28.01.2022

Dürfen unangemeldete Corona-Spaziergänge verboten werden?

Eine Stadt und ein Landkreis in Rheinland-Pfalz erließen jeweils eine Allgemeinverfügung mit dem Verbot nicht angemeldeter Corona-Spaziergänge bzw. Montagsspaziergänge. Zwei „Spaziergänger“ riefen das VG Koblenz (Beschl. vom 14.01.2022, Az. 3 L 38/22.KO;3 L 39/22.KO) sowie das OVG Koblenz an (Beschl. vom 03.01.2022, Az. 7 B 10005/22.OVG).

unangemeldete Corona-Spaziergänge

Spaziergänge sind Versammlungen

Die von den Verboten erfassten Spaziergänge sind begrifflich Versammlungen i.S. des Versamlungsrechts, entschied das Gericht. Es steht den Versammlungsteilnehmern frei und sei ihnen auch zumutbar, argumentierten die Richter, ihre bereits jetzt geplanten und als „Spaziergänge“ bezeichneten Versammlungen anzumelden und sich an Auflagen zu halten, sofern diese angeordnet würden. Damit, so die Richter des VG, würde die Durchführung einer Versammlung und die Teilnahme daran nicht unmöglich gemacht.

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Drohende Gesundheitsgefahren

Ohne das Verbot durch die Allgemeinverfügung würde die Gefahr bestehen, dass die Spaziergänge, wie bereits des Öfteren geschehen, ohne Beachten von Abständen sowie ohne Mund-Nasen-Bedeckung ablaufen. Die Spaziergänge könnten damit die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung sowie die überragenden Schutzgüter der menschlichen Gesundheit und des Lebens erheblich und möglicherweise irreversibel gefährden.

Landkreis verbietet Montagsspaziergänge

Ein Landkreis in Rheinland-Pfalz stützte seine Allgemeinverfügung zum Verbot von Montagsspaziergängen auf vergleichbare Versammlungen, die akkurat geplant und nur scheinbar spontan seien. Auch hier würden Abstände nicht beachtet und keine Schutzmasken getragen.

OVG befasst sich mit möglicher Sperrwirkung des IfSG

Im Eilverfahren, so das OVG, kann nicht festgestellt werden, ob das auf das Versammlungsgesetz gestützte und maßgeblich mit Infektionsgefahren begründete Verbot offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Um diese Frage zu beantworten, muss geklärt sein, ob das IfSG bei Abhalten von Versammlungen eine Sperrwirkung entfaltet. Weil die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht mehr besteht und die Nachfolgeregelung § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG ausdrücklich die Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen als mögliche Schutzmaßnahme ausschließt, könnte eine infektionsschutzrechtliche Spezialregelung vorliegen. In diesem Fall, so die Richter des OVG, lässt das IfSG grundsätzlich keinen Rückgriff auf die allgemeine versammlungsrechtliche Befugnis zum Erlass eines Versammlungsverbots bei einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Verbreitung von COVID-19 zu.

Wie weit würde die Sperrwirkung reichen?

Würde die Sperrwirkung des IfSG eintreten, müsste die weitere Frage gestellt und beantwortet werden, wie weit die Sperrwirkung reicht und ob zur Abwehr von Gefahren nicht Ausnahmen hiervon zugelassen werden müssten.

VG Stuttgart sieht Verbot kritisch

Das VG Stuttgart hingegen (Beschl. vom 12.01.2022, Az. 1 K 80/22) hob das durch Allgemeinverfügung angeordnete Verbot der Corona-Spaziergänge auf. Die Stadt habe, so das VG, sich nur unzureichend mit milderen Mitteln als dem Versammlungsverbot auseinandergesetzt, etwa einer durch Allgemeinverfügung angeordneten Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen bei sämtlichen Versammlungen im Stadtgebiet, das heißt auch solchen, die nicht angemeldet werden.

Schließlich wird, argumentierten die Richter weiter, auch die Versammlungsfreiheit von Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, gewalttätig zu werden oder welche die Vorgaben zum Einhalten von Mindestabständen und zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beachten. Ein präventives Verbot sämtlicher unangemeldeter Versammlungen wegen Verstößen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen wäre deshalb nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zulässig, deren Vorliegen nicht dargelegt wurde.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)