09.07.2024

Rechtsprechung in Kürze: Wichtige Entscheidungen (Juli 2024)

Uns erreichen immer wieder viele Nachrichten, die für die Mitarbeiter der Ordnungs- und Gewerbeämter von Interesse sind. Leider können wir wegen des begrenzten Umfangs des Newsletters nicht alle Informationen hier ausführlicher darstellen. Wir geben Ihnen daher einen kurzen Überblick über weitere wichtige Entscheidungen aus der Rechtsprechung.

Richterhammer, Waage und Gesetzbücher
Gericht Datum Az.
OVG Lüneburg
19.06.2024 14 LB 107/23
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sperrstunde zum Bekämpfen einer Pandemie einen legitimen Zweck verfolgt und hierzu geeignet, erforderlich und angemessen ist, kommt der Exekutive und auch der eine Allgemeinverfügung erlassenden Behörde ein Einschätzungsspielraum zu.
VG Hannover 15.06.2024 10 B 2442/24
Voraussetzung für ein Verbot (hier einer pro-palästinensischen Versammlung nach § 8 Abs. 2 NVersG) ist eine tragfähige Gefahrenprognose, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die nicht anders abgewendet werden kann. Hierfür muss die Behörde hinreichend darlegen, dass die vom Antragsteller angemeldete Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird und dass dabei Leben und körperliche Unversehrtheit der Versammlungsteilnehmer und/oder Dritter gefährdet werden.
VG Gelsenkirchen 14.06.2024 15 L 888/24
An den Grad der Wahrscheinlichkeit für die Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen durch Äußerungsdelikte auf einer politischen Veranstaltung einer politischen Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt hat (Art. 21 Abs. 4 GG), in einer öffentlichen Einrichtung sind im Rahmen der Gefahrenprognose strenge Anforderungen zu stellen. Denn eine darauf gestützte Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greift in den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch aus Art. 21, Art. 3 Abs. 1 GG auf Chancengleichheit politischer Parteien ein. Erforderlich ist daher eine hohe Wahrscheinlichkeit von Rechtsverletzungen.
OVG Saarlouis 11.06.2024 2 A 49/23
Ehemalige landwirtschaftliche Betriebe, die von Nichtlandwirten zur Tierhaltung zu Hobbyzwecken und zur Lagerhaltung genutzt werden, können der Qualifizierung eines Gebiets als faktisches allgemeines Wohngebiet entgegenstehen, da Anlagen zur Tierhaltung und zur Lagerung landwirtschaftlicher Produkte in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 und 3 BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig sind. Ob derartige Anlagen die nähere Umgebung prägen oder als Fremdkörper unbeachtlich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
VG Hamburg 03.06.2024 12 K 265/24
Ein Boardinghaus stellt eine Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. In einem Fall, in dem sowohl eine Wohnnutzung als auch eine Nutzung als Beherbergungsbetrieb in Betracht kommt, kommt es (jedenfalls im Regelfall) maßgeblich auf das Nutzungskonzept an, das durch den Bauherrn bestimmt wird.
VG Schleswig 31.05.2024 8 B 12/24
Nach den Bauordnungen der Länder (hier § 58 Abs. 2, § 80 Satz 2 LBO SH) rechtfertigt bereits die sich aus dem Fehlen einer im Einzelfall notwendigen Baugenehmigung für die konkrete Nutzung einer baulichen Anlage ergebende formelle Illegalität den Erlass einer Nutzungsuntersagung bei einer ungenehmigten Ferienwohnung im allgemeinen Wohngebiet.
OVG Schleswig 30.05.2024 4 MB 14/24
Bundesautobahnen sind für den Schnellverkehr von Kraftfahrzeugen bestimmt und nur ausnahmsweise für den kommunikativen Verkehr durch Demonstrationen geöffnet.
OVG Münster 29.05.2024 10 B 368/24
Die Frage, ob Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung als Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Eigenart des Baugebiets nicht widersprechen, beurteilt sich nach der örtlichen Situation im jeweiligen Einzelfall (hier: Haltung eines Hahns im allgemeinen Wohngebiet).
OVG Berlin-Brandenburg 16.05.2024 OVG 1 S 30/24
Ein öffentlich zugänglicher Wald ist grundsätzlich ein geeigneter Versammlungsort im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG. Mangelt es an ausreichenden Ermessenserwägungen, könnten diese nicht im Widerspruchsverfahren angestellt werden.
OLG Schleswig 04.01.2024 7 U 141/23
Sonderrechte für Rettungswagen nach § 35 Abs. 5a StVO dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht. Die Einsatzfahrt ist auf einer gut einsehbaren Hauptstraße mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Doppelte (hier 75 km/h statt erlaubter 30 km/h) gerechtfertigt.
Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)