Sohn muss nicht für die Bestattungskosten seines Vaters aufkommen, wenn dieser seine Mutter umgebracht hat
Ein Verstorbener hatte vor 20 Jahren seine Ehefrau getötet und wurde wegen Totschlags rechtskräftig verurteilt. Nach dem Tod des Täters forderte das Ordnungsamt den gemeinsamen Sohn auf, die Kosten seiner Bestattung zu übernehmen. Dieser weigerte sich mit Hinweis auf das Tötungsdelikt. Seine Klage vor dem VG Kassel hatte Erfolg. Nun musste der VGH Kassel entscheiden. Für die Kunden der Ordnungsamtspraxis ist das Urteil alles andere als eine Überraschung (Urteil des VGH Kassel vom 26.10.2011, 5 A 1245/11).
Ordnungsamtsbestattungen in den letzten vier Jahren fast verdoppelt!
Der Wachstumsmarkt im Aufgabengebiet der Ordnungsämter ist die „Ordnungsamtsbestattung“. Nach dem Wegfall des Sterbegelds sehen sich einige Angehörige nicht mehr in der Lage, ihren Angehörigen die letzte Ruhe würdevoll zu ermöglichen. Sie verweigern die Bestattung und zwingen die Ordnungsämter zum Einschreiten.
Nach einem Bericht der Zeitschrift „Friedhofskultur“, Ausgabe November 2011, werden allein in Berlin 2.500 Verstorbene von den Ordnungsämtern bestattet. Die Ordnungsämter in Frankfurt bestatten mittlerweile 2,5 % aller Verstorbenen. In Bochum stieg die Zahl der Ordnungsamtsbestattungen von 700 im Jahr 2007 auf 1.153 im Jahr 2010.
Weil dieses Problem nicht nur ein städtisches ist, sondern immer stärker auf die Fläche übergreift, haben wir schon vor Jahren die Ordnungsamtspraxis durch das Kapitel „Bestattungen durch das Ordnungsamt“ ergänzt.
Zum Fall
Nach dem Selbstmord eines älteren Mannes in einem Gartengelände forschte das Ordnungsamt nach Angehörigen und stieß hierbei auf dessen Sohn. Dieser weigerte sich, seinen Vater zu bestatten, und begründete dies damit, dass sein Vater wegen Tötung der Mutter rechtskräftig zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden sei. Im Alter von 13 Jahren sei er für vier Jahre in eine Pflegefamilie gekommen und habe jeden Kontakt zu seinem Vater abgebrochen und diesen seitdem nicht wieder gesehen.
Die Kunden der Ordnungsamtspraxis würden nun nach einer Recherche im Werk nach Ermessen entscheiden, dass der Sohn wegen einer vorliegenden unbilligen Härte diese Kosten nicht tragen muss. Anders hingegen das Ordnungsamt einer nordhessischen Stadt: Es bestattete den Verstorbenen im Wege der unmittelbaren Ausführung und forderte den Sohn zum Zahlen der Bestattungskosten in Höhe von 2.040,82 € auf. Gegen diese Forderung setzte sich der Sohn vor dem Verwaltungsgericht Kassel erfolgreich zur Wehr.
Ordnungsamt gibt nicht auf
Das Ordnungsamt gab sich nicht geschlagen und rief mit Unterstützung des Hessischen Städte- und Gemeindebunds den Verwaltungsgerichtshof Kassel an. Es argumentierte, der Sohn habe zur Begleichung der Kosten der Bestattung einen Antrag beim zuständigen Sozialamt auf Übernahme der Bestattungskosten stellen können. Mit der Begründung der Unzumutbarkeit wäre eine Kostenerstattung zu erreichen gewesen.
Verwaltungsgerichtshof spricht Machtwort
Der Verwaltungsgerichtshof in der dOCUMENTA-Stadt entschied, der Sohn sei nach dem Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetz zur Bestattung seines Vaters verpflichtet gewesen und hätte daher auch grundsätzlich die der Stadt entstandenen Kosten der Beerdigung des Vaters tragen müssen.
Bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls kann das grundsätzliche Interesse der Allgemeinheit an der Übernahme der Bestattungskosten durch den Angehörigen hinter das Interesse des bestattungspflichtigen Angehörigen, von der Heranziehung zu den Kosten verschont zu bleiben, zurücktreten, erläuterte das Gericht. Dies kann dann der Fall sein, wenn diese Gründe so gewichtig sind, dass der eigentliche Bestattungspflichtige durch seine Heranziehung zu den Kosten unzumutbar belastet wird. Dies kann unverhältnismäßig sein in Fällen, in denen die Familienverhältnisse so nachhaltig gestört sind, dass die Übernahme der Bestattungskosten für den Pflichtigen als grob unbillig anzusehen ist.
Kein Heranziehen des eigentlich Bestattungspflichtigen bei unbilliger Härte
Die von dem Verstorbenen begangene Straftat richtet sich nicht unmittelbar gegen den Sohn persönlich, sondern gegen seine Mutter, so der VGH weiter. Obwohl dieser damals minderjährig war, war die Tat des Vaters in ihrer Intensität und ihrer Bedeutung nach aber vergleichbar und rechtfertige die Annahme der groben Unbilligkeit. Denn durch die Tötung seiner Mutter und die anschließende Verurteilung seines Vaters zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe sei dem Sohn die gesamte, ihn schützende familiäre Struktur genommen worden. Seine durch die Straftat ausgelöste Abwendung vom Vater war so grundlegend und nachhaltig, dass es nicht mehr gerechtfertigt ist, ihn zu den Kosten der Bestattung heranzuziehen.
Hätte das Sozialamt die Kosten übernehmen müssen?
Seine Lehrstunde gegenüber dem Ordnungsamt setzte der VGH mit dem Argument fort, dass nur demjenigen ein Anspruch aus § 74 SGB XII zustehen kann, der überhaupt zur Kostentragung verpflichtet ist. Aufgrund der ausnahmsweise entfallenen Kostentragungspflicht scheide aber ein Anspruch aus § 74 SGB XII hier schon von vorneherein aus.
Ergebnis
- Sind die Familienverhältnisse nachhaltig gestört, ist die Übernahme der Bestattungskosten für den Bestattungspflichtigen als grob unbillig anzusehen.
- Einem Anspruch des Bestattungspflichtigen aus § 74 SGB XII auf Übernahme der Bestattungskosten durch das Sozialamt steht entgegen, dass er nicht zur Kostentragung verpflichtet ist.
Hinweis:
Die Ordnungsamtspraxis enthält eine sehr ausführliche Darstellung der Problematik der „Ordnungsamtsbestattungen“ mit allen Rechtsgrundlagen der unterschiedlichen Länderrechte, zahlreichen Fallbeispielen und praxisnahen Arbeitshilfen. Eine 14-tägige Testversion der „Ordnungsamtspraxis online“ finden Sie hier.