Ist Gaststätte Lärm durch Flaschenverkauf zuzurechnen?
Das BVerwG (Urteil vom 12.12.2019, Az. 8 C 3.19) musste entscheiden, ob der jährlich wiederkehrende Betrieb einer Gaststätte mit Flaschenverkauf eine Gestattung rechtfertigt und ob der Lärm der Gäste in einer angrenzenden Grünanlage der Gaststätte zugerechnet werden kann.
Gestattung von Flaschenbierverkauf
Zwei Gastwirten in Berlin wurde (wie in den vergangenen 50 Jahren zuvor) gestattet, den „Rheingauer Weinbrunnen“ auf der Empore des Rüdesheimer Platzes als Schankstand mit Flaschenverkauf ohne Ruhetage von Mai bis September 2014 von 15:00 Uhr bis 22:00 Uhr zu betreiben. Die Lärmprognose ging von 400 Gästen auf der Empore und 200 weiteren Gästen aus, die am Schankstand erworbene Getränke im gärtnerisch gestalteten mittleren Teil des Platzes konsumierten. Widersprüche aus der Nachbarschaft wurden zurückgewiesen.
Lärm der Gaststätte zurechenbar
- Einer Gaststätte sind nicht nur diejenigen Lärmimmissionen zuzurechnen, die von ihr selbst verursacht werden, sondern auch solche, die in einem betriebstechnischen oder funktionellen Zusammenhang mit ihr stehen.
- Danach muss der Gastwirt sich auch denjenigen Lärm zurechnen lassen, den seine Gäste nach dem Verlassen der Gaststätte verursachen, solange sie noch als Gaststättenbesucher in Erscheinung treten bzw. als solche erkennbar sind.
- Bei einer Gaststätte mit Flaschenverkauf trifft das auch auf den Lärm zu, der nach ihrer täglichen Schließung von denjenigen Gästen ausgeht, die sich zum Konsum in der Gaststätte erworbener Getränke oder zum weiteren Beisammensein auf einer der Gaststätte benachbarten Fläche – etwa einer angrenzenden Grünanlage – aufhalten.
- Dies gilt umso mehr, wenn der Gaststättenbetrieb erkennbar darauf angelegt ist, den Konsum der veräußerten Getränke nicht nur im eigenen Schankbereich, sondern auch auf einer angrenzenden Freifläche zu ermöglichen, und wenn die Gäste dieses vom erkennbaren Konzept der Gaststätte gedeckte und vorhersehbare Verhalten nach der Schließung der Gaststätte auf der angrenzenden Fläche fortsetzen.
- Die tägliche Schließung der Gaststätte um 22:00 Uhr beendet die Zurechenbarkeit des Lärms, der von ihren auf dem Mittelteil des Platzes verbleibenden oder den Getränkekonsum und das Beisammensein dort fortsetzenden Gästen ausgeht, nicht.
- Die Annahme einer solchen Zäsur kann auch nicht auf behördlichen Auflagen gestützt werden.
Wo liegt die Grenze der Zumutbarkeit?
- In der Abwägung der Zumutbarkeit für die Anwohner sind auch die naheliegenden Gesichtspunkte der jährlichen Dauer des Weinbrunnens, seine täglichen und wöchentlichen Öffnungszeiten und das völlige Fehlen von Ruhetagen zu berücksichtigen.
- Dies ist umso mehr geboten, wenn die behördliche Lärmprognose Schallimmissionen nahe der für allgemeine Wohngebiete nach der TA Lärm geltenden Zumutbarkeitsgrenze ergibt. Werden einschlägige Grenzwerte nahezu ausgeschöpft, sind Dauer und Kontinuität der Lärmbelastung bei der Gesamtwürdigung besonders zu berücksichtigen.
Voraussetzungen für eine Gestattung liegen nicht vor
- § 12 Abs. 1 GastG ermöglicht die Erteilung einer Gestattung für den Betrieb einer Gaststätte aus besonderem Anlass unter erleichterten Voraussetzungen. Ein solcher besonderer Anlass liegt vor, wenn die betreffende gastronomische Tätigkeit an ein kurzfristiges, nicht häufig auftretendes Ereignis anknüpft, das außerhalb ihrer selbst liegt.
- Häufig wiederkehrende Ereignisse ohne Ausnahmecharakter sind keine besonderen Anlässe.
- Der „Rheingauer Weinbrunnen“ erschöpft sich in der zu gestattenden Bewirtung selbst. Weil die Gaststätte seit 50 Jahren jedes Jahr aus demselben Anlass am Rüdesheimer Platz betrieben wird, liegt hier kein besonderer Anlass vor.
Ergebnis
Die erteilten Gestattungen sind rechtswidrig und verletzten die Nachbarn in ihren Rechten.
Das Urteil ist abrufbar unter https://www.bverwg.de/de/121219U8C3.19.0