Ladenöffnung an Sonntagen verteilt über das Stadtgebiet zulässig?
Wer glaubt, dass sich die Gerichte allein auf das Studium von Akten beschränken und auf dem praktischen Auge blind sind, wird durch den Beschluss des VGH München vom 14.03.2023, Az. 22 NE 23.257, eines Besseren belehrt.
Umfangreiche Sonntagsöffnungen verteilt über das Stadtgebiet …
Mit Rechtsverordnung einer Stadt wurde die Öffnung von Verkaufsstellen an vier Sonntagen im Jahr 2023 im Bereich der Altstadt und der Industriestraße freigegeben. Geplant waren Ladenöffnungen aus Anlass des Frühjahrsmarkts, eines Altstadtfests, des Kirchweih-Jahrmarkt sowie des Kathreinmarkts.
Zudem sollten nach der „Verordnung Gewerbegebiet an der A 6“ die Geschäfte ebenfalls an 4 Sonntagen im Jahr 2023 aus Anlass von vier Jahrmärkten öffnen dürfen. Bei den „Jahrmärkten“ handelt es sich um Trödelmärkte im Bereich des Autohofs an der Bundesautobahn A6.
Welche Verkaufsstellen öffnen dürfen, war in Lageplänen verzeichnet. Gegen die Ladenöffnungen klagte eine Gewerkschaft.
… widersprechen dem Prinzip der räumlichen Beschränkung
Nach der Rechtsprechung des BVerwG müssen anlassbezogene Sonntagsöffnungen in der Regel auf das räumliche Umfeld der Anlassveranstaltung beschränkt werden, rügte der VGH die Stadt. Dieses Umfeld wird durch die Ausstrahlungswirkung der Veranstaltung bestimmt und entspricht dem Gebiet, das durch das Veranstaltungs-Geschehen selbst – und nicht allein durch den Ziel- und Quellverkehr oder Werbemaßnahmen für die Veranstaltung – geprägt wird.
Vorliegend, so der VGH, ist nicht ersichtlich, inwieweit das Gebiet an der Industriestraße durch das Geschehen der vier Veranstaltungen in der Altstadt geprägt wird, und folgerte daraus:
- Die Verordnung verstößt insoweit gegen die rechtlichen Vorgaben für die Sonntagsöffnung, als sie eine Öffnung von Verkaufsstellen an vier Sonntagen auch im Bereich Industriestraße zulässt.
Jahrmärkte als Pro-forma-Veranstaltung?
Das Gericht prüfte weiter, ob die die Jahrmärkte als reine Alibiveranstaltungen einzustufen sind, sodass ein Missbrauch der Befugnisnorm vorliegen könnte:
- Es nahm sich einen Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Stadtrats vor, nach der die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonntagen wegen der Rechtsprechung in zwei unterschiedlichen Verordnungen festgesetzt werden sollte. Daraus schloss der VGH, dass die Anforderungen an die Sonntagsöffnungen dadurch umgangen werden sollten, dass für das Gewerbegebiet an der BAB 6 eine eigene Verordnung erlassen und für dieses Gebiet nur „pro forma“ eine eigene anlassgebende Veranstaltung („Jahrmarkt“) angeführt wurde.
- Für eine solche bloße Pro forma-Anführung der „Jahrmärkte“ spricht nach Ansicht des Gerichts auch, dass – anders als für den Bereich Altstadt und Industriestraße – vier gleichlautende Bezeichnungen gewählt wurden, die hinsichtlich Datums und Öffnungszeiten mit den Veranstaltungen im Bereich der Altstadt identisch sind.
- Insofern liegt nahe, so der VGH weiter, dass es sich bei diesen „Trödelmärkten“ zu den jeweiligen Zeitpunkten allenfalls um unselbstständige Annexe zu den Veranstaltungen im Altstadtbereich gehandelt hat und dass nunmehr bloß vorgeschoben werden soll, dass diese Trödelmärkte eigenständige für eine Sonntagsöffnung anlassgebende Veranstaltungen darstellen.
- Das Gericht studierte auch die Internetseite des durch die Sonntagsöffnung begünstigten Unternehmens „A 6 Fashion Place“. Dort wird mit Veranstaltungen an verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr 2023 geworben, die denjenigen der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ entsprechen; Hinweise auf einen „Jahr-“ oder „Trödelmarkt“ an der BAB 6 sind nicht zu finden.
Dass anlassgebend nicht die „Jahr-“ oder „Trödelmärkte“ sind, entspricht im Übrigen offenbar auch der Auffassung der von der Sonntagsöffnung Begünstigten, denn nach den Inhalten der Internetseite des „A 6 Fashion Place“ wird dort mit Veranstaltungen an verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr 2023 geworben, die denjenigen in § 1 der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ entsprechen; von einem „Jahr-“ oder „Trödelmarkt“ ist hingegen nicht die Rede.
Räumlicher Bezug fraglich
Für die Stadt kam es noch dicker: Es ist nicht erkennbar, dass die Ausstrahlungs- und damit Prägungswirkung eines Trödelmarkts, der am Autohof an der BAB 6 stattfindet, noch bis zu den Verkaufsstätten reicht, die ca. 250 m bis über 300 m von der nächstgelegenen Bebauung in diesem Bereich entfernt und durch Grün- und insbesondere landwirtschaftliche Flächen voneinander getrennt sind.
Ergebnis
Der VGH setzte beide Verordnungen, die ein Offenhalten von Verkaufsstellen an vier Sonntagen im Jahr 2023 gestatten sollten, außer Vollzug. Die betreffenden Regelungen konnten offensichtlich keinen Bestand haben.