterzogen werden. Während einige dieser Verfahren darauf abzielen, den ursprünglichen Zustand des Produkts zu erhalten oder wiederherzustellen, bedeuten andere, dass an dem Produkt wesentliche Änderungen vorgenommen werden.

Ein Produkt, an dem nach seiner Inbetriebnahme wesentliche Änderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden, kann als neues Produkt angesehen werden, wenn

  1. seine ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart geändert wurde, ohne dass dies bei der ursprünglichen Risikobewertung vorgesehen war,
  2. sich die Art der Gefahr geändert oder das Risikoniveau im Vergleich zu den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union erhöht hat,
  3. das Produkt zur Verfügung gestellt wird (oder in Betrieb genommen wird, wenn die Inbetriebnahme ebenfalls in den Anwendungsbereich der geltenden Rechtsvorschriften fällt).

Dies ist von Fall zu Fall und insbesondere vor dem Hintergrund des Ziels der Rechtsvorschriften und der Art der Produkte im Anwendungsbereich der betreffenden Rechtsvorschrift zu entscheiden.

Wird ein modifiziertes Produkt als neues Produkt eingestuft, so muss es bei Bereitstellung bzw. Inbetriebnahme den Bestimmungen der anzuwendenden Rechtsvorschrift entsprechen.

Die natürliche oder juristische Person, die Änderungen an dem Produkt vornimmt oder vornehmen lässt, ist für die Konformität des geänderten Produkts verantwortlich und stellt eine Konformitätserklärung aus, selbst wenn sie bereits vorhandene Prüfungen und technische Unterlagen verwendet.

Abschnitt neu aufgenommen: Software

Software ist heute für das Funktionieren von Produkten unerlässlich. Nach den Rechtsvorschriften über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika gilt Software als solche, die bestimmte Merkmale aufweist, als Medizinprodukt oder In-vitro-Diagnostikum. Bestimmte Teile der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union beziehen sich ausdrücklich auf die in das Produkt integrierte Software.

Der Hersteller des Endprodukts ist dazu verpflichtet, im Rahmen der ersten Risikobewertung die Risiken der zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens in dieses Produkt integrierten Software vorherzusehen. Das Produktsicherheitskonzept umfasst den Schutz vor jeglichen Risiken, die von dem Produkt ausgehen. Dazu zählen nicht nur mechanische, chemische und elektrische Risiken, sondern auch sicherheitsrelevante Aspekte von Cyberrisiken und Risiken im Zusammenhang mit dem Verlust der Konnektivität von Produkten.

Softwareaktualisierungen oder -reparaturen könnten Instandhaltungsarbeiten gleichgesetzt werden, sofern sie ein bereits auf dem Markt befindliches Produkt nicht so verändern, dass die Konformität mit den geltenden Anforderungen beeinträchtigt werden kann.

Fazit

Der überarbeitete Blue Guide ist nach wie vor eines der wichtigsten Referenzdokumente, wie die nach dem „Neuen Konzept“ und nach dem „Gesamtkonzept“ verfassten Rechtsvorschriften in der Praxis umzusetzen sind. Er ist eine hilfreiche, übergreifende Orientierungshilfe bei Fragen und Diskussionen zur Auslegung und praktischen Anwendung von Grundthemen der europäischen Harmonisierungsrechtsakte.

Der Blue Guide greift vieldiskutierte Themen wie die Auswirkung des Brexit, den Onlinehandel und die Rolle von Software auf. Außerdem enthält er mehrere bedeutende, grundlegende Präzisierungen von wichtigen Begriffen des europäischen Produktrechts.

Sie können den Blue Guide 2022 auf der Seite der Europäischen Kommission herunterladen: Publications Office (europa.eu).

Informationen zu allen weiteren Änderungen erhalten Sie in unserem Produkt „Niederspannungsrichtlinie“.

 

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)