10.06.2008

Angehörige von Verstorbenen benachrichtigen, auch wenn Seuchengefahr droht

Ein Ordnungsamt veranlasste die sofortige Bestattung eines Verstorbenen wegen Seuchengefahr. In der Hektik vergaß es, die Angehörigen zu ermitteln. Folge: Die Behörde muss die Kosten der Bestattung tragen (Urteil des OVG Münster vom 29.04.2008, Az. 19 A 3665/06).

Angehörige benachrichtigen Seuchengefahr

Ordnungsamt fordert Erstattung von Beerdigungskosten

Nachdem der 45-jährige Mieter M. lange nicht mehr im Haus gesehen wurde, alarmierte der Vermieter die Polizei. Diese fand den stark verwesten Leichnam des Vermissten in seiner Wohnung. M. lebte allein und war, wie der herbeigerufene Hausarzt feststellte, als Diabetiker an akutem Herz-Kreislauf-Versagen gestorben.

Weil die Wohnung bereits voller Ungeziefer war, beauftragte das Ordnungsamt sofort einen Bestatter. Dieser beerdigte den Verstorbenen noch am Nachmittag desselben Tages in einem Reihengrab auf einem nahe gelegenen Friedhof.

Zuvor hatte das Ordnungsamt ermittelt, dass einer der beiden Brüder des M. im Jahr zuvor in den Nachbarort verzogen war. Die neue Adresse ergab sich aus dem Melderegister. Da der Bruder nicht im Telefonbuch stand, informierte das Ordnungsamt ihn per Brief über den Tod des M. Den anderen Bruder, der nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt wohnte, ermittelte das Ordnungsamt gar nicht, obwohl er ordnungsgemäß gemeldet und im Telefonbuch eingetragen war.

Das Ordnungsamt forderte beide Brüder zur Erstattung der verauslagten Kosten in Höhe von 1.622,18 € zuzüglich Kosten für Gebühren und Auslagen in Höhe von 60 € für die Beerdigung des Verstorbenen auf.

Das OVG Münster hatte zu prüfen, ob die als Ersatzvornahme durchgeführte Bestattung rechtmäßig veranlasst wurde.

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Hinweis

In fast allen Bundesländern ist die Bestattung durch das Ordnungsamt als spezialgesetzliche Ersatzvornahme bzw. unmittelbare Ausführung zu veranlassen, wenn keine Angehörigen vorhanden sind oder diese die Bestattung verweigern.

Urteil

Das OVG Münster hat die sofortige Beerdigung des Verstorbenen ohne vorherige Benachrichtigung von Angehörigen als Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip im Bestattungsrecht und damit als rechtswidrig gewertet.

Die Bestattungspflicht, so das OVG, trifft vorrangig die Angehörigen. Erst wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen oder alle zumutbaren Maßnahmen zu ihrer Ermittlung und Benachrichtigung erfolglos geblieben seien, setzt die Bestattungspflicht der Gemeinde ein. Vorher darf die Gemeinde die Bestattung nicht vornehmen, weil dies gegen die Menschenwürde des Verstorbenen verstößt (Art. 1 GG, „postmortales Persönlichkeitsrecht“).

Die Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip wirke über den Tod hinaus und gebiete eine Bestattung möglichst nach den Wünschen des Verstorbenen. Bei Leichenfunden sei die Ermittlung dieser Wünsche in der Regel nur über die Angehörigen möglich. Auch deren Recht auf Totenfürsorge genießt Verfassungsrang.

Aus dem hohen Rang dieser Rechtsgüter ergibt sich für die Ordnungsbehörde die Pflicht, nach einem Leichenfund mit allem Nachdruck Ermittlungen nach den Angehörigen aufzunehmen und diese, wenn sie rechtzeitig ermittelt und erreicht werden können, zur Bestattung zu veranlassen.

Das gilt auch dann, wenn ein Leichenfund mit erheblicher Gesundheitsgefahr verbunden ist. Zur Beseitigung dieser Gefahr sei hier nur die sofortige Räumung der Wohnung, nicht aber auch die sofortige Bestattung der Leiche erforderlich gewesen.

Die Ordnungsbehörde ist verpflichtet, geeignete Vorkehrungen für die kurzzeitige Aufbewahrung auch eines verwesten Leichnams zu treffen. Dazu müsse sie nicht selbst Kühlräume vorhalten, sondern kann sich auch durch vertragliche Vereinbarungen Zugang hierzu verschaffen. Dies sei ihr wegen der Seltenheit solcher Fälle auch finanziell zumutbar, zumal die Kosten für eine kurzzeitige Kühlung grundsätzlich erstattungsfähig seien.

Folgen für die Praxis

  • Forschen Sie mit Nachdruck nach bestattungspflichtigen Angehörigen (Einwohnermeldeamt, Familienbücher, Nachbarn usw.).
  • Dokumentieren Sie, welche Ermittlungen Sie angestellt haben und was das Ergebnis Ihrer Ermittlungen war.
  • Treffen Sie eine Vereinbarung mit einer nahe gelegenen Stadt, Bestattungsunternehmen etc., damit Sie in Eilfällen die Möglichkeit haben, deren Kühlräume zu nutzen.

Das Urteil finden Sie hier.

Autor*in: WEKA Redaktion