Zur Verkehrsöffentlichkeit eines Privatparkplatzes
Das OLG Zweibrücken stellt an die Anforderungen zur Begründung der Öffentlichkeit einer privaten Parkplatzfläche weitere Erforschung des Sachverhalts (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.11.2019, Az. 1 OLG 2 Ss 77/19).
Sachverhalt
Nach den Feststellungen des AG stieß die Angeklagte mit einem von ihr geführten PKW auf einem Parkplatz gegen ein anderes Kraftfahrzeug, wodurch sie einen Fremdschaden in Höhe von 3.632,62 EUR verursachte. Obwohl sie den Unfall bemerkt hatte, verließ sie die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ihrer Person zu ermöglichen.
Geldstrafe durch das Amtsgericht
Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort mit einer Geldstrafe belegt, ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von fünf Monaten angeordnet. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten (Sprung-)Revision.
Feststellungen des AG
„Der Parkplatz steht im Eigentum des Zeugen W. M. Die Berechtigung zum Abstellen eines Fahrzeuges auf dem Parkplatz bedingt den Abschluss eines Mietvertrages mit dem Zeugen M. Nach Abschluss des Mietvertrages erhält der Mieter einen festen Parkplatz zugewiesen. Die Ein- und Ausfahrt ist grundsätzlich nur durch das Passieren einer Schrankenanlage möglich. Die Mieter erhalten zum Öffnen der Schranke eine elektronische Karte. Der Parkplatz ist durch eine entsprechende Beschilderung als Privatparkplatz gekennzeichnet.
Die Angeklagte war seit Juli 2017 Mieterin eines Stellplatzes auf dem vorbezeichneten Parkplatz. In der Folgezeit waren die Schranken des Öfteren defekt und standen dann bis zur jeweiligen Reparatur offen. Seit circa Juni 2018 bis Juli 2019 war die Schrankenanlage dauerhaft defekt und dauerhaft geöffnet. Auch zum Tatzeitpunkt standen die Schranken oben, sodass der Parkplatz frei zugänglich war und auch von Personen genutzt wurde, welche keinen Mietvertrag besaßen. Im Juli 2019 wurde die Schrank[en]anlage abgebaut.“
Die Angeklagte, die das Unfallgeschehen eingeräumt hat, hat sich dahingehend eingelassen, sie sei davon ausgegangen, dass es sich bei dem Parkplatz um einen nichtöffentlichen Verkehrsraum gehandelt habe. Das Amtsgericht hat die Öffentlichkeit des Parkplatzes bejaht, weil der Verfügungsberechtigte Zeuge M. zwar eine anderweitige Zweckbestimmung getroffen, tatsächlich aber nicht verhindert gehabt habe, dass auch die Allgemeinheit den Parkplatz habe befahren können. Ein Tatbestandsirrtum aufseiten der Angeklagten liege nicht vor, weil diese erkannt gehabt habe, dass die Schranke zum Tatzeitpunkt defekt gewesen war und offen stand und der Parkplatz damit für jedermann offen zugänglich gewesen sei.
Amtsgerichtliche Begründung fehlerhaft
Das AG hat seine Annahme, das Unfallgeschehen habe sich im öffentlichen Straßenverkehr i.S.v. § 142 StGB ereignet, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Allein der Umstand, dass der Grundstückseigentümer nicht „tatsächlich“ verhindert hat, dass auch die Allgemeinheit den Parkplatz befahren konnte, reicht zur Begründung der Öffentlichkeit der Verkehrsfläche hier nicht aus.
Wann ist ein Verkehrsraum öffentlich?
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Erfasst werden demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund oder auf eine verwaltungsrechtliche Widmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird. Dem Schutzzweck der Vorschrift (Sicherheit des Straßenverkehrs) entsprechend sind „öffentlich“ darüber hinaus aber auch diejenigen Verkehrsflächen, bei denen ohne Rücksicht auf eine förmliche (wegerechtliche) Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse allein aufgrund ausdrücklicher oder nur stillschweigender Duldung seitens des Verfügungsberechtigten die Benutzung durch jedermann oder jedenfalls durch bestimmte Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zugelassen wird und die von der Allgemeinheit zu diesem Zweck auch tatsächlich benutzt werden. Ausschlaggebend ist, ob der Benutzerkreis die für den öffentlichen Straßenverkehr charakteristische Anonymität aufweist, denn nur dann besteht eine die Verhaltensgebote von § 142 StGB rechtfertigende Schutzbedürftigkeit der Unfallbeteiligten und Geschädigten.
Wann besteht keine öffentliche Verkehrsfläche?
