Reinigungs-, Räum-, und Streupflicht auf Straßenanlieger übertragen?
Mit der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft wird auch die Anzahl der Anträge ansteigen, mit denen die Eigentümer von Grundstücken um Befreiung von den Reinigungs- und Winterdienstpflichten bitten. Der VGH Mannheim (Urteil vom 23.02.2022, Az. 5 S 947/21) zeigt auf, wie solche Fälle zu handhaben sind.
Grundstück an einem Fußweg mit starkem Gefälle
Ein bebautes Grundstück liegt auf einer Länge von ca. 62 m an einem zwischen 1,20 m und 1,46 m breiten, mit einem Geländer versehenen und mit Verbundpflaster belegten Fußweg. Bezogen auf die Gesamtlänge besteht ein durchschnittliches Gefälle von 21 %, teilweise auch 28 %. Das Grundstück liegt im Bereich einer Streupflichtsatzung. Der Fußweg wird nur gelegentlich genutzt und steht nicht im Schulwegeplan.
Der Eigentümer teilte der Gemeinde mit, dass er den Winterdienst auf dem Fußweg zukünftig aus Altersgründen nicht mehr durchführen könne, und beantragte dessen Übernahme durch die Gemeinde oder eine Sperrung des Weges im Winter. Die Gemeinde lehnte unter Hinweis auf die Nutzung des Weges von Schülern und Anwohnern den Antrag ab.
Ein Gutachten eines Bausachverständigen kam zu dem Ergebnis, dass die Längsneigung des Weges für dessen Nutzer eine große Gefahr darstellt, das Verbundpflaster auch im Sommer nicht abtrocknet, weshalb die Oberfläche sehr rutschig ist, und die Gefahr, dass Personen zu Fall kommen, im Winter noch größer wird. Ein seitliches Lagern des Schnees sei nicht möglich, schloss der Gutachter. Die Gemeinde blieb hart und der Eigentümer klagte.
Besteht eine Reinigungspflicht?
Die Voraussetzungen für die Heranziehung zur Straßenreinigung und zum Winterdienst sind erfüllt, urteilte der VGH. Die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht bezieht sich nach der Streupflichtsatzung auf Friedhofs-, Kirch- und Schulwege sowie Wander- und sonstige Fußwege. Der Eigentümer ist auch als Straßenanlieger Verpflichteter i.S.d. Streupflichtsatzung i.V.m. den Straßengesetzen der Länder (hier: § 15 BWStrG).
Ist die Räum- und Streupflicht verhältnismäßig und zumutbar?
Zumutbarkeit
Wenn den Gemeinden die Verpflichtung zum Räumen und Streuen nur „im Rahmen des Zumutbaren“ obliegt, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Zumutbarkeit auch gegenüber den Straßenanliegern nur aus der Sicht der Gemeinde zu beurteilen ist.
Bei der Gesamtbetrachtung der konkreten Einzelfallumstände liegen individuelle Besonderheiten vor, die eine Härte begründen und dazu führen, dass vom Eigentümer die Durchführung der ihm grundsätzlich obliegenden Räum- und Streupflicht billigerweise nicht verlangt werden kann.
Kein berechtigtes Bedürfnis des Fußgängerverkehrs
Zum einen besteht kein berechtigtes Bedürfnis des Fußgängerverkehrs an der Durchführung des Winterdienstes auf dem Fußweg. Denn dieser hat im Wesentlichen nur Abkürzungs- und Bequemlichkeitsfunktion für wenige Personen. Zudem kommt dem Fußweg keinerlei Erschließungsfunktion zu.
Der Weg hat schließlich auch als Schulweg keine ins Gewicht fallende Verkehrsbedeutung. Er ist im Schulwegeplan nicht als solcher ausgewiesen.
Gefährdungslage
Zum anderen ist das Räumen und Streuen des Fußwegs mit erheblichen Gefahren für den Verpflichteten selbst verbunden. Die Längsneigung bis zu 28 % stellt für die Nutzer eine große Gefahr dar. Bei Schneefall wird die Situation noch schlimmer und die Gefahr, dass Personen zu Fall kommen, noch größer.
Diese Gefährdungslage führt im Rahmen einer Gesamtschau mit der geringen Verkehrsbedeutung des Fußwegs dazu, dass vom Eigentümer die Durchführung des Winterdienstes auf diesem Weg billigerweise nicht mehr verlangt werden kann.
Fazit für den Winterdienst
Die grundsätzlich obliegende Verpflichtung, den Fußweg im Winter von Schnee zu räumen und bei Eis- und Schneeglätte zu bestreuen, ist gegenüber dem Eigentümer wegen der individuellen Besonderheiten des Einzelfalls unverhältnismäßig. Die Übernahme des Winterdienstes durch ihn ist unzumutbar.
Gilt dies auch für die Reinigung des Fußwegs?
Das Reinigen des Wegs kann vom Eigentümer auch trotz der festgestellten individuellen Besonderheiten des Einzelfalls verlangt werden, entschied der VGH:
- Einerseits hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang nachvollziehbar ausgeführt, dass nach Regenereignissen auch bei Reinigungsarbeiten eine erhöhte Unfallgefahr besteht.
- Anderenfalls verlangt die Streupflichtsatzung eine Reinigung nicht in regelmäßigen Intervallen, sondern „nach den Bedürfnissen des Verkehrs und der öffentlichen Ordnung“.
- Seiner Reinigungsverpflichtung kann der Eigentümer deshalb ohne Weiteres bei trockener Witterung oder dann nachkommen, wenn der Weg selbst im Wesentlichen abgetrocknet und hinreichend sicher ist.
Fazit für die Reinigung des Fußwegs
Das Reinigen des Fußwegs ist gegenüber dem Eigentümer verhältnismäßig und zumutbar. Daher ist er zur Reinigung verpflichtet.
Ergebnis
Die Klage des Eigentümers hatte im Ergebnis nur teilweise Erfolg: Künftig ist er vom Winterdienst befreit, muss aber den Fußweg reinigen.