16.05.2023

CE + CE = CE? – „Kombination aus Produkten“

Die Formulierung „Kombination aus Produkten“ lässt CE-geplagte Maschinen- und Anlagenbauer aufhorchen – ist eine Maschine oder Anlage doch prinzipiell nichts anderes als eine einzige große Kombination von einzelnen Produkten und Teilen. Und auch eine Kombination von Produkten, von denen viele für sich europäischen Rechtsvorschriften unterliegen. Woher kommt diese Formulierung? Und was hat es damit auf sich?

CE-Eisberg

„Kombination aus Produkten“ – was ist das und wo steht es?

Die Formulierung entstammt dem Blue Guide 2022, dem einzigen offiziellen übergeordneten europäischen „Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU“. Blue Guide Abschnitt 2.1. „Erfasste Erzeugnisse“ enthält im Unterabschnitt „Produktdefinition in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union“ die kryptisch anmutende Erläuterung zur „Kombination aus Produkten“:

„Eine Kombination aus Produkten und Teilen, die einzeln jeweils den anzuwendenden Rechtsvorschriften entsprechen, stellt nicht immer ein Endprodukt dar, das als Ganzes einer bestimmten Harmonisierungsrechtsvorschrift der Union entsprechen muss. In einigen Fällen wird jedoch eine Kombination aus verschiedenen Produkten und Teilen […] als Enderzeugnis angesehen, das der Vorschrift genügen muss. Die Verantwortung des Herstellers dieser Kombination umfasst insbesondere die Auswahl geeigneter Produkte für die Kombination, ihren Zusammenbau in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der betreffenden Rechtsvorschriften sowie die Erfüllung der Anforderungen der Rechtsvorschriften hinsichtlich Montage, EU-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung. Die Tatsache, dass Bestandteile oder Teile CE-gekennzeichnet sind, garantiert nicht automatisch, dass das Enderzeugnis ebenfalls diesen Vorschriften entspricht. Die Hersteller müssen Bestandteile und Teile so auswählen, dass das Enderzeugnis selbst die Anforderungen erfüllt. Die Hersteller müssen von Fall zu Fall überprüfen, ob eine Kombination von Produkten und Teilen als ein Endprodukt […] anzusehen ist.“

Diese Erläuterung wirft für den Maschinen- und Anlagenbauer wichtige Fragen auf:

  • Was genau ist unter einem „Endprodukt“ zu verstehen?
  • Was genau ist eine „Kombination aus Produkten und Teilen, die einzeln jeweils den anzuwendenden Rechtsvorschriften entsprechen“?

Was ist ein Endprodukt im Sinne des Blue Guide?

In Abschnitt 2.1, „Erfasste Erzeugnisse“ greift der Blue Guide den Status quo auf: Es gibt viele Produkte, die unter europäische Rechtsvorschriften fallen – und sie haben die unterschiedlichsten Bezeichnungen. Der Leitfaden schlussfolgert: ALLE in den Rechtvorschriften bezeichneten Produkte sind „Endprodukte“. Also z.B. sogar unvollständige Maschinen, die erst noch eingebaut werden müssen. Der Einbau selbst stellt die Endnutzung der unvollständigen Maschine dar. Entscheidend für die Einstufung als Endprodukt ist also nicht die finale Gebrauchsfertigkeit für den Anwender oder Betreiber – es sei denn, eine Rechtsvorschrift enthält eine spezifischere Bestimmung.

Was steht zur Kombination aus Produkten in der EMV-Richtlinie?

Ist meine „Kombination aus Produkten und Teilen“ ein Endprodukt? Diese Frage stellt sich z.B. bei der EMV-Richtlinie. Im Erwägungspunkt 9) heißt es:

„Die in dieser Richtlinie getroffenen Regelungen für Geräte sollten für fertige Geräte gelten, die in Verkehr gebracht werden. Bestimmte Bauteile und Baugruppen sollten unter bestimmten Voraussetzungen als Geräte betrachtet werden, wenn sie für Endnutzer bereitgestellt werden.“

Laut Artikel 3, (1) 2 der EMV-Richtlinie ist ein Gerät „ein fertiger Apparat oder eine als Funktionseinheit auf dem Markt bereitgestellte Kombination solcher Apparate, der bzw. die für Endnutzer bestimmt ist […]“.

