17.11.2021

Fallstricke einer Fahrradstraße auf Probe

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um eine Fahrradstraße auf Probe einzurichten? Eine Entscheidung des VG Minden, Beschl. vom 24.09.2021, Az. 2 L 450/21, erläutert dies.

Fahrradstraße auf Probe

Sperren einer Straße für Kfz

Eine Straßenverkehrsbehörde in NRW sperrte eine Straße durch Aufstellen von Sperrpfosten für den Verkehr von Kraftfahrzeugen und ordneten die Straße als „Fahrradstraße“ ein.

Die Maßnahme hatte den Zweck, geplante verkehrssichernde oder verkehrsregelnde Maßnahmen zu erproben. Verkehrsteilnehmer widersprachen der Anordnung der Straßenverkehrsbehörde und beantragten die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

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Verhältnis Verkehrseinrichtungen und Verkehrsregeln

Regelungen von Verkehrseinrichtungen gehen den allgemeinen Verkehrsregeln vor (§ 43 Abs. 2 StVO); ihnen kann ein ähnlicher Regelungsgehalt wie Verkehrszeichen zukommen (§ 45 Abs. 2 S. 4, Abs. 4, Halbsatz 1 StVO).

Besondere Gefahrenlage als Voraussetzung

Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO kann die Straßenverkehrsbehörde die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsabläufe anordnen sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen den Verkehr beschränken, verbieten oder umleiten. Die Straßenverkehrsbehörde hat sich ausdrücklich auf die Alternative „zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen“ gestützt. Ergänzend bestimmt § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, dass Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Halbsatz 2 StVO setzt ebenso wie die straßenverkehrsrechtliche Generalklausel von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO voraus, dass eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt.

§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO entbindet im Fall von Erprobungsmaßnahmen von der Voraussetzung von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, wonach Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Auch wenn eine qualifizierte Gefahrenlage nicht erforderlich ist, ist für solche Erprobungsmaßnahmen § 45 Abs. 9 S. 1 StVO anzuwenden.

Vorliegen besonderer Umstände

Das bedeutet, dass eine Erprobungsmaßnahme zwar angeordnet werden kann, ohne dass die sonst erforderliche besondere Gefahrenlage von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegt, ihre Anordnung aber dort ausscheidet, wo eine „einfache“ Gefahrenlage (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO) nicht vorliegt. Die Anbringung der Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen muss aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich sein (§ 45 Abs. 9 Satz 1 StVO).

Vermutung einer Gefahr ist nicht ausreichend

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO dient dem Ziel, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Erfasst werden sollten also solche Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Es genügt deshalb nicht, dass die Straßenverkehrsbehörde eine Gefahr nur vermutet und durch den Verkehrsversuch Aufschluss darüber erlangen will, ob sie tatsächlich vorliegt.

Folgerichtiges und systematisches Vorgehen erforderlich

Voraussetzung ist eine sorgfältige Bestandsaufnahme und Bewertung derjenigen Umstände, die die als korrekturbedürftig eingeschätzte Situation begründen und diejenigen verkehrsregelnden Maßnahmen aufzeigen, die geeignet und erforderlich sein können, die Situation auf Dauer zu beseitigen oder zu entschärfen.

Erst in diesem Stadium der Planung verkehrsrechtlicher Regelungen kommt die Durchführung eines Verkehrsversuchs als Voraussetzung für eine endgültige Regelung unter Berücksichtigung der Folgen der veränderten Situation in Betracht.

Straßenverkehrsbehörde beweispflichtig

Ob eine Gefahrenlage aus „Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs“ (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO) vorliegt, hat die Straßenverkehrsbehörde darzulegen.

Ergebnis

  • Voraussetzung für einen Verkehrsversuch ist eine konkrete Gefahrenlage.
  • Für die Darlegung einer Gefahrenlage i.S. von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO ist eine konkrete Ermittlung und Dokumentation erforderlich.
  • Die materielle Beweislast trägt die Straßenverkehrsbehörde.
  • Weil dieser Nachweis nicht geführt wurde, stellte das VG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die verkehrsrechtliche Anordnung wieder her.

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Den Beschluss finden Sie >>> hier.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)