10.09.2024

Wie schnell darf ein Einsatzfahrzeug fahren?

Nach einer Kollision eines PKW mit einem Einsatzfahrzeug verlangte der Halter des PKW Schadensersatz und Schmerzensgeld. Seine Klage entwickelte sich zu einem Bumerang für ihn (OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 04.01.2024, Az. 7 U 141/23).

Einsatzfahrzeug

Kollision trotz Martinshorn und Blaulicht

Der Fahrer eines PKW stieß im Kreuzungsbereich einer gut einsehbaren Straße, für die eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h galt, beim Linksabbiegen mit einem Einsatzfahrzeug zusammen. Das Martinshorn und das Blaulicht waren 7,11 Sekunden und 127,7 m vor der Kollision eingeschaltet, die Geschwindigkeit des Einsatzfahrzeugs betrug über 75 km/h. Die Parteien, d.h. der Halter des PKW und der Träger des Einsatzfahrzeugs, stritten um Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Sonderrechte nach der StVO

Nach § 35 Abs. 1 StVO können die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst Sonderrechte geltend machen, d.h. sich über die Vorschriften der StVO hinwegsetzen, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Für Rettungsfahrzeuge gilt Abs. 5a: Sie sind von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Wurde die Sorgfaltspflicht verletzt?

Das OLG stellte zunächst einmal klar, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und jeweils nur unter größtmöglicher Sorgfalt ausgeübt werden dürfen (§ 35 Abs. 8 StVO). Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht.

Die bei den Klägern aufkeimende Hoffnung begrub das OLG im Handumdrehen: Das im Vergleich zur angeordneten Geschwindigkeit von 30 km/h überhöhte Tempo von 75 km/h begründet keinen Verstoß, denn bei der Unfallstelle handelt es sich um eine gut einsehbare Straße.

Insoweit hat der Fahrer des Einsatzwagens, so das OLG, nicht gegen § 35 Abs. 8 StVO verstoßen.

Haftung aus der Betriebsgefahr?

Auch eine Haftung aus § 7 StVG (Betriebsgefahr) kann nicht geltend gemacht werden, entschied das Gericht und schickte die Kläger endgültig auf die Verliererstraße: Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer des PKW gegen § 38 Abs. 1 StVO verstoßen hat, indem er dem Einsatzfahrzeug nicht Platz gemacht hat. Martinshorn und Blaulicht hätten ihn zu einer zurückhaltenden Fahrweise veranlassen müssen, was nicht geschehen ist.

Ergebnis

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Doppelte ist bei einer Einsatzfahrt auf einer gut einsehbaren Hauptstraße (hier 75 km/h statt erlaubter 30 km/h) gerechtfertigt. Auf welche Weise Verkehrsteilnehmer „freie Bahn” zu schaffen haben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Ausschluss einer Behinderung des Einsatzfahrzeugs ist hierbei alleinige Richtschnur für das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer. Im Zweifel muss ein Fahrzeug einfach stehen bleiben, sofern für das Ausweichen nach links oder rechts kein genügender Platz vorhanden ist. Die Klage auf Amtshaftung wurde abgewiesen.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)