Eine unvollständige Maschine kann ein fertiger Apparat oder eine Kombination solcher Apparate im Sinne der EMV-Richtlinie sein. Demnach würde eine unvollständige Maschine also der EMV-Richtlinie unterfallen – auch vom Aspekt der „Bereitstellung auf dem Markt“ her. Aber kann eine unvollständige Maschine „für einen Endnutzer bestimmt“ sein?

Wer ist der Endnutzer?

Der „Endnutzer“ ist in der EMV-Richtlinie selbst nicht definiert. Lediglich im Leitfaden zur EMV-Richtlinie (Kap.1.5, Gerät) heißt es:

„Eine der Voraussetzungen, die ein Gerät erfüllen muss, um als Gerät im Sinne der EMV-Richtlinie zu gelten, besteht darin, dass es für Endnutzer bestimmt sein muss. Im Zusammenhang mit diesem Leitfaden bezeichnet der Ausdruck Endnutzer eine natürliche Person […], die das Gerät bestimmungsgemäß nutzt oder beabsichtigt, es bestimmungsgemäß zu nutzen.“

„Endnutzer“ im Sinne der EMV-Richtlinie ist somit nicht „Endnutzer“ in der Definition des Blue Guide. Endnutzer im Sinne der EMV-Richtlinie ist der „echte“ Endnutzer, der das Gerät „bestimmungsgemäß“ nutzt – der finale Verbraucher oder Betreiber der vollständigen Maschine also, in welche die unvollständige Maschine eingebaut wird. Die „spezifischeren Bestimmungen“ der EMV-Richtlinie gelten deshalb VOR der allgemeineren Definition des Blue Guide.

Was ist eine Kombination aus Produkten und Teilen, die einzeln den anzuwendenden Rechtsvorschriften entsprechen?

Eine unvollständige Maschine kann diverse Produkte enthalten, die ein CE-Zeichen tragen. Nehmen wir z.B. ein zugekauftes Robotersystem, das in eine Maschine integriert werden soll. Es kann eine eigene Steuerung, Motoren, Ventile, ein mobiles Bedienpanel und viele andere Produkte mehr enthalten. Jedes dieser Produkte trägt ein eigenes CE-Zeichen gemäß der oder den EU-Rechtvorschriften, denen es unterfällt. Das Endprodukt muss als Ganzes der Maschinenrichtlinie jedoch nicht entsprechen. Es darf kein CE-Zeichen tragen und es darf nicht mit einer Konformitätserklärung nach Maschinenrichtlinie ausgeliefert werden.

In einigen Fällen jedoch wird „eine Kombination aus verschiedenen Produkten und Teilen […] als Enderzeugnis angesehen, das der Vorschrift genügen muss.“ (Blue Guide, Abschn. 2.1. „Erfasste Erzeugnisse“, Unterabschnitt „Produktdefinition in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union“)

Beispiele für solche Kombinationen aus Produkten im Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie sind z.B.

  • Maschinen (z.B. Werkzeugmaschinen),
  • einbaufertige Maschinen, die auf einem Beförderungsmittel montiert oder in einem Gebäude oder Bauwerk installiert werden sollen,
  • Gesamtheiten von Maschinen oder
  • auswechselbare Ausrüstungen.

In allen diesen Fällen kombiniert ein Maschinen- oder Anlagenbauer verschiedene Produkte, die in sich CE-konform sind. Als Hersteller des Endprodukts muss er alle Anforderungen der Maschinenrichtlinie an diese Kombination erfüllen, einschließlich der Anbringung des CE-Zeichens und der Ausstellung einer Konformitätserklärung nach Maschinenrichtlinie.

Fazit

Für den Maschinen- und Anlagenbauer bedeutet dies, dass er sehr genau aufpassen muss, welche EU-Rechtsvorschriften auf sein Produkt tatsächlich anwendbar sind. Hier nochmals ein Überblick über die wichtigsten Entscheidungskriterien:

  • Stellen die kombinierten Produkte ein Endprodukt dar, das als Ganzes einer oder mehreren EU-Rechtsvorschriften entsprechen muss?
  • Wie definieren die EU-Rechtsvorschriften, die auf mein Produkt anwendbar sein könnten, den Begriff „Endprodukt“?
  • Stelle ich das Produkt ausschließlich für die eigene Verwendung her?
  • Gibt es in einer auf mein Produkt anwendbaren EU-Rechtsvorschrift spezifischere Anforderungen als in einer anderen EU-Rechtsvorschrift?

 Den kompletten Fachbeitrag mit weiterführenden Informationen finden Sie in unserem Praxismodul „Maschinenverordnung“.

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)