Teileinziehung einer Straße zur Erweiterung der Fußgängerzone?
Das OVG Magdeburg (Urteil vom 25.11.2021, Az. 2 L 80/19) musste darüber befinden, ob die Teileinziehung einer Straße mit der Folge, dass die Eigentümerin ihr Grundstück nicht mehr mit einem Kfz erreichen kann, rechtmäßig ist.
Teileinziehung durch Ausweitung einer Fußgängerzone
Die Eigentümerin eines Grundstücks hat dieses mit einem Mehrparteienhaus mit Wohn- und Geschäftsräumen bebaut. Sie selbst betreibt darin eine Apotheke und bewohnt eine der fünf Wohnungen. 68 m vom Grundstück entfernt ist die angrenzende B-Straße als Fußgängerzone ausgewiesen. Das Grundstück konnten die Eigentümerin und deren Mieter mit ihren Kfz nur über den S-Berg anfahren. Der Stadtrat beschloss, die Parkmöglichkeiten am S-Berg aufzuheben, die Fußgängerzone um den Bereich S-Berg zu erweitern und ein Verfahren zur Teileinziehung der Flächen einzuleiten.
Begründet wurde dies damit, die Aufenthaltsqualität im Stadtzentrum zu verbessern, weitere Schädigungen der Oberflächenbefestigung zu verhindern sowie die Abgas- und Lärmbelästigung durch an- und abfahrende Fahrzeuge zu vermindern.
Mit einer Allgemeinverfügung wurde die Teileinziehung umgesetzt und der Kraftfahrzeugverkehr für dieses Teilstück ausgeschlossen. Ausgenommen war hiervon „der zeitlich befristete Liefer- und Radfahrverkehr“. Die zeitliche Einschränkung der Befahrbarkeit der Fußgängerzone wurde in einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung festgelegt.
Gegen die Allgemeinverfügung erhob die Eigentümerin Widerspruch, weil ihr Grundstück nach der Teileinziehung nicht mehr angefahren werden könne.
Was ist eine Einziehung bzw. Teileinziehung?
Mit der Einziehung einer gewidmeten Straße (Entwidmung) steht diese der Allgemeinheit nicht mehr zur Nutzung zur Verfügung. Gleichzeitig entfallen alle straßenrechtlichen Rechte und Pflichten des Straßenbaulastträgers. Es gelten dann nur noch die für private Grundstücke maßgebenden Rechtsvorschriften. Die mit der Widmung kraft Gesetzes entstandenen Anbauverbote und Anbaubeschränkungen entfallen.
Einer Teileinziehung liegt vor, wenn die Nutzung einer Straße durch die Allgemeinheit nach der Widmung auf bestimmte Benutzungsarten, Benutzungszwecke, Benutzerkreise oder in sonstiger Weise beschränkt wird.
In welchen Fällen ist die Teileinziehung zulässig?
Eine Teileinziehung setzt das Vorliegen von überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls voraus. Die für die Teileinziehung sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls sind mit den Belangen, die gegen eine Teileinziehung sprechen, abzuwägen. Als Gründe des öffentlichen Wohls sind bei der Abwägung städtebauliche örtliche und überörtliche bzw. verkehrliche sowie verkehrsplanerische Belange zu berücksichtigen.
Als Gründe für die Einrichtung von Fußgängerzonen kommen insbesondere Gesichtspunkte in Betracht wie
- Entlastung von Durchgangsverkehr
- Schaffung und Verbesserung der Aufenthaltsqualität
- Stärkung der urbanen Funktion der Innenstadtlage
- Vermeidung von Lärm und Abgasen
- Schaffung von Freiflächen
- Förderung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in der Innenstadt
Es muss ein Übergewicht der für die Teileinziehung sprechenden öffentlichen Belange über die einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belange bestehen. Auf die Frage, ob Erschließungsinteressen der Anlieger als öffentliche Belange im Sinne des Straßenrechts einzustufen sind, kommt es daher nicht an. Auch private Interessen von Anliegern, etwa das geschäftliche Interesse an der Erhaltung des Kundenzustroms, sind bei Prüfen der Teileinziehung und nicht erst bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
Ist die Teileinziehung durch „überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls“ geboten?
Der VGH entschied: Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Stadtzentrum ist ein tragfähiger Gesichtspunkt des öffentlichen Wohls, der geeignet ist, die Ausweitung des Fußgängerbereichs zu begründen.
Zwar ist in den Beschlussvorlagen, die den Stadtratsbeschlüssen, insbesondere dem Beschluss über die Teileinziehungsverfügung zugrunde gelegen haben, keine nähere Beschreibung und Darstellung konkreter Ziele, die über die Erwähnung der Aufenthaltsqualität im Stadtzentrum und den Schutz vor Lärm und Abgasen hinausgehen, enthalten. Es ist ausreichend, wenn erst im gerichtlichen Verfahren die Gründe der Teileinziehung vorgetragen werden.
Die Stärkung der urbanen Funktionen der Innenstadtlage, die Verbesserung des Wohnumfelds der Innenstadtwohnungen, die Vermeidung von Parksuchverkehr, die Verbesserung der Sicherheit der Fußgänger, insbesondere älterer Menschen und Kinder sowie die Förderung des geschäftlichen, kulturellen und geselligen Lebens in der Innenstadt sind nachvollziehbare Gesichtspunkte, die für die Einrichtung eines Fußgängerbereich und damit für die Teileinziehung einer Straße sprechen.
Abwägung mit den gegenläufigen Interessen
Der in seinem Kernbereich von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte sog. „gesteigerte Gemeingebrauch“ des Anliegers umfasst zwar insbesondere für Grundstücke mit einem Gewerbebetrieb den Zugang zur Straße sowie die Zugänglichkeit des Grundstücks von der Straße her und darüber hinaus in gewissen Grenzen die Nutzung der Straße auch zum „Kontakt nach außen“, etwa durch Werbung. Voraussetzung für die Gewährleistung dieser Form des Anliegergebrauchs ist allerdings immer das besondere Angewiesensein des Grundeigentums auf das Vorhandensein und die Benutzung der Straße. Er erstreckt sich daher nur auf den notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße sowie seine Zugänglichkeit von ihr und gibt zudem nicht in jeder Situation einen Anspruch des Eigentümers, sein Grundstück mit dem Fahrzeug unmittelbar anfahren zu können.
Ergebnis
Anliegerinteressen werden durch die Erweiterung der Fußgängerzone nicht verletzt, urteilte der VGH. Das öffentliche Interesse an der Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Stadtzentrum überwiegt gegenüber gegenläufigen Interessen der Anlieger. Die Teileinziehung wurde daher vom Gericht bestätigt.
Das Urteil können Sie hier nachlesen.