12.02.2020

Ausländer haben trotz Ausreisepflicht Anspruch auf Obdachlosenunterkunft

Das VG Köln hat entschieden, dass Ausländer trotz Ausreisepflicht einen Anspruch auf Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft haben (VG Köln, Beschluss vom 12.12.2019, Az. 20 L 2567/19).

Obdachlosenunterkunft Ausländer

Ausreisepflichtige Ausländer suchen Obdachlosenunterkunft

Die Antragsteller, ein Ehepaar und ihre zwei Kinder, sind vor wenigen Tagen aus ihrem Heimatland nach Deutschland eingereist. Sie wandten sich an das Ausländeramt der Stadt und erklärten, keinen Asylantrag stellen zu wollen. Das Ausländeramt stellte ihnen eine sog. Grenzübertrittsbescheinigung aus. Dabei handelt es sich um ein Dokument, in dem ausreisepflichtigen Personen eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wird. Da die Familie nicht freiwillig ausreiste, leitete das Ausländeramt das Verfahren weiter an die zentrale Verteilungsstelle, damit diese den Antragsstellern eine Aufnahmeeinrichtung zuweist. Eine solche Zuweisung erfolgte jedoch zunächst nicht. Die Antragssteller wandten sich daher an eine Notschlafstelle der Stadt, in der sie eine Nacht verbrachten. Am nächsten Tag mussten sie unter Verweis auf die Grenzübertrittsbescheinigung die Notschlafstelle verlassen. Mit ihrem Eilantrag wollten die Antragsteller eine vorläufige Verpflichtung der Stadt erreichen, sie bis zur Zuweisung zu einer Aufnahmeeinrichtung unterzubringen. Sie seien ansonsten obdachlos und müssten mit ihren Kindern auf der Straße schlafen. Die Stadt machte demgegenüber geltend, die Antragsteller seien ausreisepflichtig. Sie könnten ihrer Obdachlosigkeit durch eine Rückreise nach Albanien entgehen.

Anordnungsanspruch gegenüber Obdachlosenbehörde

Die zuständige Behörde ist bei bestehender Obdachlosigkeit verpflichtet zur Unterbringung in einer menschenwürdigen Unterkunft, die Schutz vor den Unbilden der Witterung bietet sowie Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt. Dabei müssen Betroffene im Verhältnis zur Versorgung mit einer Wohnung weitgehende Einschränkungen hinnehmen. Beispielsweise ist Einzelpersonen grundsätzlich auch eine Unterbringung in Sammelunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen zumutbar. Die Grenzen zumutbarer Einschränkungen liegen erst dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung nicht eingehalten sind.

Begriff einer Grenzübertrittsbescheinigung

Der Unterbringungsanspruch entfällt nicht dadurch, dass die Antragsteller über eine Grenzübertrittsbescheinigung verfügen.

Bei einer Grenzübertrittsbescheinigung handelt es sich um eine gesetzlich nicht geregelte Bescheinigung, bei der es sich weder um ein Ausweisdokument noch um eine Aufenthaltsbescheinigung handelt. Sie stellt lediglich eine Bescheinigung über die Frist dar, die für die freiwillige Ausreise gewährt wird (§ 59 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 AufenthG) und die verhindern soll, dass der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer vor Ablauf dieser Frist abgeschoben wird.

Ausreisepflicht hindert nicht an Pflicht zur Unterbringung

Auf die Pflicht zur Unterbringung Obdachloser hat die Bescheinigung keine Auswirkungen. Insbesondere kann die Antragsgegnerin die Antragsteller nicht darauf verweisen, dass die Obdachlosigkeit durch eine Ausreise zurück in das Heimatland behoben werden kann. Die ausländerrechtliche Frage der Ausreisepflicht ändert nichts an der bestehenden Obdachlosigkeit der Antragsteller innerhalb des räumlichen Zuständigkeitsbereichs der Stadt.

Unterbringungspflicht und Abschiebehaft

Den Antragstellern steht auch keine anderweitige Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung. Nach der hier einschlägigen Bestimmung von § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG werden unerlaubt eingereiste Ausländer, die weder um Asyl nachsuchen noch unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden können, vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Länder verteilt. Die zentrale Verteilungsstelle benennt der Behörde, die die Verteilung veranlasst hat, die zur Aufnahme verpflichtete Aufnahmeeinrichtung. Solange die Antragsteller auf die Verteilung und Zuweisung zu einer zur Aufnahme verpflichteten Aufnahmeeinrichtung warten und obdachlos sind, ist die Antragsgegnerin zur Unterbringung verpflichtet.

Hinweis: Gegen den Beschluss ist die Beschwerde beim OVG möglich.

Der Beschluss ist abrufbar unter https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2019/20_L_2567_19_Beschluss_20191212.html

Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)