22.01.2025

Common Specifications bald auch für EU-Maschinenverordnung?

Fehlen harmonisierte Normen für Sicherheit und Gesundheit im Rahmen der EU-Maschinenverordnung oder reichen sie nicht aus, kann die EU-Kommission auf Common Specifications (Gemeinsame Spezifikationen) zurückgreifen. Dies soll allerdings nur eine Übergangslösung sein, bis harmonisierte Normen erarbeitet wurden. In einem aktuellen Positionspapier fordert die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) rechtsverbindliche Kriterien, ein transparentes Verfahren sowie eine deutlich verlängerte Kommentierungsfrist für diese Spezifikationen.

Der Begriff „common specifications“ ist vergleichsweise wenig geläufig. Am ehesten zu übersetzen wäre er mit „gemeinsame (technische) Spezifikationen“.

Die neue Maschinenverordnung (2023/1230) sieht Common Specifications (deutsch: Gemeinsame Spezifikationen) explizit vor. Laut Artikel 20(3) kann die Europäische Kommission Durchführungsrechtsakte zur Festlegung gemeinsamer Spezifikationen erlassen, um technische Anforderungen abzudecken, die als Mittel zur Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen eines Produkte angesehen werden.

Neben den oben genannten Fällen nennt die Maschinenverordnung als weitere Voraussetzungen:

  • Im Amtsblatt der Europäischen Union wurde kein Verweis auf harmonisierte Normen veröffentlicht, die die einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen nach Anhang III abdecken.
  • Es ist nicht zu erwarten, dass ein solcher Verweis innerhalb einer angemessenen Frist veröffentlicht wird.

EU schafft einen „Schleichweg“, um technische Standards einhalten zu können

Der Begriff „Common Specifications“ ist wenig geläufig. Am ehesten zu übersetzen ist er mit „Gemeinsame (technische) Spezifikationen“. Dass die EU neben dem klassischen Weg zu technischen Normen und Standards noch einen zweiten „Schleichweg“ geschaffen hat, ist überraschend wenig bekannt.

Dann werden Common Specifications notwendig

In der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte werden Gemeinsame Spezifikationen definiert als „ein Bündel technischer und/oder klinischer Anforderungen, die keine Norm sind und deren Befolgung es ermöglicht, die für ein Produkt, ein Verfahren oder ein System geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten.“ Der gleiche Wortlaut findet sich in der Verordnung über In-vitro-Diagnostika (2017/746). Diese Verordnungen legen auch fest, in welchen Fällen die EU-Kommission solche „Gemeinsamen Spezifikationen“ festlegen darf, und zwar:

  • wenn es keinen harmonisierten Standard gibt
  • wenn die relevanten harmonisierten Standards nicht ausreichen
  • wenn eine Notwendigkeit besteht, Belangen der öffentlichen Gesundheit Rechnung zu tragen.

Aufgegriffen werden die Common Specifications von der Verordnung über Künstliche Intelligenz (2024/1689). Auch hier gelten sie – neben den harmonisierten Normen – als optionales Instrument mit dem Ziel einer Harmonisierung von Produktanforderungen.

Welchen Einfluss hat KAN auf Normung im Arbeitsschutz?

Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) gehört nicht zu den Normungsgremien, sondern bringt sich aktiv in Normungsvorhaben ein und vertritt die Arbeitsschutz-Interessen. Sie setzt sich aus Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, dem Staat, der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und dem Deutschen Institut für Normung (DIN) zusammen.

So entstehen Common Specifications

Ein Beispiel für den Entstehungsweg einer Gemeinsamen Spezifikation: Wenn die Europäische Kommission die Normungsorganisationen auffordert, eine harmonisierte Norm zu erarbeiten, kann diese erfolgreich entstehen. Scheitert der Prozess jedoch, etwa wegen einer nicht rechtzeitig fertigen oder nicht passenden Norm, kann die Kommission auf Common Specifications zurückgreifen.

