Gericht bekräftigt: Keine Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister
Das OLG Frankfurt stoppte mit dem Urteil vom 06.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19, das für einige Gemeinden bequeme Outsourcing der Verkehrsüberwachung.
Geschwindigkeitsüberwachung mit „Hilfspolizisten“ einer GmbH
Ein Autofahrer in Südhessen fuhr innerorts schneller als die erlaubten 50 km/h. Mittels des Gerätes Leivtec XV3 wurde die Geschwindigkeit gemessen und ein Beweisfoto gefertigt. Das von einem Angestellten einer Privatfirma (GmbH) gefertigte und unterschriebene Messprotokoll enthält in dem Feld „Bemerkungen“ folgende Ausführungen:
„Bei dem o.g. Geschwindigkeitsmessgerät handelt es sich um ein Leihgerät. Nach Beendigung der Messung werden die Daten durch den Messbeamten (Ordnungspolizeibeamter) auf einem externen Datenspeicher gesichert und in der Verwaltung deponiert. Die Auswertung erfolgt ebenfalls durch einen Ordnungspolizeibeamten in der Verwaltung. Die Ordnungspolizeibeamten sind in der Stadt … beschäftigt.“
Zwischen der GmbH und der Gemeinde, die für den Ordnungsbezirk bestehend aus mehreren Gemeinden die Verkehrsüberwachung durchführt, wurde ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zwecke der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ zum Stundenverrechnungssatz von 23,12 Euro geschlossen. Im Dezember 2017 wurde dieser Vertrag abgeändert und die Tätigkeit als „Hilfspolizist“ für die „Unterstützung bei der Durchführung von Verkehrskontrollen, Aufbereitung“ beschrieben. Der Stundensatz wurde auf 23,58 Euro erhöht und auf den TVöD hingewiesen.
Der ertappte Autofahrer klagte gegen den Bußgeldbescheid.
Überwachung des fließenden Verkehrs als staatliche Kernaufgabe
Die Überwachung des fließenden Verkehrs ist Kernaufgabe des Staates, entschied das OLG Frankfurt. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern übertragen, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen.
Staat kann Sanktionsmacht nicht so einfach abgeben
In der Folge kann der Staat nicht die Regelungs- und Sanktionsmacht, die er von der Bevölkerung zur Begründung seiner eigene Legitimation an sich zieht, so ohne Weiteres wieder an „private Dienstleister“ abgeben, damit diese dann für ihn als „Subunternehmer“ ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Aus dem Recht etwas zu „dürfen“, folgt nicht automatisch das Recht, mit diesem „Dürfen“ beliebig umzugehen. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat die ihm gewährte Macht im Rahmen der ihm gewährten Regelungskompetenz eigenverantwortlich ausübt und nach Prinzipien eines Rechtsstaates gerichtlich überprüfbar rechtfertigt.
Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind, wozu insbesondere Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird.
Eine derartige Rechtsgrundlage, kam das Gericht zum Punkt, die eine Übertragung der staatlichen Verkehrsüberwachung auf private Dienstleister ermöglicht, ist nicht erlassen worden. Ihr Erlass ist angesichts von jährlich ca. 7 Mio. Bußgeldverfahren in Deutschland, die im Wesentlichen auf der Beweisführung durch den Einsatz technischer Überwachungsgeräte im sog. standardisierten Messverfahren erfolgt sind, auch nicht so ohne weiteres möglich.
Zwischenergebnis Es existiert keine Rechtsgrundlage, die es den Behörden der Verkehrsüberwachung erlauben würde, die Überwachung des fließenden Verkehrs auf Private zu übertragen. |
Zuständigkeit der Verkehrsüberwachung
Zuständig für die kommunale Verkehrsüberwachung ist (in Hessen) der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. In dieser Funktion ist er kein kommunales Selbstverwaltungsorgan, sondern Teil der Polizei und unmittelbar der Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums unterworfen. Er hat sich im Rahmen seiner polizeilichen Tätigkeit zwingend an Recht und Gesetz zu halten, und er haftet als Ortspolizeibehörde für die Gesetzmäßigkeit seiner polizeilichen Tätigkeit.
Dies bedeutet, dass die Verkehrsüberwachung von ihm als Ortspolizeibehörde durchgeführt wird. Verwendet er dabei Verkehrsüberwachungstechnik, hat er zu garantieren, dass die nach Maßgaben des Mess- und Eichgesetzes von der PTB in der Zulassung der Verkehrsmesstechnik vorgegebenen Anforderungen eingehalten werden und der behauptete Verkehrsverstoß in einem in sich geschlossenen System der Beweisführung prozessual einer gerichtlicher Überprüfung genügt.
Angestellter als Hilfspolizist?
Nach den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Bundesländer (hier: § 99 HSOG) können zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden. Diese Vorschriften sind nach Sinn und Zweck der Ermächtigung und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweiligen Behörden für die ihr übertragenen Tätigkeiten jeweils „eigene Bedienstete“ und „Bedienstete“ der jeweils nachgeordneten Behörden als „Hilfspolizeibeamte“ bestellen können.
Zwischenergebnis Der Bürgermeister ist als Ortspolizeibehörde befugt, zur Wahrnehmung der kommunalen Verkehrsüberwachung, eigene Bedienstete zu Hilfspolizeibeamten bzw. Ordnungspolizeibeamten zu bestellen. Da der Angestellte der GmbH kein Bediensteter der Gemeinde ist, scheidet diese Möglichkeit der Bestellung aus. |
Ergebnis: Bußgeldbescheide hätten nicht erlassen werden dürfen
Die Ortspolizeibehörde des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks hat in gesetzeswidriger Weise die ihr hoheitlich zugewiesene Verkehrsüberwachung durch einen privaten Dienstleister durchführen lassen. In der Folge hätte das zuständige Regierungspräsidium keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen.
Das Urteil ist abrufbar unter https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE190036240