15.11.2024

Voraussetzungen des Verbots des Radfahrens auf einer Straße

Eine Gemeinde in Bayern blamierte sich vor dem VGH München (Urteil vom 7.5.2024, Az. 11 B 23.1992), weil sie ihre Hausaufgaben nicht sachgemäß erledigt hatte.

Radfahrverbot wegen eines Gefälles von 18 %

Der als F.-Weg ausgewiesene und touristisch beworbene Isar-Radweg verläuft ab dem Ortsausgang einer Gemeinde auf einer Länge von ca. 400 m bergab Richtung Isarkanal. Für einen Streckenabschnitt von 600 m ordnete die Gemeinde das Verbot des Radfahrens an. Ein Zusatzzeichen weist ein Gefälle von 18% aus. Trotz des Verbots wird der Streckenabschnitt von zahlreichen Radfahrern befahren.

Ein betroffener Radfahrer fühlte sich durch das Radfahrverbot eingeschränkt und klagte.

Fahrverbot nur als letztes Mittel

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist (§ 45 Abs. 9 Satz 1 StVO). Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 3 StVO). Die erforderliche qualifizierte Gefahrenlage setzt nicht zwingend voraus, dass ohne die Maßnahme alsbald mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermehrt Schadensfälle zu erwarten wären. Ein vollständiges Fahrverbot für Fahrzeuge kommt nur als „Ultima Ratio“ in Betracht.

Besteht tatsächlich eine qualifizierte Gefahrenlage?

Nach dem Grundsatz „Auch wenn etwas absolut eindeutig erscheint, schau besser zweimal hin“ nahm der VGH die Angelegenheit sehr genau. Anhand des Kartenviewers „Bayern-Atlas“ ermittelte er für die Gesamtstrecke von 600 m nur ein durchschnittliches Gefälle von 7,57 %, das deutlich unter der Angabe auf dem Gefahrenzeichen liegt und diesen Wert an keinem Punkt erreicht.

Damit noch nicht genug. Das Gericht beauftragte einen Gutachter und ordnete eine Ortsbesichtigung an:

  • Der betroffene Streckenabschnitt kann bei Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und situationsangepasster Fahrweise insgesamt als hinreichend übersichtlich angesehen werden.
  • Bei einer Zählung passierten 1.797 Zweiräder den Straßenabschnitt. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 17 km/h, die maximale Geschwindigkeit 51 km/h und die Geschwindigkeit, die von 85 % der erfassten Fahrzeuge nicht überschritten wurde, 33 km/h.
  • 1992 ereignete sich ein tödlicher Unfall, im Jahr 2003 drei Unfälle, in den Jahren 2014, 2021 und 2023 jeweils zwei Unfälle (darunter 2014 ein tödlicher Unfall) und in den Jahren 2011, 2013 und 2020 jeweils ein Unfall. Andere Fahrzeuge waren bei den erfassten Fahrradunfällen offenbar nicht beteiligt.

Schlussfolgerung des Gerichts

Das Gericht kam anhand dieser Fakten zu folgendem Ergebnis:

  • Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können sich auch aus dem Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände ergeben. Primär ist auf die Unfallhäufigkeit abzustellen.
  • Hiervon ausgehend erweisen sich die Straßenverhältnisse, die Topografie, die Verkehrsbelastung und die Unfallzahlen insgesamt als nicht so auffällig, dass ein Verbot für den Radverkehr erforderlich wäre.
  • Auch wenn das Befahren der Straße bergab mit dem Fahrrad (aber auch mit anderen Fahrzeugen) durchaus erhöhte Aufmerksamkeit, Vorsicht und Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer erfordert, zeigen die Angaben zu den erfassten Zweirädern und den bekannt gewordenen Unfällen nicht, dass die Unfallzahlen signifikant höher wären als auf vergleichbaren Strecken.

Die Gesamtbetrachtung rechtfertigt somit nicht die Annahme einer qualifizierten, das Verbot begründenden Gefahrenlage.

Ergebnis

Das Verbot des Radfahrens ist materiell rechtswidrig. Der VGH hob die straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Gemeinde auf.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)