23.10.2023

Compliance unverzichtbar – Betriebsanleitungen für komplexe Systeme

Stellen Sie sich vor, Sie kaufen sich ein neues Auto. Als es so weit ist und Sie es freudig in Empfang nehmen, überreicht Ihnen Ihr Autohaus die Betriebsanleitung für Ihr neues Fahrzeug: eine Flut von Einzeldokumenten für so ziemlich alles, was im Auto verbaut ist – jedes einzelne Zubehör. So geht es vielen Betreibern, wenn Sie eine neue Maschine oder Anlage geliefert bekommen. Mit einem Unterschied: Sie sind nicht verwundert, denn sie haben nichts anderes erwartet. Wie ist die Gesetzeslage zu Betriebsanleitungen für komplexe Anlagen, was steht dazu in den Normen und welche Punkte muss der Hersteller bei der Erstellung einer gut organisierten Betriebsanleitung beachten?

technische Dokumentation

Wo liegt das Problem?

Betriebsanleitungen für komplexe Maschinenanlagen sind in der Regel sehr umfangreich und umfassen gewaltige Mengen an Betriebs-/Montageanleitungen von Zulieferern, die rechtskonform und zugleich wirtschaftlich gemanagt werden wollen. Man kann es deshalb kaum glauben: Aktuell gibt es weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene eine technische Norm, die Anlagenbauer bei der Erfüllung der Anforderungen der Maschinenrichtlinie an Betriebsanleitungen für komplexe Maschinenanlagen unterstützt. Einzig der der DIN-Fachbericht 146 aus dem Jahr 2006 liefert Unterstützung in diesem wichtigen und kostenintensiven Bereich.

Was ist in der Praxis zu beachten?

CE-Vorschriften berücksichtigen

Hersteller versuchen aus Kostengründen immer wieder, CE-Vorschriften vertraglich auszuschließen. Dies aber ist ein Verstoß gegen geltendes Recht und deshalb grundsätzlich zum Scheitern verurteilt.

Urheberrechte beachten

Im Allgemeinen gilt für Betriebsanleitungen sowie für die Zulieferdokumentation das Urheberrecht. Die Verwendung einer Betriebsanleitung ohne Zustimmung des Urhebers kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Es ist daher wichtig, die Einwilligung des Urhebers einzuholen, bevor eine Betriebsanleitung in eine andere integriert, übersetzt, vervielfältigt, veröffentlicht oder anderweitig genutzt wird. Ohne die Zustimmung des Zulieferers müssen Sie dessen Betriebs-/Montageanleitung so abändern, dass sie dem Urheberrecht des Zulieferers nicht mehr unterliegt. Schleichen sich hierbei Fehler ein, haften Sie selbst für diese Fehler, auch wenn Sie diese unwissentlich aus der Anleitung übernehmen.

Nicht „einfach mal alles mitschicken“

Warum Sie sich gut überlegen sollten, welche Komponenteninformation Sie an Ihren Endkunden weitergeben:

  • Jegliche Komponenteninformation muss in die Anwenderlandsprache(n) des Kunden übersetzt werden. Das ist teuer!
  • Betriebs-/Montageanleitungen für Komponenten enthalten oftmals kritische Handlungsanleitungen für Tätigkeiten, die der Endkunde nicht selbst durchführen darf. Bekommt er diese Informationen in die Hand, könnte er dies als Einladung betrachten, diese Tätigkeiten durchzuführen. Das Resultat: Sie haben ein Haftungsproblem!
  • Verwaltung und Handling von Betriebs-/Montageanleitungen für Komponenten im Rahmen der Betriebsanleitung kosten Zeit und Geld. Unnötiges Geld, wenn der Endkunde die Information nicht benötigt!

Stand der Technik für technische Dokumentationen?

Vielen Anlagenbauern ist nicht bekannt, dass es auch auf dem Fachgebiet der Technischen Dokumentation einen „Stand der Technik“ gibt, mit dem gesetzlich vorgegebene Ziele erreicht werden. Der Stand der Technik umfasst ein umfangreiches Regelwerk, das verschiedenste Aspekte der Technischen Dokumentation abdeckt – auch Benutzerinformationen in Form der Betriebsanleitung. Im Wesentlichen bildet die einschlägige Normung den Stand der Technik in diesem Bereich.

Was sagt das Gesetz?

Für die Compliance einer Anlage sind viele gesetzliche Vorschriften zu beachten. In diesem Fachbeitrag beschränken wir uns auf die vom CE-Recht geforderte Benutzerinformation und auf die entsprechende Anforderung im zivilen Kaufrecht.

Maschinenrichtlinie

Die Betriebsanleitung für eine Anlage legt quasi ein gemeinsames „Dach“ über alle betreiberrelevanten Informationen, die zu einer Anlage gehören. So sieht es auch die Maschinenrichtlinie. Erzeugnisse, die eine Maschine darstellen, werden in Artikel 2 aufgeführt. Alle dort aufgelisteten Maschinen sind eine „Gesamtheit“, für die ausdrücklich eine Betriebsanleitung gefordert wird:

„Jeder Maschine muss eine Betriebsanleitung in der oder den Amtssprachen der Gemeinschaft des Mitgliedstaats beiliegen, in dem die Maschine in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen wird.“

(Anhang I, 1.7.4 Betriebsanleitung)

Was können wir davon ableiten? Die Maschinenrichtlinie betrachtet eine Anlage als integrative Einheit – nicht nur als Additiv von unterschiedlichen Komponenten. Analog ist die Betriebsanleitung einer Anlage als integrative Einheit zu betrachten und nicht als ein Additiv von unterschiedlichen Dokumenten (siehe auch Leitfaden Maschinenrichtlinie, Auflage 2.2, §38 Gesamtheiten von Maschinen).

