Vernichtung von Personal- und Patientenakten
Soweit Personal- und Patientenakten eines in Insolvenz gegangenen Krankenhauses in verschlossenen Räumen lagern, zu denen nur zuverlässige Personen Zugang haben, besteht keine konkrete Gefahr für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der ehemaligen Mitarbeiter und Patienten (VG Göttingen, Beschuss vom 08.05.2015, Az. 1 B 127/15).
Nach Insolvenzverfahren übernahm die Antragstellerin ein Krankenhaus
Das Krankenhausgebäude war noch nicht vollständig geräumt; u.a. befinden sich dort noch Personalakten und ca. 170 laufende Meter Patientenunterlagen, u.a. Röntgenbilder und Aufzeichnungen über Röntgenuntersuchungen aus dem früheren Krankenhausbetrieb.
Die Behörde forderte auf der Grundlage des Gefahrenabwehrgesetzes i.V.m. dem Bundesdatenschutzgesetz die Antragstellerin als Zustandsstörerin mittels Bescheid auf, die noch dort gelagerten Patienten- und Personalunterlagen fach- und datenschutzkonform zu vernichten (Ziffer 1). Sie ordnete die sofortige Vollziehung dieser Anordnung an (Ziffer 2) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Vernichtung der Patienten- und Personalunterlagen ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro an (Ziffer 4). Die Anordnung zu Ziffer 1 wurde auf §§ 11, 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 a) Nds. SOG i.V.m. § 1 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz gestützt. Die Anordnung zur Vernichtung der Akten sei gerechtfertigt, weil im Fall einer nicht datenschutzkonformen Entsorgung der Patientenunterlagen eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten der ehemaligen Patienten zu befürchten sei.
Hiergegen hat die Antragstellerin Einspruch erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Sie sei weder Handlungs- noch Zustandsstörer, sondern der Insolvenzverwalter. Der Antrag hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
- Der Antrag der Antragstellerin auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet und hat Erfolg.
- Die Anordnung der Vernichtung der Akten ist nicht in genügender Weise begründet. Formelhafte Begründungen zu einem öffentlichen Interesse oder Hinweise auf die Gesetzeslage genügen der Begründungspflicht nicht.
- Die Antragstellerin sieht eine solche Gefahr offenbar in einem möglichen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (richtig wäre § 1 Nds. Datenschutzgesetz, Anmerkung des Gerichts). In den datenschutzrechtlichen Regelungen der §§ 1 ff. Nds. Datenschutzgesetz ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Bescheid nicht dargelegt, dass und inwieweit die ehemaligen Patienten und Mitarbeiter des früheren Krankenhauses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werden könnten. Diese Gefahr ergibt sich nicht bereits daraus, dass die Patienten- und Personalakten nach Einstellung des Krankenhausbetriebs und Insolvenz des Betreibers weiterhin in dem ehemaligen Krankenhausgebäude lagern.
- Nach Aktenlage befinden sich die Patienten- und Personalunterlagen in verschlossenen und gesicherten Räumen. Ein möglicher Missbrauch ist nicht ersichtlich. Die Schlüsselgewalt ist ausreichend geregelt. Insofern besteht keine konkrete Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrgesetzes.
- Da es hier an einer Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrgesetzes fehlt, kann die Frage, ob die Antragstellerin die richtige Adressatin der Verfügung ist, dahingestellt bleiben.
- Die angeordnete Vernichtung der Personal- und Patientenunterlagen ist aber auch deshalb rechtswidrig, weil hierbei die Aufbewahrungsfristen für die Unterlagen nicht berücksichtigt wurden. Nach § 28 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung – RöV -) sind Aufzeichnungen über Röntgenbehandlungen 30 Jahre lang nach der letzten Behandlung (§ 28 Abs. 3 Satz 1 RöV) und Röntgenbilder und Aufzeichnungen nach Absatz 1 Satz 2 über Röntgenuntersuchungen 10 Jahre lang nach der letzten Untersuchung aufzubewahren (Absatz 3 Satz 2). Röntgenbilder und Aufzeichnungen von Röntgenuntersuchungen einer Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres dieser Person aufzubewahren (Absatz 3 Satz 3). Es ist kaum anzunehmen, dass diese Fristen abgelaufen sind.
- Mit der Anordnung, alle Unterlagen bis zum 30.03.2015 zu vernichten, hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin somit etwas rechtlich Unmögliches aufgegeben, was diese Anordnung ebenfalls rechtswidrig macht.
- Die Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls rechtswidrig, da der ihr zugrunde liegende Verwaltungsakt rechtswidrig ist.
Hinweis
Die örtliche Ordnungsbehörde/Polizeibehörde kann grundsätzlich zur Gefahrenabwehr zur Beschlagnahme von Patientenakten im Einzelfall zuständig sein. Dies z.B., wenn ein Arzt „verschwindet“ und alle Unterlagen zurücklässt. Dann kann die Behörde sogar verpflichtet sein, aus Gefahrenabwehr- und datenschutzrechtlichen Gründen diese Akten zu beschlagnahmen.