Das sind die Forderungen der Kommission Arbeitsschutz und Normung

Im Oktober 2024 hat die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) zum Prozedere der Common Specifications ein Positionspapier vorgelegt, das auf die Aspekte Verbindlichkeit, Transparenz, Beteiligung und Beschränkung fokussiert. Die Kernpositionen der KAN lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Verbindlichkeit durch einen einzigen horizontalen Rechtsakt: Die KAN moniert, dass die Common Specifications in sektorspezifischen Einzelrechtsakten festgelegt werden und für jeden Fall neu betrachtet und verhandelt werden. Vorgeschlagen wird stattdessen ein einziger horizontaler Rechtsakt für alle Binnenmarktvorschriften, der auch Kollisionsvorschriften sowie Vorschriften zu Rücknahme und Gültigkeit von Common Specifications enthält. Damit soll auch einer Fragmentierung und Inkohärenz des Normen- und Regelwerks vorgebeugt werden.
  • Vertrauen schaffen durch Transparenz: Die KAN fordert, dass Common Specifications anhand rechtsverbindlicher Kriterien und innerhalb eines transparenten Verfahrens erarbeitet werden. Das betrifft die Zusammensetzung der zuständigen Ausschüsse, die Beteiligung betroffene Kreise und die Art und Weise, wie die Arbeitsdokumente zur Veröffentlichung freigegeben werden.
  • Beteiligung gesellschaftlicher Interessenträger fördern und Kommentierungsfrist verlängern: Die KAN beklagt die mit 4 Wochen viel zu kurze Kommentierungszeit. Die technisch anspruchsvollen Materie bedürfe einer fundierten Beurteilung und fachlichen Expertise, ggf. auch durch Konsultation externer Experten. Aller betroffenen Kreise sollten eingebunden werden, explizit genannt wird der Arbeitsschutz. Daher müsse die Frist zum Kommentieren auf mindestens 12 Wochen verlängert werden.
  • Ausnahmen sollten Ausnahmen bleiben: Die KAN erinnert an die von der EU-Kommission selbst aufgestellte Vorgabe einer „exceptional fall back solution“. Common Specifications sollten daher eine solche „außergewöhnliche Ausweichlösung“ bleiben. Es solle für die Europäische Kommission eine Ultima Ratio bleiben, von dem Instrument der Common Specifications Gebrauch zu machen. Die KAN schlägt vor, dies rechtsverbindlich festzuschreiben.

Welche Vorteile haben harmonisierter Normen?

Abschließend verweist die Kommission Arbeitsschutz und Normung auf die Vorteile harmonisierter Normen gegenüber Common Specifications wie Transparenz, Beteiligung, Konsens und Vertrauen.

Ein horizontaler Ansatz zum Erarbeiten und Nutzen Gemeinsamer Spezifikationen war bereits 2022 vom Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) vorgeschlagen worden, ebenso klare Kriterien und ein rechtssicherer Rahmen. Außerdem forderte bereits der BDI zeitliche Rahmenbedingungen für das Inkrafttreten von Common Specifications sowie für das Zurückziehen. Man darf gespannt sein, ob die neuerliche Positionierung aus Deutschland von der EU-Kommission lediglich zur Kenntnis genommen wird oder ob und in welcher Weise die Kritikpunkte und Vorschläge aufgegriffen werden.

Weiterführende Informationen zum Thema „Common Specifications“

KAN-Positionspapier “Instrument der Common Specifications der Europäischen Kommission” von Oktober 204
https://www.kan.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Basisdokumente/de/EU/KAN-Positionspapier_Common_Specifications.pdf

Vorschlag des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI) zu Gemeinsamen Spezifikationen (Juni 2022)
https://bdi.eu/publikation/news/gemeinsame-spezifikationen-horizontaler-ansatz-nlf

Autor*in: Dr. Friedhelm Kring