Zivilrecht/Kaufrecht

Maschinen- und Anlagenbauer sind erfahrungsgemäß stark auf das CE-Recht fokussiert. Vergessen wird, dass auch das Zivilrecht den Verkäufer einer Maschine zur Lieferung der notwendigen Benutzerinformation verpflichtet. Ob es sich hierbei um eine Maschine oder um eine Maschinenanlage handelt, ist unerheblich. Gefordert ist eine vollständige, der Zielgruppe angemessene Benutzerinformation.

Was steht in den Normen?

Die „Mutter aller Dokunormen“: DIN EN IEC/IEEE 82079-1

Die DIN EN IEC/IEEE 82079-1 Erstellung von Nutzungsinformationen (Gebrauchsanleitungen) für Produkte – Teil 1: Grundsätze und allgemeine Anforderungen (IEC/IEEE 82079-1:2019) stellt Grundsätze und allgemeine Anforderungen an die Nutzungsinformation für alle Arten von Produkten zusammen. „Komplexe Systemverbunde“ wie Industrieanlagen sind in den Anwendungsbereich ausdrücklich eingeschlossen. Zur Nutzungsinformation für komplexe Systeme stellt die Norm fest: Durch die Konfiguration der Komponenten des komplexen Systems entstehen „neue zu behandelnde Funktionen und Bedingungen“, die „über das hinausgehen, was in den Nutzungsinformationen für jedes Teilsystem und jede Komponente behandelt wird“.

Die Norm fordert:

  • Jedes System als Ganzes muss Nutzungsinformationen enthalten, einschließlich der Nutzungsbeschränkungen und Sicherheitshinweise auf Ebene des Gesamtsystems.
  • Für Betriebsaufgaben müssen Schritt-für-Schritt-Anleitungen für ein System so strukturiert sein, dass sie den Nutzern Aufgaben vorgeben und nicht nur die Beziehung zwischen den Systemkomponenten beschreiben.

Für die Möglichkeit der Strukturierung von Anlagenbeschreibungen nach Beschreibungen der Teilsysteme und Komponenten verweist die Norm auf DIN EN 81346-1:2010-05 Industrielle Systeme, Anlagen und Ausrüstungen und Industrieprodukte – Strukturierungsprinzipien und Referenzkennzeichnung – Teil 1: Allgemeine Regeln (IEC 81346-1:2009).

Weitere Normen

  • DIN EN ISO 12100 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung (ISO 12100:2010)
  • EN ISO 20607 Sicherheit von Maschinen – Betriebsanleitung – Allgemeine Gestaltungsgrundsätze (ISO 20607:2019); Deutsche Fassung EN ISO 20607:2019
  • DIN-Fachbericht 146 Technische Produktdokumentation – Betriebsanleitungen für Anlagen – Leitlinie für die Zusammenfassung von Informationen aus Betriebsanleitungen von Komponenten

Was muss in der Betriebsanleitung stehen?

Eine Anlage besteht aus einem Verbund von aufeinander abgestimmten Komponenten. Für die Betriebsanleitung einer Anlage bedeutet dies, dass die zentralen, anlagenübergreifenden Informationen mit den Komponenteninformationen in ein zielführendes System gebracht werden müssen. Daher sollte die Struktur der Betriebsanleitung in Form eines Gesamtinhaltsverzeichnisses beschrieben werden. Lassen Sie alle Informationen weg, die der Betreiber nicht benötigt. Wenn Inhalte der Betriebsanleitung von Inhalten der Zulieferdokumentation abweichen, müssen diese Abweichungen in der Betriebsanleitung beschrieben und erklärt werden.

Folgende Informationen müssen in der Betriebsanleitung enthalten sein:

  1. Inhaltsverzeichnis (inkl. aller Zulieferdokumentationen)
  2. Angaben zur bestimmungsgemäßen Verwendung
  3. Angaben zur Sicherheit
  4. Beschreibung der Anlage
  5. Beschreibung der Komponenten
  6. Beschreibung der Montage, Installation und Erstinbetriebnahme
  7. Angaben zur Bedienung
  8. Angaben zu Inspektion und Wartung
  9. Angaben zur Instandsetzung
  10. Ersatzteillisten
  11. Auflistung der Hilfs- und Betriebsstoffe
  12. Technische Daten
  13. Störmeldungen
  14. Maßnahmen zur Störungsbeseitigung
  15. Angaben zur Demontage
  16. Angaben zur Entsorgung

Fazit

Eine gut organisierte Betriebsanleitung, egal ob für eine Stand-alone-Maschine oder für eine komplexe Anlage, kostet unter Umständen nicht sehr viel mehr Geld, hat aber alle Vorteile einer gut gemachten Anleitung auf ihrer Seite. Aus Herstellersicht bedeutet dies u.a. Kundenzufriedenheit und -bindung sowie Aussichten auf Folgegeschäfte. Mit einer gut strukturierten Betriebsanleitung lassen sich außerdem Gewährleistungsfälle, Serviceeinsätze und Haftungsrisiken reduzieren.

Den kompletten Fachbeitrag mit weiteren Informationen finden Sie in unserem Praxismodul „Technische Dokumentation“.

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)