Der Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum steht eine eindeutige, äußerlich manifestierte Handlung des Verfügungsberechtigten entgegen, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird. Wiederum dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, nicht auf dessen inneren Willen, sondern maßgeblich auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Umstände abzustellen. Die nur gelegentliche (Mit-)Benutzung einer als Privatparkplatz gekennzeichneten Verkehrsfläche durch Unbefugte vermag an der „Nicht-Öffentlichkeit“ ebenso wenig etwas zu ändern wie die Aufstellung amtlicher Verkehrszeichen auf einem Privatgelände. Selbst das Fehlen von Absperrmaßnahmen rechtfertigt nicht stets die Annahme, eine deutlich von öffentlichen Wegen abgegrenzte private Fläche stehe der Allgemeinheit uneingeschränkt zur Verfügung. Anderes gilt nur, wenn die Verkehrsfläche trotz vorhandener Hinweise auf eine Nutzungsbeschränkung durch entgegengesetzte längere Übung praktisch jedermann zugänglich und dies nach außen hin auch erkennbar geworden ist. Entscheidend ist also, ob die vom Verfügungsberechtigten geduldete Mitnutzung durch Unberechtigte lediglich gelegentlich stattfindet oder ob die Nutzung aufgrund längerer Übung praktisch durch jedermann erfolgte und es sich quasi „eingebürgert“ hatte, dass die Parkfläche entgegen ihrer Kennzeichnung als Privatparkplatz auch durch einen größeren unbestimmten Personenkreis in Gebrauch genommen wird.
Rechtliche Wertung der „Öffentlichkeit“ in diesem Fall
Die hierzu getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um dem OLG die Prüfung zu ermöglichen, ob das AG seine rechtliche Wertung an diesem Verständnis von der Öffentlichkeit einer Verkehrsfläche ausgerichtet hat.
Der Umstand, dass der Parkplatz aufgrund eines (längeren) Defekts an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ gewesen war und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wurde, genügt zur Begründung der Öffentlichkeit der im privaten Eigentum stehenden Verkehrsfläche hier nicht. Durch die Beschilderung als Privatparkplatz und das Anbringen einer die Einfahrt grundsätzlich auf einen eng bestimmten Nutzerkreis beschränkenden Schrankenanlage hat der Verfügungsberechtigte nach außen hin kenntlich gemacht, dass eine Nutzung durch die Allgemeinheit nicht gewollt war. Durch den Umstand, dass die Schrankenanlage über längere Zeit hinweg defekt und daher eine Einfahrt faktisch auch für Nichtberechtigte möglich wurde, wurde diese nach außen gegebene Zweckbestimmung einer rein privaten Nutzung aus der hier allein maßgeblichen Sicht der Allgemeinheit jedenfalls nicht ohne Weiteres aufgehoben. Hinzu tritt, dass die einzelnen Stellflächen den jeweiligen Mietern fest zugeordnet waren und es daher auf der Hand liegt, dass der Verfügungsberechtigte ein Interesse daran hatte, dass vermietete Stellflächen nicht durch Personen „blockiert“ wurden, mit denen er kein Mietverhältnis eingegangen war. Gegenteiliges kann allenfalls dann angenommen werden, wenn zwar nicht allgemein, so doch aber zumindest einem nicht näher eingrenzbaren Personenkreis bekannt gewesen wäre, dass eine unberechtigte Nutzung des Parkplatzes vom Verfügungsberechtigten gleichwohl geduldet wurde und eine entsprechende Nutzung auch erfolgt ist. Entsprechendes wird allein durch die Angabe der Zeugin K., dass „es öfters vorkam, dass Unbefugte ihre Fahrzeuge auf dem Parkplatz abstellten, wenn die Schranke oben war“, nicht belegt. Denn dabei bleibt insbesondere offen, wann und wie häufig eine solche Nutzung vorgekommen ist und ob der Kreis der unberechtigten Nutzer zum allein maßgeblichen Tatzeitpunkt näher eingrenzbar gewesen war.
Neue Entscheidung durch das Amtsgericht erforderlich
Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen treffen lassen, die eine Strafbarkeit der Angeklagten belegen können. Der neue Tatrichter wird im Fall einer erneuten Verurteilung jedoch auch das subjektive Tatelement näher als bisher geschehen zu begründen haben. Insoweit reicht es für die Annahme einer Unfallflucht nicht aus, dass die Angeklagte (lediglich) erkannt hat, dass die Parkfläche für jedermann faktisch zugänglich gewesen war. Vielmehr müsste sie auch Art und Umfang der tatsächlichen Nutzung des Parkplatzes durch unberechtigte Dritte in ihren Vorsatz aufgenommen haben.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter vom 18. Juli 2019 – mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Der Beschluss ist abrufbar unter http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/page/bsrp?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&doc.id=KORE235802019&doc.part=L