05.06.2024

Intendiertes Ermessen der Ordnungsbehörden bei Beißvorfall

Kann die Ordnungsbehörde nach einem Beißvorfall untätig bleiben (OVG Münster, Beschl. vom 13.09.2023, Az. 5 B 1251/22)?

Kein Handlungsbedarf nach dokumentiertem Beißvorfall?

Der Sohn eines Familienvaters wurde von der Hündin L auf seinem Grundstück in den Arm gebissen. Er zog sich dabei eine Prellung mit Bluterguss zu, litt mehrere Tage unter starken Schmerzen und konnte den Arm nur noch eingeschränkt bewegen. Mittels vorgelegter Lichtbilder der Verletzungen und Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung beantragte der Vater bei der Ordnungsbehörde Maßnahmen zum Schutz seiner Familie vor dem bissigen Hund L. Für diesen und den ebenfalls dem Hundehalter gehörenden Hund D sind weitere Beißvorfälle aktenkundig.

Die Ordnungsbehörde lehnte ein Einschreiten „nach Ermessen“ ab. Das angerufene VG stützte die Auffassung der Ordnungsbehörde. Dem Familienvater ging der Schutz seiner Familie über alles; er zog vor das OVG Münster.

Eine konkrete Gefährdung lag vor, entschied das OVG, …

Nach dem Landeshundegesetz (hier: § 12 Abs. 1 LHundG NRW) kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Vorschriften des Gesetzes, abzuwehren.

Soweit die öffentliche Sicherheit auch die Rechtsgüter des Einzelnen umfasst – wie dies bei dem Landeshundegesetz ohne Zweifel der Fall ist – und diese konkret gefährdet sind, hat der Betroffene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die von der Behörde zu treffenden Maßnahmen, der sich ausnahmsweise im Sinne einer Ermessensreduzierung auf null auch auf eine bestimmte zu ergreifende Maßnahme verdichten kann.

Macht ein Antragsteller bei der Ordnungsbehörde den Erlass derartiger Anordnungen gegenüber dem Hundehalter geltend, ist erforderlich, dass sich eine Gefahr für eines seiner Rechtsgüter bereits ergeben hat und zudem das Ermessen der Behörde im Sinne einer konkreten Maßnahme reduziert ist.

… und rüffelte sodann das VG

Der Familienvater hat glaubhaft gemacht, dass die Hündin L seinen Sohn in den Arm gebissen hat. Weil sich der Vorfall unmittelbar auf seinem Grundstück und nicht im öffentlichen Straßenraum zugetragen hat, kommt es nicht darauf an, dass nicht der Familienvater selbst, sondern sein Sohn gebissen wurde. Der Familienvater als Bewohner des Grundstücks, auf dem der Beißvorfall stattgefunden hat, kann daher die drittschützende Wirkung des Landeshundegesetzes (hier: § 12 Abs. 1 LHundG NRW) geltend machen.

Vor dem Hintergrund der von den Hunden ausgehenden Gefahr ist ein Einschreiten der Ordnungsbehörde grundsätzlich geboten. Das Ermessen ist in diesem Fall nicht frei auszuüben, sondern als ein grundsätzlich auf eine Beseitigung der Störung gerichtetes, intendiertes Ermessen.

Ergebnis

Das OVG gab der Beschwerde des Vaters teilweise statt. Die Ordnungsbehörde darf zur Abwehr schwerwiegender von Hunden ausgehender Gefahren Maßnahmen ergreifen, die ohne Eingehen von Kompromissen in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite“ liegen. Dies entspricht allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen einer effektiven Gefahrenabwehr. Sie muss im Regelfall zur Gefahrenabwehr eingreifen und darf nur in begründeten Einzelfällen davon absehen.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)