20.11.2023

Zumutbarkeit der Erstattung von Bestattungskosten

Ist der erlittene Missbrauch durch den Verstorbenen im Kleinkindalter ein Grund, die Erstattung der Kosten seiner Beisetzung zu verweigern (VG Stuttgart, Urteil vom 21.09.2023, Az. 6 K 1805/22)?

Erstattung von Bestattungskosten

Kostenanforderung an die Tochter

Die leibliche Tochter eines Verstorbenen sollte die Kosten der Bestattung ihres verstorbenen Vaters tragen, die der Ordnungsbehörde entstanden waren. Sie wandte sich gegen die Pflicht zur Kostenerstattung und führte aus:

„Meine Mutter heiratete im Jahr 1995 meinen Vater, der außerdem eine im Jahr 1977 geborene Tochter hat. Kurz darauf trennten sich meine Eltern. Im Jahr 1996 wurde ich geboren und die Ehe der Eltern im Jahr 1999 geschieden. Ich wurde von meinem Vater im Kleinkindalter missbraucht; die Kostenforderung hat meine traumatischen Erlebnisse wieder reaktiviert. Das Erbe habe ich ausgeschlagen.“

Die Tochter legte eine ärztliche Bescheinigung vor, nach der sie sich in stationäre Behandlung begeben musste. Die Mutter bestätigte den Missbrauch.

Der Widerspruch der Tochter wurde zurückgewiesen. Daraufhin klagte sie.

Das Gericht stellte zunächst fest:

  • Die Tochter des Verstorbenen ist nach dem BestattG des Bundeslands bestattungspflichtig.
  • Die Gemeinde hat auch nicht den Grundsatz der Subsidiarität verletzt, weil innerhalb der Bestattungsfrist zeitnah kein Angehöriger ermittelt werden konnte.

… und prüfte dann die Zumutbarkeit der Kostentragung

  • Die Bestattungspflicht und damit einhergehend die Pflicht zur Erstattung der angefallenen Bestattungskosten knüpft allein an die Eigenschaft als Angehöriger des Verstorbenen an, ohne auf ein tatsächlich bestehendes persönliches Verhältnis zwischen ihnen abzustellen.
  • Abweichend von der unbeschränkten Kostenerstattungspflicht kann in eng begrenzten Ausnahmefällen die Kostenerstattungspflicht unverhältnismäßig sein, wenn (besondere) persönliche Härtegründe vorliegen.
  • Die Unverhältnismäßigkeit setzt eine so nachhaltige Zerstörung des Familienverhältnisses bereits zu Lebzeiten voraus, dass sich die Kostenerstattungspflicht des Erstattungspflichtigen als unzumutbare Belastung darstellt.
  • Ein strafgerichtliches Urteil gegen den verstorbenen Vater besteht nicht. Die Tochter hat den Missbrauch aber durch ein Attest eines Facharztes nachgewiesen. Die detaillierten Schilderungen der Mutter stützen diesen Sachverhalt.
  • Ein Missbrauch durch den Verstorbenen ist aber regelmäßig noch kein Umstand, der allein die Unzumutbarkeit begründet. Der darin liegenden Härte könnte durch das Geltendmachen eines Anspruchs nach § 74 SGB XII gegen den Sozialhilfeträger begegnet werden.
  • Wegen des Nachrangs von Sozialhilfeleistungen (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) und der Existenz einer Halbschwester übernimmt der Sozialhilfeträger jedoch nur die Hälfte der Bestattungskosten. Hinsichtlich der andere Hälfte ist die Tochter auf die Inanspruchnahme ihrer Halbschwester zu verweisen, bis sie belegt, dass von ihr keine Zahlungen zu erwarten sind.

Daraus folgerte das Gericht:

Die Tochter bleibt mit den Kosten der Bestattung des Vaters vermutlich jahrelang belastet und wird einen Teil der Bestattungskosten selbst tragen müssen. Die Kostenforderung stellt für sie eine weitere (seelische) Belastung dar. Die Gesamtschau dieser Umstände führt zu dem Ergebnis, dass es für sie unzumutbar ist, von ihr zu verlangen, ihre Rechte gegenüber der Halbschwester durchzusetzen. Dies insgesamt rechtfertigt die Annahme eines besonderen Härtefalls.

Ergebnis

Weil die Ordnungsbehörde die Tochter als Gesamtschuldnerin in Anspruch genommen hat, hob das VG den gesamten und nicht nur den hälftigen Kostenerstattungsbescheid auf.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)