„Rechts vor links“ auf öffentlichen Parkplätzen?
„Sie kommen an eine Kreuzung zweier gleichberechtigter Straßen. Von rechts kommt ein Auto. Wer hat die Vorfahrt?“ blödelte Otto Waalkes 1977 in „Die Führerscheinprüfung“. Dass dieses Thema auch heute noch die Gemüter heftiger bewegt als viele andere, zeigt ein vom BGH (Urteil vom 22.11.2022, Az. VI ZR 344/21) entschiedener Fall.
„Sie kommen an eine Kreuzung zweier gleichberechtigter Straßen. Von rechts kommt ein Auto. …
Auf dem Parkplatz eines Baumarkts kam es zur Kollision zweier Fahrzeuge. Ein Fahrzeugführer meinte, er hätte Vorfahrt, da er von rechts gekommen sei. Schilder oder Markierungen zur Regelung der Vorfahrt waren nicht vorhanden. Der Unfallgegner bestritt seine Schuld.
Das AG Lübeck legte eine Haftungsquote von 70:30 zugunsten des Anspruchstellers fest und widersprach dessen Ansicht, der Unfallgegner hafte hier wegen Verletzung der Vorfahrtsregel von § 8 StVO in voller Höhe. Nachdem seine Rechtsauffassung auch vom OLG Hamburg verworfen wurde, rief der von rechts kommende Fahrer den BGH an.
… Wer hat Vorfahrt?“
Gibt es auf einer öffentlich zugänglichen Fläche wie auf dem Parkplatz eines Bau- oder Supermarkts keine ausdrücklichen Bestimmungen, die die Vorfahrt regeln, kommt der Grundsatz „rechts vor links“ – unmittelbar oder auch indirekt im Rahmen von § 1 Abs. 2 StVO – nur dann zur Anwendung, wenn die Fahrbahnen Straßencharakter haben, entschied der BGH.
Wann kommt der Fahrspur Straßencharakter zu?
Ob einer Fahrspur Straßencharakter zukommt, wird dabei danach beurteilt, ob die baulichen Verhältnisse für den Verkehrsteilnehmer vertraute typische Straßenmerkmale erkennen lassen. Dabei bestehen Unterschiede in der Gewichtung einzelner baulicher Merkmale, wie etwa Fahrbahnmarkierungen, Fahrspurbreite oder Asphaltierung. Die Bedeutung der für den Verkehrsteilnehmer erkennbaren Funktion der Fahrspuren rückt dabei in den Vordergrund.
Zwischenergebnis
Der Straßencharakter wird verneint, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist.
Daraus folgt
- Parkflächenmarkierungen, die den Platz in Parkplätze und Fahrspuren aufteilen, ändern für sich genommen daran nichts, so dass durch solche Markierungen entstehenden Fahrbahnen – wie allein den durch die tatsächliche Anordnung der geparkten Fahrzeuge gebildeten Gassen – kein Straßencharakter zukommt.
- Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen zudem typischerweise nicht – wie es der Zweckrichtung von § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO entsprechen würde – der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnen von Rangierräumen und das Ermöglichen von Be- und Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch Fußgängern genutzt werden.
- Den Fahrspuren kommt dann Straßencharakter zu, wenn sich durch ihre bauliche Gestaltung und aus den sonstigen örtlichen Gegebenheiten für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass sie nicht der Aufteilung und unmittelbaren Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen.
Wie entschied das Gericht im Fall der strittigen Kollision?
Auf dem Parkplatz als Ort des Unfalls steht nicht die zügige Abwicklung des fließenden Verkehrs im Vordergrund, sondern das Erschließen der Parkmöglichkeiten durch Eröffnen von Rangierräumen und das Ermöglichen von Be- und Entladevorgängen. Die dadurch entstehenden Fahrbahnen weisen keinen Straßencharakter auf, sodass § 8 StVO nicht anwendbar ist.
Folglich gilt nicht „rechts vor links“ auf öffentlichen Parkplätzen sondern das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.
Der BGH bestätigte die Entscheidungen von AG und OLG und wies die Klage ab.