Klimawandel – ein Thema für die Gemeinden?
Sollen die gesetzlich festgelegten und völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimaziele erreicht werden, bedarf es eines Umdenkens beim Heizen, in der Gebäudesanierung und in der Mobilität mit allen ihren Facetten. Welchen Beitrag können die Gemeinden hierzu leisten?
Klimaschutz bedeutet Wahren von Freiheitsrechten …
Seit dem Jahr 2015 wissen Politik, Wirtschaft und Bürger, dass die Erderwärmung auf deutlich unter 2° C, möglichst jedoch auf 1,5° C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist, um unseren Planeten vor irreparablen Schäden zu bewahren.
Wissenschaftler sind skeptisch, ob die bisher beschlossenen und umgesetzten staatlichen Maßnahme ausreichen, um diese Ziele zu erreichen. Die Weltwetterorganisation WMO rechnet damit, dass die Erderwärmung in den nächsten 5 Jahren zweimal das Minimalziel von 1,5° C überschreiten wird und dass die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Überschreitens jährlich zunimmt (siehe „WMO Global Annual to Decadal Climate Update (Target years: 2023–2027)“, abrufbar unter https://library.wmo.int/).
Die Dringlichkeit des Erreichens dieser Ziele und die Verantwortung gegenüber den Freiheitsrechten künftiger Generationen hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18, in aller Deutlichkeit herausgestellt und den Gesetzgeber verpflichtet, den Übergang zur Klimaneutralität rasch einzuleiten. Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Aktivitäten der Bundesregierung zu sehen.
Erst vor Kurzem hat die Versicherungswirtschaft die Bundesregierung gebeten, umgehend Maßnahmen einzuleiten, die dem Klimawandel entgegenwirken. Schon in wenigen Jahren können Schäden an Personen, Gebäuden, der Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen in solchen Höhen eintreten, dass sie die Versicherungsprämien so stark verteuern, dass viele Bürger sie nicht mehr zahlen bzw. Versicherungen wegen des ungünstigen Risikoprofils nicht mehr angeboten werden können.
… und geht alle an
Das Erreichen der Klimaziele ist nur dann realistisch, wenn alle ihr Handeln danach ausrichten. Gemeinden sind Teil des Ganzen und daher in der Verantwortung, das in ihrem Aufgabenbereich Mögliche zu tun, um diesen Zielen näherzukommen. Die Kommunen können mit vielen kleinen Einzelmaßnahmen die Maßnahmen der Bundesregierung flankieren und zum Erreichen der Klimaziele beitragen.
It’s the economy, stupid!
Die Gelegenheiten bestimmen das Handeln von Menschen. Im Wirtschaftsleben beeinflusst das Angebot die Nachfrage. Beispiel Diesel: Der vergleichsweise billige Kraftstoff hat einen Run auf Fahrzeuge mit Selbstzünder-Motoren ausgelöst. Das gilt auch umgekehrt: Wer Angst haben muss, sein Elektrofahrzeug nicht fahrbereit halten zu können, kauft sich keines. Ladestationen für E-Autos und Pedelecs sowie E-Bikes sind in der Fläche nur selten vorhanden. Soll die Dekarbonisierung gelingen, ist es erforderlich, auch in den kleineren Gemeinden mit dem Errichten von Ladestationen als Einzelmaßnahmen die Transformation zu fördern.
Einrichten von Ladepunkten
Die Gemeinden können dort Ladepunkte einrichten, wo sich die Menschen aufhalten – in der Nähe von Geschäften, Sehenswürdigkeiten, Naherholungsgebieten, Wanderwegen, Schulen, Sportstätten usw. Die Option zum Laden von Elektrofahrzeugen wird Kunden sowie Besucher anziehen und die Attraktivität der Gemeinde erhöhen. Führen Radwege durch die Gemeinde, gilt dies auch für E-Bike-Ladestationen.
Was geht mit dem Fahrrad?
Eine Untersuchung einer Gemeinde im Kreis Kassel im Rahmen eines Verkehrskonzepts hat ergeben, dass 10 % aller innerörtlichen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, die Hälfte mit dem Auto. Wie selbstverständlich sind (meist) ausreichend Parkplätze für PKW vorhanden, aber nicht für Fahrräder. Oftmals wird den Gewerbetreibenden baurechtlich vorgeschrieben, PKW-Stellplätze vorzuhalten – aber keine Fahrradständer. Dabei können die Gemeinden mit ausreichend vorhandenen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder bei geringem Aufwand dazu beitragen, dass der Anteil des Fahrradverkehrs erhöht wird. Jeder nicht mit dem Verbrenner zurückgelegte Kilometer entlastet die Umwelt um rund 1 kg CO2. Der Erlass von Sondernutzungsgebühren erhöht die Bereitschaft von Ladeninhabern, selbst Fahrradständer aufzustellen.
