Tempolimit: 10 km/h für Radfahrer rechtmäßig?
Fußgänger leben in Großstädten mit Fahrradverkehr sehr gefährlich. Jeder falsche Schritt kann der letzte sein. Berlin stemmt sich nun mit Tempo 10 für besonders gefährliche Strecken gegen diese Gefahr. Das VG Berlin (Beschl. vom 18.07.2022, Az. 11 L 280/22) musste über die Rechtmäßigkeit des Tempolimits entscheiden.
Hohe Zahl von Unfällen
Im Juli 2021 ordnete ein Berliner Bezirksamt das Einrichten einer Einbahnstraße sowie eines Zweirichtungsradwegs für die Bergmannstraße zwischen der Nostitzstraße und der Zossener Straße an. Auf dem Fahrradweg wurden Verkehrszeichen (Zeichen 274-10 der Anlage 2 zur StVO) aufgestellt, die die zugelassene Geschwindigkeit auf 10 km/h begrenzen.
Das Bezirksamt begründete die Anordnung mit der Zahl von 14 Fahrradunfällen mit zwölf Leicht- und zwei Schwerverletzten von 2018 bis 2020. Zudem seien die besonderen örtlichen Verhältnisse in der Bergmannstraße von einer für Nebenstraßen besonders hohen Dichte an Fußgängern, Rad- und Autofahrern geprägt.
Ein Radfahrer, der die Bergmannstraße regelmäßig auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle und zurück mit dem Fahrrad durchquert, erhob Widerspruch und beantragte vor Gericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.
Auf welcher Rechtsgrundlage beruht das Tempolimit?
Die Anordnung beruht zutreffend auf § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO, erläuterte das VG. Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen grundsätzlich nur angeordnet werden, wo aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen von § 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt.
Besteht eine qualifizierte Gefahrenlage?
Die für eine Nebenstraße deutlich erhöhte Zahl an Fahrradunfällen laut dem Unfallatlas in den Jahren 2018 bis 2020 (14 Fahrradunfälle mit 12 Leichtverletzten und zwei Schwerverletzten) rechtfertigt die Annahme einer Gefährdungslage, die verkehrsberuhigende Maßnahmen erfordert, entschied das Gericht.
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Die Geschwindigkeitsbeschränkung ist ermessensfehlerfrei ergangen, weil das Bezirksamt ausweislich der schriftlichen Anordnungen laut Akte erkannt hat, dass Ermessen besteht, und im Rahmen eines umfangreichen Beteiligungsverfahrens verschiedene Möglichkeiten ausgelotet hat, die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen sowie potenzielle Unfallgefahren zu minimieren.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Behörde die Interessen der Radfahrer an einer von Geschwindigkeitsbeschränkungen freien Durchquerung des Straßenabschnitts von weniger als 500 Metern gegenüber der Verhinderung von potenziellen Unfällen mit den querenden Fußgängern zurückgestellt hat. Für den Radverkehr ist eine Zeitverzögerung von wenigen Sekunden zumutbar. Der Eingriff in ihre Handlungsfreiheit ist daher gering. Zudem ist die Geschwindigkeitsbeschränkung zur Minimierung der aufgezeigten Gefahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne.
Greift der Einwand, das Tempolimit werde nicht beachtet und könne auch nicht kontrolliert werden?
Dem Einwand, die Maßnahme sei ungeeignet, weil sie von Radfahrern konsequent ignoriert werde, hielt das VG entgegen, dass die fehlende Befolgung einer behördlichen Maßnahme nicht deren Rechtswidrigkeit, sondern allenfalls ein Vollzugsdefizit impliziert. Eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 10 km/h ist zwar für Radfahrer schwerer zu befolgen als für Verkehrsteilnehmer, die mithilfe eines Tachos ihre Geschwindigkeit ablesen können. Das Einhalten der Geschwindigkeitsbeschränkung ist für sie aber nicht unmöglich.
Ergebnis
Die Anordnung wurde rechtmäßig aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs getroffen, entschied das VG. In der Bergmannstraße bestand aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage. Das VG Berlin wies daher den Eilantrag des Fahrradfahrers zurück.