Kann eine Gefahrenabwehrverordnung zur Benutzungsregelung erlassen werden?
Damit sich die Fußgänger sicher fühlen, untersagte eine Gemeinde das Radfahren auf den Wegen einer Parkanlage mit einer Gefahrenabwehrverordnung. Wir gehen der Frage nach, ob das Radfahren auf den mit dem Zeichen 239 ausgeschilderten Wegen auf diese Weise verboten werden kann.
Beschwerden von Fußgängern
Jahrelang durften Radfahrer einen See mit dem Fahrrad umrunden oder eine Parkbank ansteuern, um den Park und den malerischen See zu genießen. Doch damit soll es nun vorbei sein. Um den Fußgängern mehr Qualität und Barrierefreiheit zu ermöglichen und Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern zu vermeiden, hat die Gemeinde die bisherige Regelung, ausgeschildert mit dem Verkehrszeichen 239 (Gehweg) und dem Zusatzzeichen 1022-10 (Radfahrer frei), aufgehoben. Ab dem 1. April sind die Wege rund um den See nur mit dem Zeichen 239 beschildert.
Online-Befragung für ein Verkehrskonzept
Im Rahmen einer Online-Befragung, an der 396 Personen teilnahmen, gab es drei Bemerkungen zu der Parkanlage:
- „Bessere Pflege des Weges“
- „Immer wieder kommt es zu gefährlichen Situationen zwischen Radfahren mit älteren Fußgängern und Kindergartengruppen und Autofahrern. Radfahrer kommen mit bis zu 25 Km/h E-Bikes noch schneller um die Kurve.“
- „Hier war mal kurz ein Stück Spielstraße ausprobiert worden. Hat mir mit Kindern gut gefallen, leider wieder weg.“
Gestützt auf die Regelwerke der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), u.a. RASt, EFA, hat der beauftragte Gutachter empfohlen, den 2,50 bis 3,00 m breiten Weg um den See künftig nur für den Fußverkehr freizugeben: Die gemeinsame Führung von Fuß- und Radverkehr ist innerorts möglichst zu vermeiden, da Rad Fahrende akustisch kaum zu orten sind und sich insbesondere seh- und hörbehinderte Menschen auf diesen Flächen unsicher fühlen. Hinsichtlich der stetig wachsenden Bedeutung des Klimawandels sind insbesondere die umweltverträglichen Verkehrsarten zu fördern, insbesondere eine stärkere Trennung von Fuß- und Radverkehr, Freigabe von Gehwegen für den Radverkehr nur noch in Ausnahmefällen und Erweiterung der Ausschlusskriterien.
Was wird in der Gefahrenabwehrverordnung geregelt?
Umgesetzt werden diese Empfehlungen durch eine Gefahrenabwehrverordnung (in anderen Bundesländern: Polizeiverordnung). § 2 der Vorschrift lautet: „Auf dem Rundweg im …park und den Zuwegungen dazu ist das Fahren mit Fahrrädern und Elektrokleinstfahrzeugen nicht erlaubt. Hierfür ist die Gemeindestraße Am Weinberg zu nutzen, die nördlich um das Parkgelände herum führt. Der Rundweg im Park und die Zuwegungen dazu sind Fußgänger*innen vorbehalten. Der Betrieb von Kraftfahrzeugen auf den Wegen ist untersagt.“
In der Gefahrenabwehrverordnung, die das Vorliegen einer abstrakten Gefahr voraussetzt, wird neben dem Verbot des Radfahrens u.a. auch untersagt, zu reiten, Hunde ohne Leine laufen zu lassen, Feuer zu entzünden sowie Pflanzen zu entnehmen. Zum Inhalt der Gefahrenabwehrverordnung gehört auch, wie der Kinderspielplatz auf dem Gelände genutzt werden darf.
Benutzungsordnung oder Gefahrenabwehrverordnung?
In der Präambel zur GefAbwVO wird nicht nur auf die Rechtsgrundlagen für Gefahrenabwehrverordnungen nach dem Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetz (hier §§ 71, 74 77 HSOG) Bezug genommen, sondern auch auf die Gemeindeordnung (hier: § 5 HSOG). Dies wirft die Frage auf, ob die Gemeinde eine Benutzungsordnung, die durch Satzung zu regeln ist, oder eine Gefahrenabwehrverordnung erlassen hat.