Einige Gemeinden sind auch dazu übergegangen, Fußgängerzonen für Fahrräder (wieder) zu öffnen. Zum Schutz der Fußgänger dürfen Fahrradfahrer nur Schritttempo fahren und müssen auf die Fußgänger Rücksicht nehmen.
Fahrradverkehr sichtbar machen
Wo Fahrradständer aufgestellt werden und Parkplätze entfallen, laufen die Autofahrer dagegen Sturm. Es fehlt nicht nur die Toleranz gegenüber anderen Verkehrsarten, sondern auch das Bewusstsein über das Ausmaß des Radverkehrs. Mit Zählstellen wird sichtbar, wie viele Radfahrer täglich, monatlich oder jährlich eine bestimmte Strecke befahren. Wir empfehlen den Gemeinden, sich an den von den Ländern angebotenen Projekten zu beteiligen, um belastbare Daten für den Radverkehr zu gewinnen und die Akzeptanz für diese Verkehrsart zu erhöhen.
Öffentliche Gebäude haben auch ein Dach
Der Energiebedarf der gemeindlichen Einrichtungen entsteht hauptsächlich während ihrer Betriebszeiten. Hierfür eignen sich Kindergärten, Bürogebäude, Turnhallen, Dächer von Parkflächen und sogar die Kläranlage, die einen hohen Strombedarf hat. Eine Gemeinde im Raum Kassel (rund 13.000 Einwohner) beschreibt diesen mit 10.000 Euro im Jahr. Am Tag lässt sich diese Energie durch Solarmodule gewinnen, deren Anzahl auf den Verbrauch abgestimmt ist. Mit einem Stromspeicher kann die PV-Anlage ergänzt und damit ein hoher Autarkiegrad erreicht werden. Eine Solaranlage reduziert die Betriebskosten, entlastet den Steuerzahler auf Dauer und senkt die Erzeugung von CO2.
Warum keine Elektrofahrzeuge als Dienstwagen?
Wird ein Elektrofahrzeug mit dem Strom aus einer Solaranlage gespeist, reduziert sich die Tankrechnung erheblich. Bei Kosten von 10 ct pro erzeugtem kWh aus der Solaranlage ergibt sich bei einer Fahrleistung von 10.000 km eine Einsparung von 1,4 t CO2. Außerdem reduziert sich die Tankrechnung um einen vierstelligen Geldbetrag.
Energetisches Sanieren der Gemeindeverwaltung
Gebäudesanierungen sind eine wichtige Voraussetzung für das Heizen ohne fossile Brennstoffe. Der Austausch von Fenstern in Verbindung mit dem Abdichten des Dachbodens kann bis zu 50 % Öl oder Gas einsparen. In Verbindung mit einer Wärmepumpe, die von der PV-Anlage gespeist wird, kann das Erzeugen von CO2 deutlich reduziert werden. Auf Dauer senken solche Maßnahmen die laufenden Kosten und dienen zudem noch dem Klimaschutz.
Auch die Baubehörde kann ihren Teil dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen, indem Aufstockungen von Gebäuden leichter genehmigt sowie Bauvorhaben und Wohnungsteilungen erleichtert werden.
Quartiere statt Einzelgebäude
Bund und Länder haben schon längst den Abschied vom Eigenheim eingeläutet. Der ökologische Fußabdruck von Einfamilienhäusern ist viel zu groß. Sie verbrauchen zu viel Fläche, zu viele Ressourcen und zu viel Energie. Bis zum Jahr 2030 sollen pro Tag weniger als 30 Hektar Land versiegelt werden, bis zum Jahr 2050 keine zusätzlichen Flächen. Hessen geht gegen die Versiegelung von Flächen mit einem „Baulandbeschluss“ vor, der eine Mindestwohnungsdichte von 80 Wohnungen je Hektar vorschreibt und damit den Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Reihenhäusern faktisch unmöglich macht.
Mit Quartieren lassen sich Projekte ökologischer, ökonomischer und sozialverträglicher realisieren. Hohe Kosteneffizienz, gemeinsame erneuerbare Versorgung und weitere Maßnahmen heben Synergien für die Bewohner. Besonders effiziente Erdwärmepumpen, die sich für Einfamilienhäuser nicht rechnen, aber wenig Strom verbrauchen, können kostensparend eingesetzt werden. Die für das Heizen verbrauchte Energie ist in Quartieren deutlich geringer als in freistehenden Ein- oder Zweifamilienhäusern.