Wie straßenverkehrsrechtliche Anordnungen dokumentieren?
Eine Straßenverkehrsbehörde musste kräftigt Lehrgeld vor Gericht bezahlen, weil sie die Anordnung eines Verkehrszeichens nicht ausreichend dokumentiert hat (VG Regensburg, Beschl. vom 11.10.2021, Az. RO 3 E 21.1528; VGH München, Beschl. vom 14.01.2022, Az. 11 CS 21.2672).
Landwirt klagt gegen das Zeichen 250
Dem Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks genehmigte das Landratsamt unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Errichtung einer landwirtschaftlichen Maschinen- und Lagerhalle. Die Zufahrt zu der Halle erfolgt von der Gemeindeverbindungsstraße E-B über öffentliche Feld- und Waldwege.
Nach verkehrspolizeilicher Einschätzung liegt die Ausfahrt von dem öffentlichen Feld- und Waldweg auf die Gemeindeverbindungsstraße E-B in einer scharfen, unübersichtlichen Rechtskurve. Der Kurvenverlauf steigt an und fällt nach dem Scheitelpunkt ab, so dass die Ausfahrt erst spät wahrgenommen werde.
Der Gemeinderat der Gemeinde, auf deren Gebiet die Einmündung liegt, beschloss gestützt auf die Einschätzung der Verkehrspolizei, an der Gemeindeverbindungsstraße E-B im Kurvenbereich das Verkehrszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) beidseitig aufzustellen, um die Ein- und Ausfahrt an dieser gefährlichen Stelle zu verhindern. Der Landwirt klagte gegen das Aufstellen der Verkehrszeichen. Seinen Hof kann er auch über eine andere Zufahrt erreichen.
Voraussetzungen nach der StVO
Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen jedoch nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der zu schützenden Rechtsgüter erheblich übersteigt. Besondere örtliche Verhältnisse i. S. der Vorschrift können insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen wie z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte, der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein.
Straßenverkehrsbehörde trägt die Beweislast
Für das Vorliegen einer aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehende Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt, trägt die Straßenverkehrsbehörde die materielle Beweislast. Es obliegt ihr daher, die zugrundeliegenden Umstände zu ermitteln, zu dokumentieren und aktenkundig zu machen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht bemängelt, so der VGH, dass die Straßenverkehrsbehörde
- weder vorgetragen noch dokumentiert hat, dass sich an der Einmündung in der Vergangenheit Verkehrsunfälle ereignet haben.
Zwar genügt insoweit eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse. Hat aber eine langjährig bestehende verkehrsrechtliche Situation ohne offensichtlich hohes Gefahrenpotenzial noch nie zu einem Unfall geführt, ist dies durchaus ein Anhaltspunkt dafür, dass es an einer besonderen Gefahrenlage fehlt. - die Anordnung allein mit der Streckenführung der Gemeindeverbindungsstraße begründet hat
Allein die Lage der Einmündung in einem Kurvenbereich rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, dass in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle zu erwarten sind. - und damit ihrer Dokumentationsobliegenheit nicht nachgekommen ist.
Hat die Straßenverkehrsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt?
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Straßenverkehrsbehörde das ihr durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, befanden die Gerichte.
Eine in sonstiger Weise nach dem VwVfG erlassene Allgemeinverfügung (hier: Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG) zum Anordnen und Aufstellen eines Verkehrszeichens muss anders als ein schriftlicher Verwaltungsakt keine Begründung enthalten (hier: Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Allerdings müssen die vor Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung angestellten Ermessenserwägungen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in irgendeiner Weise erkennbar sein und zumindest nachvollziehbar dargelegt werden.
Dies war aber nicht der Fall. Weil in den Behördenakten kein Hinweis darauf enthalten ist, dass eine andere Maßnahme wie eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wurde, ist von einem Ermessensmangel auszugehen.
Ergebnis
Die Straßenverkehrsbehörde hat ihrer Darlegungslast nicht genügt und nicht ausreichend belegt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die getroffene straßenverkehrsrechtliche Anordnung vorliegen und alle maßgebenden örtlichen Verhältnisse ermittelt worden sind.
Der VGH München bestätigte daher die Entscheidung des VG in der Vorinstanz, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Aufstellen des Verkehrszeichens wiederherzustellen.
Den Beschluss finden Sie hier.