Hierzu hat der VGH Baden-Württemberg mit Beschl. vom 17.07.2012, Az. 10 S 406/10, entschieden: „Durch eine Polizeiverordnung [in Hessen: Gefahrenabwehrverordnung] kann keine Regelung des Benutzungsverhältnisses einer öffentlichen Einrichtung […] erfolgen […]; vielmehr bestimmt sich der zulässige Nutzungsumfang nach der Widmung und gegebenenfalls durch eine ausgestaltende Benutzungsregelung, im Übrigen durch die sonstigen allgemeinen Gesetze, […] und die auf seiner Grundlage erlassenen einschlägigen Verordnungen“.
Bleibt überhaupt Raum für eine Gefahrenabwehrverordnung?
Die StVO regelt das Benutzen öffentlicher Straßen und solcher, die zwar nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet, aber der Öffentlichkeit ohne Einschränkungen zugänglich sind. Es sind somit spezialgesetzliche Regelungen vorhanden, die keinen Raum für den Erlass einer Gefahrenabwehrverordnung lassen (siehe hierzu § 3 Abs. 1 HSOG bzw. entsprechende Regelung in dem Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetz des Bundeslandes).
Das bedeutet: Wie die Wege der Parkanlage genutzt werden dürfen, wenn Zeichen nach der StVO aufgestellt werden sollen, ist durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zu bestimmen, für die in Hessen die Straßenverkehrsbehörden zuständig sind und nicht die Gemeindevertretungen.
Erlass einer Anordnung nach § 45 Abs. 1 i.V.m. § 45 Abs. 9 StVO
Der Vorschrift von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO (i.V.m. Abs. 9) sind als Rechtsgrundlage für Verkehrsbeschränkungen und Verkehrsverbote spiegelbildlich die Voraussetzungen zu entnehmen, unter denen eine auf dieser Grundlage getroffene Maßnahme aufgehoben werden kann (OVG Münster, Beschl. vom 12.02.1997, Az. 25 B 2562/96).
Zwingend: Ausüben des Ermessens
Eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung ist eine Ermessensentscheidung. Daher hat die Straßenverkehrsbehörde in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob andere Maßnahmen, die weniger schwer wiegen als das generelle Verbot des Radfahrens, gleichermaßen zum Ziel führen, z.B. Zulassen des Radverkehrs von Montag bis Freitag bzw. zu bestimmten Uhrzeiten oder Anordnen einer Geschwindigkeitsbeschränkung für Radfahrer. Unterbleiben die Ermessensausübung und die Auswahl des mildesten Mittels, liegt ein Ermessensmangel vor, der zur Aufhebung der Anordnung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren führt.
Ungestörtes Flanieren als „Belange der Fußgänger“?
Das OVG Lüneburg hat mit Beschl. vom 29.12.2015, Az. 7 ME 53/15, zu der Frage, ob das ungestörte Flanieren zu den Belangen der Fußgänger i.S.d. VwV zu Zeichen 239 StVO gehört, wie folgt entschieden: „Der Gemeinde ist es nicht verwehrt, (nach Ermessen) ein verkehrsberuhigtes innerörtliches Areal mit dem Ziel zu schaffen, während der touristischen Hauptsaison das – insbesondere vom Radverkehr – ungestörte Flanieren von Fußgängern zu ermöglichen, um auf diese Weise kommunikativen Aspekten der Straßennutzung Vorrang gegenüber verkehrlichen Zwecken einzuräumen und damit – was letztlich hinter ihren Erwägungen zur Entflechtung der Verkehrsarten und zur Vermeidung von Lärm- und Abgasbelästigungen steht – spezifische planerische Absichten zu ihrer innerörtlichen Entwicklung zu verfolgen.“
Ergebnis
Soll ein verkehrsberuhigtes innerörtliches Areal geschaffen werden, dem die Benutzung eines Gehwegs durch Radfahrer entgegensteht, kann die Freigabe des Radverkehrs nach § 45 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. Abs. 9) StVO durch Erlass einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung nach Ausüben des Ermessens aufgehoben werden. Das ungestörte Flanieren während der touristischen Hauptsaison gehört zu den Belangen der Fußgänger i.S.d. VwV zu Zeichen 239 StVO. Der Erlass einer Gefahrenabwehrverordnung (Polizeiverordnung) zur Regelung dieses Sachverhalts ist hierfür weder ein zulässiges noch ein geeignetes Mittel. Sie setzt überdies eine abstrakte Gefahr voraus, die aktenmäßig nachzuweisen ist.