Nachtruhe schützen: Muss Ordnungsbehörde bei Feiern eingreifen?
Obwohl in einer Stadt in Sachsen vom Frühjahr bis zum Herbst auf Straßen laut gefeiert wird, wollte die Ordnungsbehörde nicht zum Schutz der Anwohner eingreifen. Sie bekamen Hilfe vom OVG Bautzen (Beschl. vom 25.07.2022, Az. 6 B 16/22).
Monatelanger abendlicher Lärm stört Nachtruhe
In einem Stadtteil einer Stadt in Sachsen halten sich an einer Kreuzung vom Frühjahr bis zum Herbst, insbesondere abends in den Sommermonaten sowie in den Nächten an Freitagen und Samstagen, mehrere Hunderte, teilweise bis zu 3.000 Menschen auf. Auf den Gehsteigen und Straßenflächen sitzend oder stehend konsumieren viele von ihnen Alkohol. Durch Sprechen, Rufen, Singen, Verwenden von Musikgeräten und Musikboxen kommt es zu erheblichem Lärm.
Anwohner in unmittelbarer Nähe zu der Kreuzung forderten von der Ordnungsbehörde Maßnahmen zum Schutz der Nachtruhe aufgrund der Polizeiverordnung der Stadt, die unter anderem die Erzeugung ruhestörenden Lärms untersagt. Die Ordnungsbehörde sollte geeignete Maßnahmen treffen, um die Nachtruhe zu schützen, soweit und solange an ihren Wohnungen zwischen 22 Uhr und 6 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten werden.
Die Ordnungsbehörde lehnte ein Einschreiten ab. Die Anwohner beantragten beim OVG eine Einstweilige Anordnung.
Eingriffsgrundlage Befugnisklausel
Grundlage der Tätigkeit der Ordnungsbehörde ist die Befugnisklausel des Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetzes des Bundeslandes (hier § 12 SächsPBG), begann das Gericht und stellte fest, dass ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen.
Durch das lärmende Freizeitgebaren zahlreicher Personen besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form von gehäuften Verstößen gegen das Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetz (hier § 39 Abs. 1 SächsPBG i.V.m. der städtischen Polizeiverordnung, nachranging § 117 OWiG). Der Lärm während der Nachtruhezeiten stellt bei Beurteilungspegeln außen über 45 dB(A) nicht nur eine erhebliche Belästigung dar. Es werden auch häufig gesundheitsgefährdende Pegelwerte von weit über 62 dB(A) erreicht und damit die grundrechtliche Zumutbarkeitsschwelle nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überschritten.
Anspruch auf fehlerfreies Ausüben des Ermessens
Die Befugnisklausel vermittelt jedoch grundsätzlich nur einen Anspruch auf fehlerfreies Ausüben des Ermessens, stellte das OVG klar. Je hochwertiger die schützenswerten Rechtsgüter, je intensiver die Rechtsgutsgefährdung und je geringer die mit dem Eingriff verbundenen Risiken für Beteiligte und Unbeteiligte, desto mehr spricht dies für eine Ermessensreduzierung auf null.
Das Entschließungsermessen der Ordnungsbehörde über das „Ob“ des Einschreitens kann in pflichtgemäßer Weise auch dahin ausgeübt werden, dass ein Einschreiten aus sachgerechten Gründen versagt wird. Unter besonderen Voraussetzungen, insbesondere bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung, kann sich das Ermessen jedoch zu einem Rechtsanspruch auf ein Verwaltungshandeln verdichten und das Erschließungsermessen auf null schrumpfen. Diesen Fall einer hohen Intensität der Störung oder Gefährdung sah das OVG nicht.
Die Anwohner, so das Gericht, haben keinen Anspruch glaubhaft gemacht, der die Ordnungsbehörde verpflichtet, bei Erreichen eines bestimmten Immissionswerts zum Wahren ihrer Rechte einzuschreiten. Ihnen steht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu.
Ergebnis
Werden eine Straße, ein Gehweg und ein dem Fuß- oder Autoverkehr gewidmeter Platz zum „Platz zum öffentlichen Feiern“ umfunktioniert und ist kein Durchkommen mehr, liegt keine gemeinverträgliche Inanspruchnahme der Straße durch die dort Verweilenden mehr vor. Insoweit wurde die Ordnungsbehörde vom OVG verpflichtet, die Anwohner unter Berücksichtigung ihrer Rechte neu zu bescheiden. Die Ordnungsbehörde hat daher erneut über ein Schutzkonzept zum Lärmschutz sowie Maßnahmen normativer und/oder tatsächlicher Art zu entscheiden. Ziel muss es sein, einen besseren und wirksameren Lärmschutz zu erreichen.